Logo
Aktuell Prozess

Wahnvorstellungen und Stimmen gehört: 28-Jähriger vor Gericht in Reutlingen

Wegen Entziehungstherapie: Amtsgericht Reutlingen leitet Verfahren gegen einen 28-jährigen Somalier aus einer Kreisgemeinde ans Landgericht Tübingen weiter.

Am Freitag stand ein 28-jähriger Somalier vor dem Reutlinger Amtsgericht, weil er sich unter anderem vor Rathausmitarbeiterinnen
Am Freitag stand ein 28-jähriger Somalier vor dem Reutlinger Amtsgericht, weil er sich unter anderem vor Rathausmitarbeiterinnen entblößt und sich in sexueller Absicht Kindern genähert haben soll. Foto: Norbert Leister
Am Freitag stand ein 28-jähriger Somalier vor dem Reutlinger Amtsgericht, weil er sich unter anderem vor Rathausmitarbeiterinnen entblößt und sich in sexueller Absicht Kindern genähert haben soll.
Foto: Norbert Leister

KREIS REUTLINGEN. Zweiter Verhandlungstag vor dem Amtsgericht Reutlingen: Drei Zeugen und ein Sachverständiger berichteten am Freitag über ihre ganz persönlichen Erlebnisse mit einem 28-jährigen Somalier, dem vorgeworfen wird, er habe zwei Rathausmitarbeiterinnen beleidigt, bespuckt und sich obendrein vor ihnen entblößt.

Das war am 4. März dieses Jahres, nur einen Tag später soll sich der Somalier Kindern an einer Bushaltestelle genähert und sie an Kopf und Arm gestreichelt haben. Eine Frau, die eingeschritten ist, habe der Mann ebenfalls beleidigt, bespuckt und getreten. Auch hier wurde, wie am Rathaus, die Polizei hinzugerufen.

Wie sich der Angeklagte schon mehrfach gegenüber Polizeibeamten verhalten hat, berichteten zwei Betroffene. Am 17. Februar etwa soll er in einem Supermarkt ebenfalls sein Genital gezeigt haben. Als die Polizei kam, habe der Mann sehr aggressiv reagiert, sodass die Beamten sich wehrten und den Mann am Boden fixierten. »Dann versuchter er immer noch, uns anzuspucken und zu treten«, sagte der Polizist.

Zierliche Gestalt, aber Bärenkräfte

Trotz seiner zierlichen Gestalt habe der Angeklagte riesige Kräfte mobilisiert, selbst als vier Personen ihn auf einer Trage festhielten, habe er einen der Polizeibeamten durch eine FFP2-Maske hindurch in den Unterarm gebissen. Auch der zweite Zeuge berichtete von einem ähnlich kämpferischen Verhalten des 28-Jährigen.

»Die Bevölkerung der Gemeinde ist sehr verunsichert«, konstatierte Richter Eberhard Hausch. Das bestätigte auch eine Bäckereiverkäuferin, die den Mann stets besonders schnell bedient hatte, »damit er schnell wieder geht«. Bei seinen Übergriffen sei der Somalier jeweils alkoholisiert und womöglich auch unter Cannabiseinfluss gestanden, hatten die Zeugen ausgeführt.

Bestätigt hat das der gerichtlich bestellte psychiatrische Sachverständige Dr. Hubertus Friederich in der Verhandlung. Schon im März 2023 habe er den Angeklagten wegen einer anderen Straftat untersucht. Bei einer erneuten Begutachtung zwischen dem 29. Oktober und 5. November dieses Jahres hat Friederich mit einer Neuroleptikum-Behandlung begonnen. Diese habe gut gewirkt, seitdem sei der Angeklagte sehr freundlich und nett, schilderte der Sachverständige. Der Somalier selbst betonte, dass er die Depotspritze weiter bekommen wolle: »Ich will diesen Stress nicht mehr.«

Spritze mit Neuroleptikum wirkt

Der Psychiater berichtete, dass der Angeklagte immer wieder unter Wahnvorstellungen leide und auch Stimmen gehört habe. Offensichtlich habe er sich durch Alkohol und Cannabis Linderung erhofft – was aber ein Trugschluss war. Statt Erleichterung kam es zur Abhängigkeit von beiden Suchtmitteln.

Während der Behandlung mit Neuroleptika sei anzunehmen, so Friederich, dass der 28-Jährige keine weiteren Straftaten begehen werde – selbst, wenn er weiter Suchtmittel zu sich nehme. Doch wie soll es nun weitergehen mit dem Mann? Eine Unterbringung in einer Entzugsklinik wäre möglich. Aber wäre sie auch sinnvoll? »Er hat keine Krankheits- und Behandlungseinsicht«, so der Psychiater.

Die schlechten Sprachkenntnisse des Angeklagten sprächen zudem nicht für einen zweijährigen Entzug. Aber: »Die Depotspritze ist wichtig.« Nach einem längeren Gespräch mit dem Richter kam Friederich zu der Überzeugung: »Es handelt sich bei dem Angeklagten offensichtlich um eine Basiserkrankung einer paranoiden Schizophrenie.« Der Versuch, die Symptome mit Alkohol und Cannabis zu bekämpfen, habe jedoch dazu geführt, dass der Mann »enthemmter und weniger steuerungsfähig war«.

Landgericht soll über Klinikeinweisung entscheiden

Ohne die psychiatrische Erkrankung wäre der Somalier wohl nie so abhängig von den Suchtmitteln geworden, erklärte der Sachverständige. Die Depotspritze mit dem Neuroleptikum führe nun zumindest dazu, dass er keine Wahnvorstellungen mehr habe. »Wenn er die Spritze kriegt, dann würde er wohl zumindest keine Straftaten mehr begehen«, sagte Hausch. Und vielleicht auch weniger Alkohol konsumieren.

Allerdings bleibe die Frage nach der Einweisung in eine psychiatrische Klinik, um die Alkoholabhängigkeit zu bekämpfen. Dies dürfe jedoch nur das Landgericht veranlassen – weshalb der Richter das Verfahren dorthin weiterleitete. Immerhin nahm Friederich dem Angeklagten das Versprechen ab, sich alle vier Wochen die Spritze abzuholen. »Ich würde sie ihm auch persönlich geben«, so der Psychiater. (GEA)