Logo
Aktuell Bildung

Austausch in Hayingen: Wie Waldschulheime Wissenslücken schließen wollen

Kinder und Jugendliche sind informiert über Klimawandel und Artensterben. Die heimischen Lebensräume kennen sie aus eigener Anschauungen oft nicht mehr. Waldschulheime schließen die Lücke.

Im Waldschulheim Indelhausen trafen sich Waldpädagogen aus dem gesamten Bundesgebiet und ein Glatthaar-Fox.
Im Waldschulheim Indelhausen trafen sich Waldpädagogen aus dem gesamten Bundesgebiet und ein Glatthaar-Fox. Foto: Steffen Wurster
Im Waldschulheim Indelhausen trafen sich Waldpädagogen aus dem gesamten Bundesgebiet und ein Glatthaar-Fox.
Foto: Steffen Wurster

HAYINGEN. Dass es mit der Artenvielfalt nicht zum Besten steht, dass viele Tier- und Pflanzenarten verschwinden, wissen viele Jugendliche. Wie es in den eigenen Wäldern aussieht, was hier noch grünt, blüht, zwitschert und flattert, oft nicht mehr. »Viele Kinder, die zu uns kommen, haben noch nie einen Schritt neben einen Waldweg gesetzt«, sagt Elmar Birnbickel, Leiter des Waldschulheims in Indelhausen. Die Lücke zwischen globalem Wissen und regionaler Ignoranz zu schließen, ist eine der Aufgaben der Waldschulheime, Jugendwaldheime oder Walderlebniszentren, die es in jedem Bundesland gibt. Wie die Einrichtungen heißen, hängt nicht von den pädagogischen Ansätzen ab, eher vom politischen Hintergrund. Die Bayern sind mit ihren Erlebniszentren ein bisschen hipper, »wir wollten vom altmodischen ,Heim' weg«, sagt Albin Huber. Huber war einer der Teilnehmer am bundesweiten Treffen von Leitern und Waldpädagogen, das in diesem Jahr das Waldschulheim Indelhausen ausgerichtet hat.

Die Verantwortlichen treffen sich in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen. Auch wegen der mittlerweile fast vergessenen Corona-Restriktionen gab es eine längere Pause. 2025 war es wieder so weit, die Fachleute kamen zusammen, um sich auszutauschen über Probleme, die alle betreffen, über Dinge, die in dem einen Bundesland schon akut sind, im nächsten bald kommen könnten. Aber auch über die kleinen Besonderheiten, die jedes Heim - oder Erlebniszentrum - einzigartig machen.

Pflicht für ein Drittel der Schüler im Land

Die Waldschulheime - bleiben wir mal bei der baden-württembergischen Terminologie - haben unterschiedliche Hintergründe. In den nicht mehr so neuen Ländern sind sie kurz nach der Wiedervereinigung meist aus Ausbildungszentren für Waldarbeiter hervorgegangen. Als dieser Ausbildungsgang neu organisiert wurde, blieb die Frage, was mit den Zentren mit Übernachtungsmöglichkeiten anzufangen sei. In Baden-Württemberg und anderen Ländern reicht die Geschichte bis in die 1970er-Jahre zurück, der Club of Rome und Bücher wie »Der stumme Frühling« der Biologin Rachel Carson brachten die Umwelt ins Bewusstsein. Im Ländle gibt es den gesetzlichen Auftrag, einem Drittel aller Schüler Zugang zur Waldpädagogik - neben den Heimen mit Übernachtungsmöglichkeit und auch Waldschulen für den Tagesbesuch - zu ermöglichen. In anderen Bundesländern kann das anders geregelt sein, der Auftrag ist aber derselbe: Schülern soll gezeigt werden, was im heimischen Forst so passiert, die Aufgabe übernehmen in aller Regel Forstleute mit pädagogischer Zusatzausbildung oder seltener gelernte Lehrer mit angelerntem Forstwissen. Die ehemalige Dorfschule in Indelhausen wird jedes Jahr von etwa 1.200 Schülern und Lehrern besucht.

