MÜNSINGEN. Alte, totholzreiche Buchenwälder, Hang-Schluchtwälder mit Rotbuchen-Dürrholzständern und liegenden Stämmen oder uralte Weidebuchen im Biosphärenreservat Schwäbische Alb bergen eine Vielzahl von Holzpilzen, darunter große Raritäten. Eine davon ist die Eiskoralle.
Beim Spaziergang durch einen Altwald fällt an einem morschen Buchenstamm ein ungewöhnliches Gebilde auf. Der etwa 100-jährige Baumveteran ist bereits im Endstadium seiner Vermorschung. Der Winter hatte sich bereits mit tiefen Temperaturen und Nachtfrösten angekündigt. Es scheint, als wäre aus der verwundeten und rissigen Buchenrinde Wasser ausgetreten, das in einer Frostnacht als Miniaturwasserfall zu Eis erstarrte. Bei genauer Betrachtung entpuppt er sich als fleischiger Fruchtkörper eines im gesamten Bundesgebiet seltenen und stark gefährdeten Baumpilzes, dem Ästigen Stachelbart (Hericium coralloides). Auf der Roten Liste rangiert er auf dem negativen Rang G 2, das heißt: »stark gefährdet«.
30 Zentimeter großer Holzpilz
Wegen seines korallenähnlichen Aussehens und seiner spätjährlichen Erscheinung wird der Baumpilz auch Eiskoralle genannt. Mit den ersten Schneeflocken, die auf dem Wundparasiten liegen bleiben, macht er seinem Volksnamen alle Ehre. Seine zu Kaskaden gebündelten, lang herabhängenden Stacheln erwecken den Anschein, als wären es dünne Eiszäpfchen. Der riesige, etwa 30 Zentimeter messende, reich verzweigte Fruchtkörper des gefundenen Stachelbart-Exemplars hängt wie ein rauhaariger, stattlicher Ziegenbart am Holz.
Pilzfachlich gehört der Buchen-Stachelbart, ebenso wie drei weitere in Baden-Württemberg vorkommende Stachelbartspezies, zu den Täublingsarten. Als Holzbewohner mit dem wissenschaftlichen Namen Hericium, abgeleitet von Ericium, lateinisch für Igel, übernehmen Stachelbärte eine wichtige Aufgabe im Naturhaushalt.
Sie betreiben keine Photosynthese, sondern ernähren sich ausschließlich von totem Holz. Mit ihrer Zersetzungstätigkeit im abgestorbenen Holz schließen die Baumpilze Nährstoffe auf und stellen damit die Versorgung von Bodenorganismen, Bodenlebewesen, Pflanzen und die Humusbildung sicher. Ästige Stachelbärte tragen deshalb nicht unwesentlich zur Artenvielfalt und Stabilisierung natürlicher Kreisläufe bei.
Unberührte, altholzreiche Wälder sind auch im Biosphärenreservat rar, weshalb vom Ästigen Stachelbart derzeit nur noch versprengt Exemplare dieser speziell auf Totholz siedelnden und für einen intakten Naturhaushalt immens wichtigen Pilzart gefunden werden können.
Einen der seltenen und außergewöhnlichen Ästigen Stachelbärte, der in Form und Aussehen von bekannten Stielpilzen völlig abweicht, zu entdecken, ist deshalb ein echter Glücksfall. Das Unesco-Biosphärengebiet Schwäbische Alb jedenfalls beherbergt noch solch ausgefallene Raritäten mit kuriosem Namen. (GEA)