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Almut Kaisers Papier-Objekte in der Sphäre in Ehestetten

Ein Buch aufschlagen, Worte lesen, die sich zu Sätzen formen, Geheimnisse und Botschaften erkunden: Zwischen zwei Buchdeckeln verbergen sich Welten. Worte benötigt Almut Kaiser nicht. Das unbedruckte Papier ist Material, Medium und zugleich Sinn. Lesen muss jeder selbst in ihren Objekten und Collagen, die sie ab Samstag, 6. Juli in der Galerie Sphäre in Ehestetten zeigt.

Almut Kaiser vor dem »Studierplatz«: Die Tischplatte ist aus Pappe, die Pseudobücher aus Japanpapier sind verschnürt und bergen
Almut Kaiser vor dem »Studierplatz«: Die Tischplatte ist aus Pappe, die Pseudobücher aus Japanpapier sind verschnürt und bergen Geheimnisse. Foto: Cordula Fischer
Almut Kaiser vor dem »Studierplatz«: Die Tischplatte ist aus Pappe, die Pseudobücher aus Japanpapier sind verschnürt und bergen Geheimnisse.
Foto: Cordula Fischer

HAYINGEN-EHESTETTEN. Seit der Mensch der Schrift mächtig ist, benötigt er einen Untergrund, auf dem er seine Botschaften weitergeben kann. Die große Errungenschaft ist das Papier, ist der Buchdruck, um Wissenswertes festzuhalten und zu verbreiten. Dass Papier aber noch mehr kann, als als bloßer Träger für Geschriebenes zu dienen, das zeigt Künstlerin Almut Kaiser in ihren Collagen und Objekten. Papier ist auch ihr Medium, sie schafft aber nicht Kunst auf Papier, sondern Kunst aus Papier, das unbedruckt, geformt, gefärbt und bearbeitet, genäht, gerollt und gefaltet, verklebt, verknotet und geschichtet beredtes Zeugnis ablegt über die Kunst, einen Gebrauchsgegenstand zu Höherem zu erheben.

Mappen, Bücher, Hüllen, Rollen - damit und dem Material Papier beschäftigt sich Almut Kaiser in ihrem Werk.
Mappen, Bücher, Hüllen, Rollen - damit und dem Material Papier beschäftigt sich Almut Kaiser in ihrem Werk. Foto: Cordula Fischer
Mappen, Bücher, Hüllen, Rollen - damit und dem Material Papier beschäftigt sich Almut Kaiser in ihrem Werk.
Foto: Cordula Fischer

Wie in kleinen Schatzkammern sind die Objekte der Nürtinger Künstlerin in tiefen Rahmen, verschlossen mit Glas, verwahrt. Das hat praktischen Sinn, schützt diese vor Staub und anderen Umwelteinflüssen, und es erleichtert den Transport der fragilen Kunstwerke. Denn sie bestehen aus nichts mehr als Papier. Meist ist es ostasiatisches, wertvolles Seiden- oder Japanpapier. Es dient nicht als Schreibgrundlage, sondern wird unter Kaisers Händen zu Rollen, Mappen, Hüllen, Umschlägen - oder zumindest erinnern ihre Objekte daran, denn als solche Alltagsgegenstände sind sie nicht zu verwenden. Auch wie ein Buchbinder geht Almut Kaiser vor, verwendet sogar Buchbinderleim, zum Verkleben einzelner Blätter.

Die Ausstellung

Almut Kaisers Ausstellung »Objekte und Collagen aus Papier« ist von Samstag, 6. Juli, bis zum 18. August in der Galerie Sphäre, Obere Kirchstraße 14, in Hayingen-Ehestetten zu sehen. Die Vernissage beginnt am 6. Juli um 15 Uhr. Begleitend musiziert Johannes Junginger auf der Violine. Geöffnet ist die Galerie Sphäre immer samstags und sonntags von 14 bis 18 Uhr. (cofi)

Und tatsächlich entstehen so auch ganze Bücher, die sie zum Beispiel zu einer Rauminstallation namens »Studierplatz« zusammenfügt. Die meisten dieser »Pseudobücher« liegen oder stehen auf der Tischplatte und sind verschnürt. Nur eines liegt geöffnet da, drin lesen kann der Betrachter nicht - oder doch? Trotz fehlender notierter Wörter enthalten diese Bücher Botschaften, Geheimnisse, die zu lüften man mehr benötigt, als der Schriftsprache mächtig zu sein. Er muss sich einfühlen, einlassen, es ist ein zwischen den Zeilen Lesen und ein Weiterdenken vonnöten, um den Sinn der leeren, manchmal vergilbt wirkenden Seiten zu entschlüsseln, ohne dem Drang nachzugeben, die Knoten zu lösen und nachzuschauen, was sich hinter den Buchdeckeln verbirgt.

Was in den rostbraunen, verschnürten Mappen wohl verwahrt wird? Der Betrachter muss dies enträtseln, ohne die Knoten zu lösen.
Was in den rostbraunen, verschnürten Mappen wohl verwahrt wird? Der Betrachter muss dies enträtseln, ohne die Knoten zu lösen. Foto: Cordula Fischer
Was in den rostbraunen, verschnürten Mappen wohl verwahrt wird? Der Betrachter muss dies enträtseln, ohne die Knoten zu lösen.
Foto: Cordula Fischer