Albin Huber auf der noch intakten Da-Vinci-Brücke.
Albin Huber auf der noch intakten Da-Vinci-Brücke. Foto: Steffen Wurster
Albin Huber auf der noch intakten Da-Vinci-Brücke.
Foto: Steffen Wurster

Der Wald ist den Deutschen ja immer noch ein Sehnsuchtsort. Faktenwissen spielt da oft eine untergeordnete Rolle. Dass Urwald oder Bannwälder für den Artenschutz wichtig sind, ist keine Frage. Dass ein Holzbalken das vom lebenden Baum über Jahrhunderte eingesammelte CO2, bis die Hütte niederbrennt, für vielleicht weitere Jahrhunderte konserviert, schon. Das »Holzhaus-Paradoxon« - in Holz bauen aber den Wald in Ruhe lassen - kann eines der Themen sein, die den Schülern nähergebracht werden. Da bot es sich an, auch einen Ausflug der Konferenzteilnehmer nach Tübingen zu Triqbriq zu organisieren: Das Unternehmen bietet ein Baukastensystem nach Legoart aus Vollholz für den Hausbau in voller Größe an, ohne Schrauben oder Leim und selbst nach einem Abbruch noch bereit zum neuen Einsatz.

Das Holzhaus-Paradoxon erklären

In den Waldschulheimen tummeln sich Jungen und Mädchen aller Altersklassen. Eines der Ziele des bundesweiten Treffens, war es, Ideen weiterzugeben, wie man den Nachwuchs waldgerecht begeistern kann. In »Best Practice«-Beispielen zeigte etwa der Bayer Albin Huber den Bau einer Da-Vinci-Brücke: Aus ein paar rohen Fichtenstangen mit Kerben entsteht ein Übergang, selbsttragend, versetzbar und unbegrenzt belastbar. Na ja, fast unbegrenzt, unter dem falsch platzierten Gewicht der zwar durchtrainierten aber ausgewachsenen Waldpädagogen ging das Bauwerk dann doch in die Knie.

Die Anregung nahmen die Teilnehmer wahrscheinlich alle gerne mit. Interessant war aber auch der Blick auf die Unterschiede der Zentren. Von bis zu 100 Prozent Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund in den Ruhrgebietsmetropolen berichtete eine Waldpädagogin aus Nordrhein-Westfalen. Ähnliche Strukturen gibt es in Berlin. 18 Prozent der Stadt sind Wald, Wildschwein und Wolf sagen sich dort gute Nacht. Die Berliner haben aber noch ein anderes Problem: Nach Jahren der Dürre brechen die Eichen und Kiefern dort schlicht und unberechenbar zusammen. »Selbst auf den Wegen weiß ich nicht mehr, wo ich mit einer Gruppe sicher bin«, sagte die Vertreterin der Hauptstadt. Ein Problem, das auch im Norden von Baden-Württemberg akut werden könnte. Die Wölfe schienen ihr dagegen keine Sorgen zu bereiten. Ihre Thüringer Kollegen haben ähnliche Sorgen. Rund ein Fünftel des fichtenstarken Waldes hat die Kombination aus Trockenheit und Borkenkäfer bereits dahingerafft. »Da bietet sich der Klimawandel als Thema an«, so der Thüringer Pädagoge.

Gute Zeit für die Vogelbeobachtung

Die Konferenzteilnehmer hatten also viel Gesprächsstoff über die drei Tage andauernde Veranstaltung, die den Forstleuten viel Sitzfleisch abforderte. Der frühmorgendliche Ausflug entlang der Lauter, geleitet von Förster Paul Mann, bot da eine willkommene Abwechslung. Der Mann kann jeden Vogel am Gesang erkennen und tatsächlich: 27 Arten wurden am Tirilieren oder Schlagen erkannt, die alten lautmalerischen Bezeichnungen gingen leider verloren, » in der Umgangssprache singen heute alle Vögel nur noch«, bedauerte Mann. Geheimtipp für die GEA-Leser: Jetzt ist eine gute Zeit, den gefiederten Edelsteinen zu lauschen. Viele Zugvögel sind schon da, die überwinternde Vogelschar sowieso. Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung, man kann aber schon wach sein. Und da es noch weniger Gesang gibt, als in ein paar Wochen, wenn die späten Wanderer zurück sind, lässt die Solisten besser hervortreten. (GEA)