HAYINGEN. Die Aufregung bei Jägerin Susann Hahl ist groß: »Wie konnte so etwas bloß passieren? Mittlerweile sollte doch jeder Bauer wissen, dass Wiesen nicht gemäht werden sollen, ohne dass vorher nach Wildtiernachwuchs im hohen Gras gesucht wird.« Meist seien es eben Rehkitze, die von ihren Muttertieren in die Wiesen »gesetzt« würden. Die Jungtiere haben noch keinen Fluchtreflex und bleiben einfach liegen. Wenn das mechanische Mähwerk der Landmaschinen über sie fährt, endet das so gut wie immer tödlich für sie.
Nach Auffassung von Susann Hahl darf so etwas einfach nicht mehr vorkommen: »Vor allem, weil alle Bauern hier doch mittlerweile wissen, dass wir von der Jägervereinigung solche Rehkitze in den Wiesen mit unserer Drohnentechnik retten können«, empört sie sich. Der Landwirt habe das Angebot offenbar nicht wahrgenommen, um schnell seine Wiese mähen zu können, vermutet sie. Beide Rehkitze seien qualvoll verndet. »Dabei sind wir innerhalb von maximal zwei Stunden einsatzbereit. Wir können mit unseren Drohnen die Wiesen abfliegen und Rehkitze oder andere Tiere über die eingebaute Kamera sehen. Bevor es mit dem Mähen losgeht, können wir sie aus der Wiese tragen«, erläutert Hahl. Das koste den Bauern auch keinen Cent.
Gerade jetzt zwischen Ende April und Mitte Juni »setzen« die Muttertiere ihre Rehkitze ins hohe Gras der Wiesen in der Region Neckar-Alb. Auch die Jägervereinigung Reutlingen hat ein Drohnenteam und ist seither regelmäßig von den Bauern gerufen worden: »Das klappt mittlerweile wirklich gut«, lobte dann auch Martin Sautter vom Reutlinger Drohnenteam erst vor wenigen Wochen im GEA. Umso tragischer empfindet seine Kollegin den Vorfall mit den toten Rehkitzen in ihrem Jagdgebiet. Sie habe jetzt Anzeige gegen den ihr namentlich bekannten Bauern erstattet. Grundlage seien die Gesetze zum Tierschutz.
Der Landwirt, der dafür verantwortlich ist, wollte sich auf Anfrage des GEA nicht zu dem Vorfall äußern. Seine Frau deutete an, dass wegen des außergewöhnlichen Regenwetters der letzten Wochen ein enormer Zeitdruck beim Wiesenmähen geherrscht habe.

Gebhard Aierstock, Vorsitzender des Bauernverbandes im Kreis Reutlingen, äußerte sich zurückhaltend. Es sei bedauerlich, dass solche Vorfälle immer noch passieren würden. Die Drohnennrettung sei bekanntlich in letzter Zeit ausgeweitet worden und werde auch vom Bundeslandwirtschaftsministerium finanziell gefördert. Es sei unnötig, dass junge Wildtiere durch die Mahd ums Leben kommen und auch für die Bauern schlecht: »Kein Landwirt will tote Tiere im Futter für sein Vieh«, sagte er im Gespräch mit dem GEA. Durch Reste der Kadaver im Heu könnten die Tiere auf dem Hof schwer erkranken. »Da bilden sich beispielsweise hochgiftige Botulismus-Bakterien«, weiß er. Es sei also auch im Sinne der Bauern, wenn so etwas nicht passiere.
Aber er wisse auch um den Zeitdruck, den Bauern gerade in den letzten Wochen gehabt hätten, was das Mähen ihrer Wiesen betreffe. Das wechselhafte und nasse Regenwetter der letzten habe da für Wirbel gesorgt. »Dennoch muss weiter darauf geachtet werden, dass Rehkitze nicht vermäht werden. Das ist eine klare Vorgabe des Tierschutzes«, so Aierstock. Rechtlich seien Bauern aber nicht verpflichtet, die Drohnen zur etwaigen Rettung von Rehkitzen anzufordern.
Das bestätigte auch das baden-württembergische Landwirtschaftsministerium. »Landwirte können grundsätzlich selbst entscheiden, wie sie ihrer Pflicht, Kitze vor dem Mähtod zu bewahren, genügen«, teilte ein Sprecher von Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) mit. Der Einsatz von Drohnen mit Wärmebildkamera wird empfohlen und »sehr begrüßt«. Mittlerweile gebe es auch Mähwerke, die mit sogenannten akustischen Wildtierrettern ausgestattet werden könnten (System Sensosafe). Generell müsse der Landwirt sicherstellen, dass seine Flächen vor dem Mähen effektiv nach Wildtieren abgesucht würden.

Wie es jetzt weitergeht? Möglich, dass der Anzeige gegen den verantwortlichen Landwirt weitere rechtliche Schritte nach sich zieht und es möglicherweise sogar zu einem Gerichtsverfahren kommt. Das entscheiden die Strafverfolgungsbehörden je nach Einzelfall. Es wäre nicht der erste solcher Art. Erst im vergangenen Dezember hatte sich ein Bauer im Zollernalbkreis wegen ähnlicher Vorwürfe vor Gericht verantworten müssen. Er war freigesprochen worden. Ein Landwirt im Saarland hatte dagegen mehrere tausend Euro Bußgeld wegen »vermähter« Rehkitze zahlen müssen.
Das Landwirtschaftsministerium in Stuttgart wies auf Anfrage des GEA darauf hin, dass hier das Tierschutzgesetz maßgeblich ist. »Wer wissentlich Kitze vermäht oder vermähen lässt, macht sich tierschutzrechtlich strafbar (Verstoß nach Paragraf 17 Tierschutzgesetz, Töten ohne vernünftigen Grund)«, hieß es aus dem Ministerium. Das könne mit Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe bestraft werden. Entscheiden würden die Gerichte. (GEA)