Logo
Aktuell Prozess

Fahrlässige Tötung in Pfullingen? Mann vor Gericht

Weil er in einem Wohngebiet in Pfullingen eine Frau angefahren hat, die aufgrund ihrer schweren Verletzungen gestorben ist, muss sich ein Mann vor dem Reutlinger Amtsgericht verantworten. Der Vorwurf: Fahrlässige Tötung.

Justitia
Eine Figur der blinden Justitia. Foto: Sonja Wurtscheid/DPA
Eine Figur der blinden Justitia.
Foto: Sonja Wurtscheid/DPA

PFULLINGEN/REUTLINGEN. Ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit und schon kann es zu einem Verkehrsunfall mit verheerenden Folgen kommen. Vor dem Reutlinger Amtsgericht musste sich ein 32-jähriger Mann verantworten, dem ein solches Schicksal widerfahren ist. Vor rund einem Jahr hatte er in einem Pfullinger Wohngebiet eine damals 74-jährige Fußgängerin, die gerade die Straße überqueren wollte, zu spät bemerkt und sie angefahren. Die Seniorin erlitt schwere Kopfverletzungen, an denen sie zwei Wochen später starb. Der Vorwurf gegen den Angeklagten lautete: fahrlässige Tötung. Doch so schnell ist der Fall nicht geklärt.

Ein wichtiges Detail führte dazu, dass der Angeklagte, der die Tat gestanden hatte, eine härtere Strafe erhielt, als von seinem Verteidiger angedacht: Er ist zu schnell gefahren. Statt der erlaubten 50 Stundenkilometer (km/h), sei er - so der von einem Gutachter errechnete Wert - mit 58 km/h unterwegs gewesen. Für die Staatsanwaltschaft war klar: Der Angeklagte sei »ungebremst und ohne auszuweichen« auf die Fußgängerin zugefahren - zum Zeitpunkt der Kollision soll er noch 55 km/h gefahren sein.

Mitverschulden der Fußgängerin

»Jeder Tod ist tragisch, das wollen wir gar nicht infrage stellen«, erklärte Verteidiger Urs-Gunther Heck. Ihm fehle in der Anklage jedoch ein wichtiges Detail: die Schuld der Fußgängerin. Die Seniorin sei nicht über einen Fußgängerüberweg gelaufen und weil die Straße den Kraftfahrern gehöre, müssten Fußgänger mit Autos rechnen. Auch die 8 km/h, die sein Mandant zu schnell gefahren sei, seien nicht erheblich. Damit müsse man als Fußgänger rechnen. Für Urs-Gunther Heck ist klar: Beide haben Schuld - sein Mandant und auch die Fußgängerin.

Autofahrer müssen im Wohngebiet genau wie auch Fußgänger mit jungen wie alten Menschen rechnen, gab Richterin Natalia Gertner zu verstehen. Zudem dürfe niemand auf sein Recht beharren, »jeder hat die Pflicht zur allgemeinen Rücksichtnahme«. Der Unfall sei in der Nähe einer Bushaltestelle geschehen, die Straße sei erleuchtet gewesen und die verstorbene Senioren habe helle Kleidung getragen. Zeugen hätten sich gewundert, warum der Autofahrer nicht gebremst hatte.

Diskussion im Gerichtssaal

Ein weiteres Detail dürfe aber ebenfalls nicht vergessen werden, sagte der Verteidiger: Zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls sei es nass gewesen und die Dämmerung hatte schon eingesetzt. Die Sicht sei erschwert gewesen. Er zitierte aus dem Gutachten des Sachverständigen, in dem stehe, dass die Fußgängerin das Auto hätte sehen müssen. Kurz kam es zu einer Diskussion zwischen der Richterin und dem Verteidiger: Für Gertner war die Mitschuld der Fußgängerin in der Anklage mit berücksichtigt, für Heck nicht. Sie einigten sich, dass sie sich nicht einig seien.

»Wir alle sind Fußgänger und wir müssen in Wohngebieten auf die Autos achten«, sagte Heck. »Entweder muss sie das Auto übersehen oder die Geschwindigkeit falsch eingeschätzt haben.« Der Verteidiger forderte daher eine Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen sowie ein Fahrverbot von zwei Monaten für seinen Mandanten. Damit würde der 32-Jährige weiterhin als nicht vorbestraft gelten. Das Gesetz lässt im Falle der fahrlässigen Tötung eine Höchststrafe von bis zu fünf Jahren Haft zu. Richterin Gertner sah die von der Staatsanwaltschaft geforderten sechs Monate Haft, auf zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt, ein Fahrverbot von sechs Monaten sowie die Spende von 5.000 Euro an einen gemeinnützigen Verein als »sehr entgegenkommend« an, zumal der Angeklagte bisher nicht vorbestraft sei und glaubhaft Reue zeigte.

Reue seitens des Angeklagten

Und die zeigte er: Während der Angeklagte Angaben zu seiner Person und seinen Lebensumständen machte, wurde deutlich, wie sehr ihn der Unfall und die Folgen daraus mitgenommen hatten und ihn bis heute belasten. »Ich denke fast jeden Tag daran und auch nachts lässt mich der Vorfall nicht mehr los.« Er gab zu, zu schnell gefahren zu sein, und er betonte, er wolle für seine Tat die »volle Verantwortung« übernehmen. »Es tut mir unendlich leid. Auch für die Familie der Frau.« Im Gerichtssaal begann seine Mutter zu schluchzen. Der 32-Jährige erklärte, er würde die Tat gern rückgängig machen, könne es aber »leider« nicht.

Im Gerichtssaal

Richterin: Natalia Gertner, Staatsanwältin: Alina Hottmann, Verteidiger: Urs-Gunther Heck.

Nach rund 30 Minuten Verhandlung zog sich die Richterin zurück, um ihr Urteil zu fällen. Kurze Zeit später betrat sie wieder den Gerichtssaal und verkündetet das Urteil, das sich am Strafmaß orientierte, das die Staatsanwaltschaft gefordert hatte: Sechs Monate Haft auf zwei Jahre Bewährung, ein sechsmonatiges Fahrverbot sowie eine Spende in Höhe von 5.000 Euro an den Tübinger Verein »Hilfe für kranke Kinder«. Zudem müsse der Angeklagte die Gerichtskosten übernehmen.

Geldstrafe reicht nicht

»Ich glaube ihnen wirklich, dass ihnen die Tat leidtut«, erklärte Richterin Gertner dem Angeklagten. Die Folge des Unfalles sei jedoch irreparabel und außerdem sei er »nicht nur ein paar Stundenkilometer« zu schnell gewesen. Aus ihrer Sicht reiche daher eine Geldstrafe allein nicht. Die hätte es wahrscheinlich gegeben, wenn er die Fußgängerin »schlichtweg« übersehen hätte. Gertner erkannte die Mitschuld der Fußgängerin an und hielt dem 32-Jährigen zugute, dass er noch nicht vorbestraft war und glaubwürdig Reue zeigte: »Sie sind aber zu schnell gefahren.« (GEA)