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Aktuell Gasthaus

125 Jahre Altes Lager: Bierwirtschaft und Kult(ur)kneipe

Die Geschichte des Gasthauses Lichtenstein reicht bis in die Anfangszeiten der Kaserne zurück

Die Geschäfte liefen gut – bis der Erste Weltkrieg kam. Der damalige Eigentümer Johann Schneider ging pleite.  FOTO: SAMMLUNG LE
Die Geschäfte liefen gut – bis der Erste Weltkrieg kam. Der damalige Eigentümer Johann Schneider ging pleite. FOTO: SAMMLUNG LENK
Die Geschäfte liefen gut – bis der Erste Weltkrieg kam. Der damalige Eigentümer Johann Schneider ging pleite. FOTO: SAMMLUNG LENK

MÜNSINGEN. Mehr als ein Jahrhundert lang war das Lokal »Lichtenstein« zwischen dem Auinger Vorlager und Böttingen ein Begriff für gutbürgerliche Küche, später dann zudem ein Geheimtipp für leckere Eisbecher, bevor dort Musik und Kabarett vom Feinsten geboten wurden. Seit 20 Jahren wird dort nicht mehr gekocht und musiziert.

Rückblick: 1898 eröffnete damals ein gewisser Albert Britsch die »Ennabeurer Bierhalle zum Lichtenstein« auf Böttinger Gemarkung im Hahnensteig Nummer 8. Das am Hang liegende Gebäude hatte im Untergeschoss ein Schlachthaus und einen Viehstall. Der Standort schräg gegenüber dem Ost-Eingang zum Alten Lager (heute Albgut) wurde bewusst gewählt, da sich die Kaserne zu dieser Zeit im Aufbau befand.

Bis nach dem Ersten Weltkrieg lief die Restauration gut, danach brach das Geschäft ein, sodass sich der der neue Wirt Johann Schneider, der das Lokal 1901 gekauft hatte, immer mehr verschuldete. Das Ende vom Lied war die Zwangsversteigerung 1921. Danach übernahm das Ehepaar Schaible das Lokal. Es richtete eine Bierwirtschaft ein, das ihm ein sicheres Einkommen bescherte. Nach dem Zweiten Weltkrieg beschlagnahmte das französische Militär die Küche der Wirtschaft. Im großen Saal verpflegten Militärköche die Herren Offiziere. Die Zimmer im Ober- und Untergeschoss konnten die Eigentümer weiterhin nutzen.

Später kamen die Touristen

Ende der 1940er-Jahre gaben die Franzosen das Restaurant zurück. Friederike Schaible eröffnete das Lokal wieder als Bierwirtschaft mit kleinen Gerichten. 1953 heiratete ihre 20-jährige Stieftochter Maria Georg Striebel. Gemeinsam übernahmen sie das Lokal, das aber ausschließlich Maria und Frederike betrieben. Ihre Gäste kamen in der Anfangszeit überwiegend aus dem Alten Lager: französische Soldaten und zivile Beschäftigte bei der Kommandantur.

Das änderte sich mit der Zeit. Nach und nach kamen auch Hungrige aus den umliegenden Dörfern, später dann auch Touristen. Kein Wunder: Auf der Rückseite der Postkarten wurde mit »dem Haus der guten Einkehr, mit der bekannt guten Küche, Keller und den Räumlichkeiten für Gesellschaften« geworben. Zudem gab es den Hinweis, dass in 200 Meter Entfernung »Wintersport mit dem Skilift« möglich sei, den es dort seit Anfang 1963 gab. Es war der erste Skilift weit und breit auf der Schwäbischen Alb.

Das Nebenzimmer war in erster Linie für Feierlichkeiten reserviert. 40 Hochzeiten im Jahr waren keine Seltenheit. Anfang der 1970er-Jahre speisten einmal im Lokal knapp 150 Gäste des Bundesbauamts Tübingen, die die Einweihung des ersten Teilstücks der 38 Kilometer langen Panzerringstraße rund um den Truppenübungsplatz feierten. Georg Striebel war ebenfalls mit dabei, nicht nur in der Funktion als »Lichtenstein«-Wirt, sondern zudem als Ortsvorsteher von Böttingen. Seit der Eingemeindung des bislang eigenständigen Ortes nach Münsingen im Juli 1971 hatte er dieses Amt eine Wahlperiode lang inne.

