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Die Affäre um den SS-Baron in Zwiefaltendorf

In Konzentrationslagern gemordet, unkommentiert gewürdigt: Wie mit der NS-Vergangenheit umgehen?

Franz von Bodmann              FOTO-COPYRIGHT: GHETTO FIGHTER’S HOUSE
Franz von Bodmann             FOTO-COPYRIGHT: GHETTO FIGHTER’S HOUSE Foto: Manfred Grohe
Franz von Bodmann             FOTO-COPYRIGHT: GHETTO FIGHTER’S HOUSE
Foto: Manfred Grohe

RIEDLINGEN/ZWIEFALTENDORF. Die Familie von Bodman hat auf ihrem Grab in Zwiefaltendorf den Namen eines KZ-Mörders eingravieren lassen. Dorfbewohner halten das für einen untragbaren Zustand. Der Kirchengemeinderat schreitet jetzt ein.

Seit wie vielen Jahren der Name eines SS-Mörders auf einem Grab in Zwiefaltendorf steht, weiß man nicht sicher. Waren es 20 Jahre oder auch nur zehn? Inzwischen ist es müßig, die Frage zu stellen, nachdem sich der katholische Kirchen-gemeinderat zu einem Beschluss durchgerungen hat. Und der lautet: Der Name soll verschwinden. Und die Bevölkerung soll aufgeklärt werden über die üble Vergangenheit dieses Menschen.

Es ist der Name eines Mannes aus einem bekannten Adelsgeschlecht: Franz Freiherr von und zu Bodman. Die von Bodmans sitzen am Bodensee, dem sie auch zu seinem Namen verholfen haben. Aber ein Spross dieser angesehenen Familie hat Ende des 19. Jahrhunderts Wurzeln in Zwiefaltendorf geschlagen, durch die Einheirat in die dort jahrhundertelang ansässige Adelsfamilie Speth. Und so wuchs Franz von Bodman im Schloss Zwiefaltendorf auf, zusammen mit seiner älteren Schwester Marie Sophie und seinem jüngeren Bruder Rudolf. Er legte sein Abitur in Ehingen an der Donau ab, studierte Medizin, unter anderem in Tübingen, und radikalisierte sich. Mit 24 Jahren trat er in die NSDAP ein, mit 26 Jahren in die SS. Ein Jahr später, 1935, machte er seinen Doktor in Tübingen – und Karriere in der SS, wo er zum Obersturmführer aufstieg.

Arzt für alle Konzentrationslager

Ein kaltblütiger Typ, ein Anhänger der NS-Rassenideologie. Offenbar praktizierte er nur kurze Zeit als Arzt in Mengen oder Scheer. Danach hinterließ er Spuren in mehreren Konzentrationslagern. Erst in Auschwitz, dann in Neuengamme, Majdanek, Natzweiler-Struthof und in Vaivara. Dort wurde er Arzt für alle Konzentrationslager im besetzten Estland. Der NS-Forscher Ernst Klee hat Bodman als Erfinder der Tötung durch Injektionen mit Phenol identifiziert, eine Tötungsart, die den Opfern besonders viel Qualen zufügt. Er soll auch zahlreiche kranke Häftlinge persönlich umgebracht haben. In Auschwitz habe er sich »beim Töten von Häftlingen mit mörderischem Eifer und kalter Grausamkeit hervorgetan«, beklagt das Internationale Auschwitz-Komitee (IAK) in Berlin. Von ehelicher Treue hielt der Vater dreier Kinder auch nicht viel. Zeugen berichteten von einer Affäre mit der sadistischen KZ-Aufseherin Luise Danz, die 1947 in Polen zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.

Und an diesen Mann erinnern die von Bodmans, als ob er ein ehrenwerter Mann gewesen wäre, auf ihrem Familiengrab hinter der Kirche St. Michael. Das im Ort »Baronengrab« genannt wird. Der Name von Franz steht unkommentiert auf einer Stele unter einem riesigen Kreuz. Er tauchte dort aber erst auf, als das Grab erneuert worden war. Wann das geschah, ist nicht sicher. Jedenfalls stellte die Familie den Antrag für die Aufstellung der Stelen im Jahr 2002 an den für den Friedhof zuständigen Kirchengemeinderat. Der frühere Bürgermeister von Riedlingen, Hans Petermann, und der frühere Bürgermeister und Ortsvorsteher von Zwiefaltendorf, Artur Sauter, sind empört und halten die Stelen-Inschrift ohne Hinweise auf die Untaten von Bodman für einen »unhaltbaren Zustand«.

