Logo
Aktuell Grünschnitt

Vom Käfer bis zum Stromnetz

Obst- und Gartenbauvereine Eningen und Lichtenstein beteiligen sich an bundesweitem Projekt

Christina Brandhorst von der Universität Hohenheim begleitet in ihrer Doktorarbeit das bundesweite Forschungsprojekt zur Verwend
Christina Brandhorst von der Universität Hohenheim begleitet in ihrer Doktorarbeit das bundesweite Forschungsprojekt zur Verwendung von Grünschnitt in Biogasanlagen. Deshalb mäht sie regelmäßig auf einer Wiese beim Unteren Lindenhof in Eningen. FOTO: LEISTER
Christina Brandhorst von der Universität Hohenheim begleitet in ihrer Doktorarbeit das bundesweite Forschungsprojekt zur Verwendung von Grünschnitt in Biogasanlagen. Deshalb mäht sie regelmäßig auf einer Wiese beim Unteren Lindenhof in Eningen. FOTO: LEISTER

ENINGEN/LICHTENSTEIN. Es geht um viel bei dem dreijährigen Versuch, um sehr viel. »Es ist ein unglaublich spannendes Projekt«, betont Dr. Andreas Lemmer von der Landesanstalt für Agrartechnik und Bioenergie der Universität Hohenheim. Auch der Reutlinger Kreisfachberater für Obst- und Gartenbau, Ulrich Schroefel, stimmt dem vorbehaltlos zu: »Das ist eine ganz tolle Geschichte.« Wovon sind die beiden Fachleute denn so begeistert? Etwas zugespitzt geht Lemmers Angaben von besseren Lebensbedingungen »der Käfer im Kreis Reutlingen bis hin zur Stabilisierung des Stromnetzes in Deutschland«. Lemmer ist im Übrigen zuständig für »die forschungsbezogene Leitung der Biogasanlage in Eningen«.

Und diese Anlage steht zunächst im Mittelpunkt: Dort soll herausgefunden werden, ob und wie »Biomaterialien saisonalisiert und flexibilisiert« werden können, wie Schroefel erläutert. Oder anders ausgedrückt: Es wird nun drei Jahre lang untersucht, unter welchen Bedingungen Grünschnitt von den Wiesen in den FFH-Gebieten der Region möglichst effektiv in Biogasanlagen genutzt werden kann. Ausgangspunkt dafür (und auch für das gesamte Projekt) war aber ein anderer: Auf den privaten Streuobstwiesen in Lichtenstein, Eningen und Pfullingen fällt jährlich so einiges an Grünschnitt an. »Weil diese Privatflächen aber nicht wirtschaftlich genutzt werden, muss der Grünschnitt privat entsorgt werden«, betont Ulrich Schroefel.

»Auf unseren Wiesen wächst kein Müll«

Die einzige Sammelstelle dafür ist in Dußlingen und wir als Privatgrundstücksbesitzer müssen für die Entsorgung auch noch bezahlen", ärgert sich Rolf Schäfer vom Obst- und Gartenbauverein (OGV) Eningen ebenso wie Alfons Reiske vom OGV Lichtenstein. Denn laut Gesetz muss der Grünschnitt wie Abfall behandelt werden, erklärt Schäfer und hebt hervor: "Auf unseren Wiesen wächst aber kein Müll."

Gespräche mit dem Landratsamt Reutlingen und dem Regierungspräsidium Tübingen schlugen lange fehl. Weil aber die Stücklesbesitzer die für den Naturschutz bedeutenden Wiesen pflegen, so das Argument der Vereine, müsse es doch auch eine vernünftige Lösung des Problems geben, bei dem die engagierten Obst- und Gartenbauer nicht auch noch drauflegen. Als Grünflächenberater Schroefel schließlich auf die Uni Hohenheim zuging, wurde er dort mit offenen Armen empfangen. »Es geht immerhin um mehr als 1 000 Hektar FFH-Flächen«, so Andreas Lemmer. Genau diese Flächen sollen nun zweimal pro Jahr von Lohnunternehmern gemäht werden, »um die Verbuschung zu verhindern.« Auf diese Weise soll mit dem Projekt auch ein Beitrag dafür geleistet werden, die Artenvielfalt auf den Wiesen zu erhalten oder gar zu vermehren.