Zur selben Zeit kam Striebels Sohn Karl auf die Idee, in Zukunft Speiseeis im Lokal anzubieten. Dieser Vorschlag schlug ein wie eine (Eis)Bombe. Im Lauf der Zeit wurden sage und schreibe 22 leckere Langnese-Eissorten und teilweise bis zu 50 verschiedene Eisbecher angeboten. So viele wie in keinem anderen Lokal auf der Mittleren Alb. Übrigens: Inzwischen hat sich Karl Striebel, der in Reutlingen lebt, in Baden-Württemberg einen Namen als Maler gemacht.

Mitte der 1980er-Jahre war es schwierig, gutes Servicepersonal zu bekommen, das langfristig dem Lokal treu blieb. Deshalb entschloss sich die Familie Striebel Mitte 1988, den »Lichtenstein« an die Olpp-Brauerei in Urach zu verkaufen. Die verpachtete das Lokal Ende 1988 an ein anderes Wirtsehepaar. Ihr Konzept ging nicht auf, sodass der »Lichtenstein« im Jahr darauf bereits wieder schloss. Danach, kurz nach dem Mauerfall, diente das Haus eine Zeit lang Aus- und Übersiedlern als vorübergehende Bleibe.

Von Herbst 1990 an pachtete Calogero »Lee« Lentini aus Gomadingen das »Licht’n’stein« (neue Schreibweise) und machte daraus eine Kulturkneipe. Die abgelegene Lage war für so ein Lokal bestens geeignet. An den Wochenenden standen bekannte Szenegrößen auf der Bühne. Bands aus der Region wie zum Beispiel »Blueskraft«, »Alex Oriental Experience«, »Combo Latino«, »Hippy Hoppers«, »Stoneage«, »Shake your wife«, »Chelsea«, »Can Do«, »Schabernack«, »English Connection« und »Yypsys«. Aber auch Musiker aus dem Ausland kamen nach Böttingen. Unter anderen die US-amerikanische Jazz-Pianistin Katie Webster, der britische Bluesrock-Gitarrist Stan »The Man« Webb mit seiner Band Chicken Shack, der US-amerikanische Bluesmusiker Louisiana Red sowie der britischer Rock’n’Roll- und Blues-Gitarrist Nick Woodland. Ab und zu strömten bis zu 300 Fans zu den Konzerten.

Heute nur noch Wohnhaus

Kabarett war ebenfalls im Angebot. Uli Keuler, die »Murx Brothers«, »Erotic Explousch’n«, Martin Schneider und viele andere Künstler traten dort auf. Im Frühjahr 2000 hörte Lentini aus »persönlichen Gründen« auf. Das letzte Konzert fand am 12. Februar 2000 statt. Auf der Bühne standen »Under Cover«, die Nachfolgeband der legendären Münsinger Rockband »Can Do«. Wenige Wochen später gingen in der Kulturkneipe für immer die Lichter aus.

Danach stand das Gebäude rund drei Jahre leer, bevor es die Familie Schmidt von der Bad Uracher Privatbrauerei Olpp kaufte und es renovierte. Sie verpasste dem mehr als 100 Jahre alten Gebäude, das nun als Wohnhaus genutzt wird, einen markanten Anstrich in Gelb, Orange und Rot. Der Gastraum samt Theke von anno dazumal existiert noch. Es scheint so, als wäre die Zeit stehen geblieben. Ebenso hängt noch wie vor die »Lichtenstein«-Reklame über dem Eingang – auch wenn längst keine Gäste mehr bewirtet werden. An die Zeiten, als das noch so war, erinnert die Auszeichnung »Gute Gaststätte im Landkreis Reutlingen« von 1977/78 bis 1987/88, die noch im Fenster neben der Eingangstüre hängt. (GEA)

 

BUCH ZUM JUBILÄUM

Vor 125 Jahren ließ der württembergische König Wilhelm II. den Truppenübungsplatz im Münsinger Hardt und die dazugehörige Kaserne, das Alte Lager, errichten. Wie so vieles andere sind die Jubiläumsfeierlichkeiten fast vollständig Corona zum Opfer gefallen. Der GEA beleuchtet die Geschichte der Kaserne und ihrer Umgebung in loser Folge. Autor Joachim Lenk kennt das Alte Lager und seine Geschichte wie kaum ein anderer – als Zeitsoldat und Reserve-Offizier, aber auch als Journalist und Hobby-Militärhistoriker. Seine Recherchen, Zeitzeugenberichte und umfangreiches Bildmaterial veröffentlicht er in Büchern. Zum Jubiläum ist der Band »Baracken, Bataillone und Bâtiments« erschienen. (ma)

www.alteslager.com