Es ist eine Geschichte über Widerstand, Vernunft und den Mut, sich gegen blinden Gehorsam und Parteiwahn zu stellen. Drei Tage lang, vom 20. bis zum 22. April 1945, widersetzten sich Pfullinger Frauen der Anordnung nationalsozialistischer Befehlshaber, Pfullingen gegen die Franzosen zu verteidigen. Sie riskierten ihr Leben, um ein aus ihrer Sicht sinnloses Blutvergießen zu verhindern. Der Krieg war eigentlich längst verloren, das war allen klar, die nicht an Wunder glaubten.
Die Franzosen näherten sich bereits der Echazstadt. Doch es gab den Befehl, Pfullingen so lange wie möglich zu verteidigen. Die Nachricht breitete sich wie ein Lauffeuer aus. Erst recht, als bekannt wurde, dass der Kampfkommandant Julius Kieß die Bemühungen des damaligen Bürgermeisters Johannes Broß, die Stadt friedlich zu übergeben, vom Tisch gewischt hatte. Kieß machte deutlich, dass er allein das Sagen habe.
Dem Rat zur Flucht widersetzt
Eine Aussage, die die Pfullinger Frauen so nicht hinnehmen wollten. Ihnen war schon Anfang April 1945 geraten worden, die Stadt gemeinsam mit ihren Kindern zu verlassen, und sich ins Oberland abzusetzen. Schon damals widersetzten sie sich dem Rat, schilderte der Pfullinger Fabrikant Albert Gayler in seinen Erinnerungen an das Kriegsende: Die Frauen würden lieber mit ihren Männern und Pfullingen zugrunde gehen, als irgendwo am Straßenrand zu verhungern.
Es waren vermutlich die Aussagen des Kampfkommandanten Kieß sowie die schmerzvollen Verluste von Angehörigen, die dem Krieg zum Opfer gefallen waren, die die Frauen nicht mehr hinnehmen wollten. Sie drängten auf die Straße. Am Nachmittag des 20. April begannen also mehrere von ihnen, die Panzersperren in der Gönninger Straße abzubauen.
Vorausgegangen waren wohl auch unbedarfte Aussagen von Bürgermeister Broß auf die Frage, ob die Sperren nicht beseitigt werden könnten, dass dies wenn dann nur von Frauen getan werden könnte, da den Männern sonst die Erschießung drohe. Es kam wohl auch zu Handgreiflichkeiten: Ein Hitlerjunge soll auf eine Frau eingeschlagen haben und Kieß, der ebenfalls vor Ort war, allen anwesenden mit Denunzierung beim NS-Kreisleiter gedroht haben. Er machte deutlich, dass er nicht bereit war, die Verteidigung der Stadt aufzugeben.
Zahl der Frauen unbekannt
Daraufhin zogen die Frauen vor das Pfullinger Rathaus. Wie viele es waren, kann nicht genau gesagt werden. Kieß sprach von 50 bis 60 Frauen, Sofie Schlegel, die den Franzosen mit einer weißen Fahne entgegengelaufen sein soll, um sie zur friedlichen Besetzung der Stadt zu überreden, von mehr als tausend.
Versuche, die Versammlung aufzulösen, scheiterten. In der damals noch im Rathaus untergebrachten Polizeiwache soll es zu dramatischen Szenen gekommen sein. Unter anderem habe Kieß eine Frau mit einer Pistole bedroht. Doch die Demonstrantinnen blieben standhaft – und das in einer Zeit, in der ein solches Auflehnen nicht selbstverständlich, sondern sogar lebensgefährlich war.
Vermutlich in Folge eines Tieffliegeranflugs wurde die erste Versammlung aufgelöst. Noch am selben Tag sollen die Frauen ein zweites Mal vor das Rathaus gezogen sein. Kieß, der weiterhin nicht auf die Forderungen reagierte, setzte sich ab und floh. Doch auch nach seinem Verschwinden wurden die Bemühungen, die Stadt zu verteidigen, weitergeführt, jetzt unter dem Oberbefehl des Reutlinger Kampfkommandanten Wilhelm Oexle.
Im Verlauf der Nacht vom 21. auf den 22. April wurde etwa die Eisenbahnbrücke über der Klosterstraße gesprengt: Die Zugverbindung war gekappt und eine neue Straßensperrung errichtet. Berichte legen nahe, dass die Sperren in diesen Tagen wiederholt ab- und wieder aufgebaut wurden.
Mäßiges Artilleriefeuer
Als am 22. April 1945 dann die französischen Truppen in Pfullingen einmarschierten, hatte Julius Kieß wieder das Kommando in der Stadt übernommen. Um vermutlich erneutes Auflehnen gegen seinen Verteidigungsbefehl zu unterbingen, drohte er mittlerweile, auch französische Kriegsgefangene zu erschießen, sollten diese sich an diesem Sonntagmorgen auf den Weg nach Reutlingen machen wollen. Zudem ließ er neue Straßensperren errichten. Gegen Mittag lag Pfullingen dann unter mäßigem Artilleriefeuer, das unter anderem zur Beschädigung des Turms der Martinskirche und des Schönbergturms führte.
Der eigentliche Einmarsch begann dann in den frühen Abendstunden. Zahlreiche Gebäude an der heutigen Marktstraße und in der Kirchstraße wurden dabei beschädigt, Personen jedoch nicht verletzt. Was letztlich den Ausschlag für den doch insgesamt friedlichen Einmarsch der Franzosen gegeben habe, sei heute nicht mehr nachvollziehbar.
Eines scheint aber sicher: Die Pfullinger Frauen haben sich im April 1945 vermutlich gefürchtet, als sie sich gegen den NS-Kampfkommandant und seine Befehle widersetzten. Doch sie flüchteten nicht. Heute erinnert eine Stele vor dem Pfullinger Rathaus an die mutigen Frauen. Denn einige Geschichten dürfen nicht in Vergessenheit geraten. (GEA)