Franz von Bodman war den Älteren in Zwiefaltendorf als Nazi bekannt, übrigens auch dem Chef des Hauses Bodman, Graf Wilderich. Sauter erinnert sich daran, dass Franzens Witwe Maria Anna, auch Annemarie genannt, 1968 beantragte, den Namen ihres Ehemanns auf dem damals geplanten Kriegerdenkmal aufzuführen. Das lehnte der Gemeinderat der bis 1975 selbstständigen Gemeinde Zwiefaltendorf in nich töffentlicher Sitzung ab – »nach Einholung und Anhörung verschiedener Auskünfte über die Dienstverwendung des Dr. med. Franz von Bodman im Kriege 1939–45«.

Die Familie Bodman muss sich nun fragen lassen, was sie nach dieser Vorgeschichte bewogen hat, den Namen Franz in der Stele einzugravieren zu lassen. Und auch der Kirchengemeinderat muss sich der Kritik stellen. Denn als der Name Franz plötzlich auf dem Grab auftauchte, fiel dies einigen im Ort auf. Sie wandten sich deswegen an den Kirchengemeinderat. Doch der Rat sah keinen Handlungsbedarf.

Es mussten erst Berichte erscheinen über ein anderes Grab mit dem Namen von Franz, um den Rat in Bewegung zu bringen. Dieses Grab befindet sich auf dem Soldaten-Ehrenfriedhof der Gemeinde Lend im österreichischen Salzachtal. Dorthin sind die sterblichen Überreste des Freiherrn von einem früheren Grab in St. Johann im Pongau umgebettet worden, ganz offenbar in Unkenntnis seiner Identität.

Festnahme durch US-Soldaten

Wie Franz von Bodman nach Österreich kam? Als die Rote Armee 1944 anrückte, lösten die Nazis ihre Konzentrationslager im Osten auf, das deutsche Personal rückte ab. Von Bodman kam als Truppenarzt in der SS-Panzerdivision »Wiking« zum Einsatz, die auf österreichischem Boden operierte. US-amerikanische Soldaten nahmen den SS-Mediziner fest und internierten ihn im Kriegsgefangenenlager von St. Johann im Pongau. Von Bodman befürchtete wohl, als KZ-Mörder entlarvt zu werden und nahm sich im Lazarett am 25. Mai 1945 das Leben.

Auf der Stele der Bodman-Grabstelle in Zwiefaltendorf ist irgendwann unkommentiert der Name von Franz von Bodman, der nachweisli
Auf der Stele der Bodman-Grabstelle in Zwiefaltendorf ist irgendwann unkommentiert der Name von Franz von Bodman, der nachweislich an der Ermordung von KZ-Häftlingen beteiligt war, aufgetaucht. Riedlingens ehemaliger Bürgermeister Hans Petermann (links) und Artur Sauter, Ortsvorsteher von Zwiefaltendorf, wollen das nicht hinnehmen. FOTO: GROHE
Auf der Stele der Bodman-Grabstelle in Zwiefaltendorf ist irgendwann unkommentiert der Name von Franz von Bodman, der nachweislich an der Ermordung von KZ-Häftlingen beteiligt war, aufgetaucht. Riedlingens ehemaliger Bürgermeister Hans Petermann (links) und Artur Sauter, Ortsvorsteher von Zwiefaltendorf, wollen das nicht hinnehmen. FOTO: GROHE

Erst 2019 entdeckte die Bundestagsfraktion der Linken, um wen es sich in dem Grab von Lend wirklich handelt. Sie informierte die Gemeinde, und seitdem wird dort überlegt, in welcher Form über die Untaten Bodmans auf dem Friedhof informiert wird. Das von überlebenden KZ-Häftlingen gegründete IAK hat das für die Soldatenfriedhöfe zuständige österreichische Innenministerium zum Handeln aufgefordert.