Die Mappen - die dafür verwendeten normierten, handgeschöpften Karten sind rostbraun gefärbt mit einer von Almut Kaisers Lieblingsfarben, Terra di Siena, dem eisenhaltigen Erdpigment aus der Nähe der italienischen Stadt - erinnern an uralte Folianten, die Wissen vergangener Jahrhunderte bewahren. Oder alte Briefe, lange nicht gelesen und doch sicher verwahrt. Die geformten und gefärbten Papier-Rechtecke gleichen Zeitschichten, übereinandergelegt, verleimt, verwoben. Auch die Mappen sind zugebunden. Denn das ist ein weiteres Thema der Künstlerin: Schnüre und Knoten. »Das Leben ist geheimnisvoll, es lässt sich schwer erkunden.« Und es sammeln sich in einem Leben seitenweise Geschichten, Erlebnisse, Erfahrungen. Solche, die auch Almut Kaiser künstlerisch umsetzen wollte. »Es gab eine Phase im Leben, da habe ich gemerkt, dass das zwingend notwendig ist.«

Das Notebook. An was soll es erinnern?
Das Notebook. An was soll es erinnern? Foto: Cordula Fischer
Das Notebook. An was soll es erinnern?
Foto: Cordula Fischer

Das Objekt »Notebook« ist für Kaiser kein modernes Gerät, sondern ein aufgeblättertes, aufgefächertes Notizbuch, das mit herausgerissenen Seiten und einzelnen Zetteln an Wichtiges erinnern soll. An was? Vielleicht an die Vergänglichkeit, vielleicht daran, doch den einen oder anderen Knoten zu entknüpfen, vielleicht daran, ein neues Kapitel aufzuschlagen.

»Wrap«: Holzstäbe und Papier, in Papier gehüllt.
»Wrap«: Holzstäbe und Papier, in Papier gehüllt. Foto: Cordula Fischer
»Wrap«: Holzstäbe und Papier, in Papier gehüllt.
Foto: Cordula Fischer

Almut Kaiser, 1943 geboren, hat erst nach der Geburt ihrer Töchter 1977 im Alter von 34 Jahren ihr Kunststudium aufgenommen und wirkt seit 1980 als freischaffende Künstlerin. Zunächst arbeitete sie mit textilen Materialien, seit den 1990er-Jahren beschäftigt sie sich mit Papier, zunächst als Stoff für Collagen oder dann auch räumlicher werdend. »Das Materialimmanente zu erkunden ist eine spannungsvolle Angelegenheit«, sagt sie. Struktur und Beschaffenheit bestimmen immer auch das Erscheinungsbild ihrer Objekte, die sie mit reduzierter Farbpalette gestaltet. »Ich bin erdverbunden und verwurzelt, habe aber auch das Gefühl von der Sphäre.« So kommen Schwarz, Weiß, Grautöne, Terra di Siena zum Einsatz oder Ultramarinblau, ursprünglich aus Lapis Lazuli gewonnen, das verdünnt etwas Luftiges haben kann. Manchmal setzt sie Schwarz und Weiß in Kontrast zueinander, ein Streifen, ein Band schafft dazwischen Verbindung, Korrespondenz entsteht.

Schwarz und Weiß, die größten Kontraste, dazwischen entsteht aber Verbindung und Korrespondenz.
Schwarz und Weiß, die größten Kontraste, dazwischen entsteht aber Verbindung und Korrespondenz. Foto: Cordula Fischer
Schwarz und Weiß, die größten Kontraste, dazwischen entsteht aber Verbindung und Korrespondenz.
Foto: Cordula Fischer

Auch zeigt Almut Kaiser Rollen-Objekte. Vielleicht inspiriert durch die Schriftrollen von Qumran. Manche wirken tatsächlich so, als stammen sie aus einer archäologischen Ausgrabungsstätte, der Betrachter muss sie gleich dem Ausgräber und Wissenschaftler einordnen, enträtseln, ihnen ihre Bestimmung entlocken. Kaiser kombiniert ihre schriftlosen Papierrollen aus zurechtgeschnittenen Streifen und Bögen aber auch mit Holzstäbchen, die dem zarten Papier ein Gerüst geben. Die Stäbe stützen und gehen eine spezielle Verbindung mit dem Papier ein, bilden ein Gitter, ein Netzwerk, stabilisieren, aber geben den Blick durch dieses Gitter dennoch frei auf die Rolle, die das Papier dahinter spielt.

Aus der Auseinandersetzung mit dem Thema »Rollen« entstehen Objekte.
Aus der Auseinandersetzung mit dem Thema »Rollen« entstehen Objekte. Foto: Cordula Fischer
Aus der Auseinandersetzung mit dem Thema »Rollen« entstehen Objekte.
Foto: Cordula Fischer

Während der Pandemie sind reliefartige Bilder entstanden. »Knitted« nennt Kaiser diese Serie, in der sie Schnüre verwebt, die die dunkle Leinwand wie ein Geflecht oder Gespinst überziehen. Gleich einem zerstörten Mosaik setzt Kaiser bei anderen Objekten aus der Reihe »mended« (repariert, geflickt) Papierfragmente, Schnipsel, Reste zu einem ästhetischen Ganzen zusammen. Es steht »der Wunsch, etwas ganz zu machen, etwas zu heilen« dahinter. Oder - wie bei der Serie »Wrap« - sie wickelt Papierstreifen und Stäbe ein, in Papier, gleich einem zerbrechlichen Kokon. (GEA)

Gefaltet, übereinandergeschichtet, auseinandergefächert, verleimt: Der Werkstoff Papier bietet Almut Kaiser große Varianz.
Gefaltet, übereinandergeschichtet, auseinandergefächert, verleimt: Der Werkstoff Papier bietet Almut Kaiser große Varianz. Foto: Cordula Fischer
Gefaltet, übereinandergeschichtet, auseinandergefächert, verleimt: Der Werkstoff Papier bietet Almut Kaiser große Varianz.
Foto: Cordula Fischer