Laienhaft ausgedrückt werde dank des Mähens und durch die Abfuhr des nährstoffreichen Grünguts mehr Platz geschaffen für Pflanzenarten und damit auch für mehr Insekten. Auch das sei, so Lemmer, ein Teil des bundesweiten Forschungsprojekts – an dem nicht nur die hiesige Region beteiligt ist, sondern eine weitere in Brandenburg. Dort wird die Mahd allerdings ins Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioenergie Potsdam geliefert und umfangreich untersucht.

Genauso geschieht es in Eningen auf einem Versuchsfeld des Unteren Lindenhofs: Dort werden jede Woche drei Quadratmeter gemäht »und über die gesamte Vegetationsperiode untersucht, wie sich die Zusammensetzung der Pflanzen verändert«, erklärt Lemmer. Durch »eine detaillierte Analyse des Grases« mit sämtlichen Inhaltsstoffen – wie etwa Eiweiß, Fett, Kohlenhydrate, Zucker, Eisen und anderem mehr – soll schlussendlich möglichst eine »Formel für die Methanerträge von Gras jeglicher Herkunft in Abhängigkeit vom Alter« gefunden werden, erläutert der Wissenschaftler. »Das ist Grundlagenforschung.« Ziel dieses Aufwands ist es, zu erreichen, dass mit der Nutzung von Gras »Biogasanlagen als Regelenergie-Lieferanten genutzt werden können«. Und zwar genau dann, wenn zu wenig Wind- und Sonnenenergie zur Verfügung steht. Das gelte für die Zukunft, wenn mindestens 80 Prozent der benötigten Energie aus regenerativen Energiequellen stammen werden.

»Biogasanlagen könnten Regelenergie-Lieferanten werden«

Im Sommer liefern Fotovoltaikanlagen viel Energie. Strom aus Biogasanlagen wird daher tagsüber wenig benötigt. Gras könnte aber als »schwer verwertbarer Stoff« nachts eingesetzt werden, betont Lemmer. Denn Biogasanlagen werden im Sommer nicht völlig heruntergefahren, sondern nachts mit einer Teillast von rund einem Viertel der Volllast betrieben. Und dafür könnte Grünschnitt verwertet werden.

Im Winter hingegen, »wenn viel Strom und Wärme benötigt werden, können andere nachwachsende Rohstoffe wie Silomais oder Ganzpflanzensilage genutzt werden«, erläutert Lemmer. Letztendlich würde mit der Nutzung des Grases von Wiesen aus dem Landkreis Reutlingen ein Beitrag dazu geleistet, dass das gesamte Stromnetz in Deutschland stabil bleibe. Gleichzeitig könne das Projekt dazu beitragen, dass Wiesenblumen, Kräuter, Käfer und andere Insekten sich auf den Wiesen ungehindert entwickeln.

Eines müsse dabei aber klar sein, betont Ulrich Schroefel: »Wir brauchen jetzt in der Anfangsphase keine weiteren Flächen, die gemäht werden sollen.« Nächstes Jahr könne und werde das voraussichtlich anders aussehen. (GEA)

 

PROJEKT GRÜNSCHNITT

Drei Jahre wöchentlich drei Quadratmeter Gras mähen

Christina Brandhorst mäht im Rahmen des bundesweiten Projekts »Bioenergie saisonalisieren und flexibilisieren« drei Jahre lang jede Woche drei Quadratmeter Gras auf Eninger FFH-Wiesen und untersucht den Grünschnitt. Sie tut dies für ihre Doktorarbeit im Bereich Agrarwissenschaften an der Uni Hohenheim. Die Doktorandin möchte herausfinden, welches der optimale Zeitpunkt im Jahr ist, damit Grünschnitt möglichst methanhaltig in Biogasanlagen verwendet werden kann. Dabei werden auch nachhaltige Naturschutzfragen eine große Rolle spielen, erklärt sie. (nol)