Der Riedlinger Bürgermeister Marcus Schafft steht mit seiner Amtskollegin in Lend in Kontakt. Ihm schwebt vor, eine gemeinsame Lösung zu finden. Der Kirchengemeinderat von Zwiefaltendorf befindet sich inzwischen auf dem Weg dorthin. Der Rat will die Familie Bodman dazu auffordern, die Stele mit dem Namen von Franz zu entfernen. Doch damit will es der Rat nicht bewenden lassen. Das Gremium hält es nun für wichtig, »einen Beitrag zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Zwiefaltendorf zu leisten, damit öffentlich an die damaligen Gräueltaten und ihre Opfer erinnert wird«. Eine Mitteilung an die Medien dieses Inhalts ist inzwischen auch an der Bekanntmachungs-Tafel der Kirchengemeinde St. Michael ausgehängt worden – als erster Schritt zu einer Erinnerungsarbeit vor Ort.

Thema dieser Erinnerungsarbeit könnte auch ein mysteriöses Geschehnis sein, das ein unbekannter Autor in einer Schrift aus dem Jahr 2021 festgehalten hat. Demnach hat Franz von Bodman 1938 seinen Bruder Rudolf erschossen und aus einem Fenster im Obergeschoss des Schlosses geworfen, um nicht das Erbe mit ihm teilen zu müssen. Auf Nachfrage habe Franz erklärt, sein Bruder sei von einem Hund angefallen und ins Ohr gebissen worden. Danach sei Rudolf aus dem Fenster gestürzt. Sollte die Version des anonymen Autors stimmen, müsste man von einem ungesühnten Verdeckungsmord sprechen. Artur Sauter ist überzeugt von der Richtigkeit der Darstellung: »Das ist nicht erfunden, das sind Tatsachen.«

Auswirkungen auf Erbfolge

Diese Tat hatte offenbar auch Folgen für den Postboten Albert Arnold, Jahrgang 1889. Ihm musste auch bekannt gewesen sein, was im Schloss vorgegangen war. Arnold hielt vor der aufgebahrten Leiche Rudolfs Totenwache und bemerkte später: »Wenn die Zeit gekommen ist, dann red ich auch und sag, wie es wirklich war.« Die Gestapo verhaftete den Postboten im Februar 1945 und brachte ihn nach Reutlingen. Angeblich sollte er nach Pforzheim versetzt werden. Dort sei er nach dem Bericht des anonymen Autors hingerichtet worden sein. Nach offizieller Darstellung starb er bei einem Fliegerangriff. Sauter vermutet, dass Franz von Bodman in die Aktion verwickelt war. Er glaubt, dass der SS-Mann einen wichtigen Zeugen beseitigen lassen wollte.

Verbürgt ist inzwischen, dass die Causa Bodman erhebliche Auswirkungen auf die Erbfolge im Adelshaus Württemberg hatte. Nach dem Tod von Herzog Philipp (1893–1975), einem Gegner des Nazi-Regimes, sollte ihm dessen erstgeborener Sohn Ludwig als Chef des Hauses nachfolgen. Ludwig heiratete 1960 gegen den Willen seines Vaters eine Tochter Franz von Bodmans. Philipp kannte die NS-Vergangenheit Bodmans und wollte daher mit diesem Zweig der Familie nichts zu tun haben. Er schloss Ludwig von der Erbfolge aus und bestimmte dafür den zweitgeborenen Sohn Carl (1936–2022). Den Grund für diese dynastische Entscheidung hatte das Haus Württemberg unter der Decke gehalten. Bekannt wurde die Sache erst Anfang 2024.

Derweil beschäftigt sich auch der Arbeitskreis »Universität Tübingen im Nationalsozialismus« mit dem Fall Bodman. Sein Name steht nach wie vor in der Promotionsliste der Medizinischen Fakultät. Noch hat der Arbeitskreis keinen Vorschlag gemacht, wie die Universität mit der Causa umgehen soll. (GEA)