DETTINGEN/KAPSTADT. Dass das Cape Epic das härteste Mountainbike-Rennen der Welt sein soll, wussten Marcus Nicolai und Lukas Koller schon lange. Dass es wirklich so ist, das Krasseste, was man sich als Radfahrer auf Stollenreifen nur vorstellen kann, wissen sie spätestens seit dem vergangenen Sonntag. Das sind die zwei Dettinger ins Ziel des Montainbike-Etappen-Klassikers gekommen. Nicht irgendwie reingerollt, sondern als Zweite in der Open-Men-Klasse, also eine unter den Profis. »Ich gehe schon davon aus, dass wir in den vorderen Rängen mitspielen können«, hatte Lukas noch vor zwei Wochen im GEA-Gespräch gesagt, »vielleicht träumen wir ein kleines bisschen vom Podium.«
Das war ein klitzekleines bisschen tiefgestapelt, geben die zwei Freunde jetzt zu, am Tag nach der Rückkehr vom Kap der Guten Hoffnung. »Wir haben das Fahrerfeld sehr genau analysiert«, sagt Lukas, »und wir wussten, dass wir fit sind.« Topfit, auf den Punkt. »Es wäre aber etwas vermessen gewesen, vor so einem Mega-Unternehmen große Töne zu spucken«, sagt Marcus. Weil: »Das Cape Epic ist eine Wundertüte, bei der man nie weiß, was rauskommt und wie es endet.« Das haben der 24- und der 33-Jährige buchstäblich erfahren. Teilweise sehr schmerzhaft.
»Jetzt wissen alle in Südafrika, wo dr Barthl då Moscht holt«
Dass Lukas und Marcus was drauf haben, zeigen sie gleich beim Prolog. Platz vier: ein Ausrufezeichen. »Jetzt wissen alle in Südafrika, wo dr Barthl då Moscht holt«, kommentiert ein Rad-Kumpel begeistert. Dann geben die zwei Dettinger richtig Gas. Gleich nach der ersten Etappe streifen sie sich das Leader-Trikot über. Das behalten sie dann bis zur fünften Etappe. Extrem hart erkämpft. Nach einem weiteren Etappensieg postet Marcus ein Video. »Vorsprung ausgebaut«, sagt er, »von dem her sind wir jetzt erst mal sehr happy.« Dann hält er seinen blutenden Ellbogen in die Kamera und berichtet von einem »sehr unnötigen Sturz, der mir meine gesamte rechte Hälfte in Mitleidenschaft gezogen hat« und hofft, »dass der sich nicht allzu gravierend auswirkt die nächsten Tage«. In Summe »angenehm warme 37 Grad heute«. Ein sehr schöner Tag mit sehr vielen Singletrails. »Ein geiles Racing. Jetzt heißt es erholen, und morgen geht’s weiter.«
Am Ende von Etappe drei spricht Lukas in sein Handy – sichtlich gezeichnet von der Hitze. Seinen Radcomputer zeigt 41,8 Grad. »Joah, Grüß Gott zusammen. Das war heut ein ziemlich warmes Ding.« Er fasst die Etappe so zusammen: »Wir sind das Ding heute sehr konservativ gefahren und dann nie wirklich übers Limit, und das war bei der heutigen Hitze das Gute, Entscheidende. Damit haben wir glaub einen ziemlich angenehmen Vorsprung. Aber: Das war jetzt erst Etappe drei, es folgen noch ein paar. Von dem her: Es kann noch alles passieren.«
Bei der fünften Etappe ist es so weit: Das Rennen kippt, die Dettinger müssen das Trikot der Führenden abgeben. Marcus ist ein weiteres Mal gestürzt, jetzt ist auch die linke Schulter lädiert. Jede Pedalumdrehung tut weh. Wegen der Schmerzmittel kann er nicht so viele in sich reinschaufeln, wie nötig wäre. Lukas hat mehr Körner und schiebt seinen Freund immer wieder. »Ich war einfach nur dankbar«, sagt Marcus jetzt. »Klar fühlt sich das nicht schön an, das kratzt schon ein bisschen am Ego, ich habe da aber keinen verletzten Stolz – wir haben das vorher so besprochen. So geht Teamwork.«
»Danke an alle fürs Mitfiebern«, schreibt Lukas am Abend, »verständlicherweise sind wir beide enttäuscht und das überwiegt leider zurzeit etwas. Nichtsdestotrotz ist morgen auch noch ein Tag! Und beim Cape Epic kann alles passieren! Wir erholen und gut und freuen uns auf das Grande Finale morgen!« Was in der Fan-Community ein riesengroßes Echo auslöst: »Das zeichnet euren starken Willen und Kämpferhaus aus«, schreibt Andy Y.
»Es war/ist jedenfalls die härteste Woche in meinem Leben – vielen Dank für euren tollen Support«
Marcus, der an diesem Tag gelitten hat wie ein Hund und mehr tot als lebendig aussieht, schreibt an diesem Abend: »Hi Leute, melde mich aus dem Wach-Koma. Also falls irgendjemand hier sich überlegt, Cape Epic zu fahren, überlegt lieber noch mal. Man kann es sich wirklich nicht vorstellen, wie hart es ist. Mein Zustand heute nach dem Aufstehen war wohl der schwächste/kaputteste Zustand, den ich in meinem Leben je hatte. Schon der Weg in die Küche glich einem Marathon. Es ist dann tatsächlich erstaunlich, dass man seinen Körper dann doch noch zu fast 5 Stunden Rennen fahren zwingen kann – auch wenn es irgendwann nichts mehr mit Rennen fahren zu tun hatte. Ich bin nicht stolz auf meine Leistung, aber zumindest auf meine Willenskraft – und damit werden wir es auch morgen ins Ziel schaffen. Ob der gesamte Leistungsabfall im zweiten Teil alles mit den zwei Stürzen zu tun hatte, bleibt Spekulation – und ist am Ende auch egal. Es war/ist jedenfalls die härteste Woche in meinem Leben – vielen Dank für euren tollen Support von Zuhause & ganz besonders an die drei Jungs hier.«
Marcus’ Nachricht wird ebenso euphorisch wie herzwarm kommentiert. Seine Mutter schickt eine wahre Liebeserklärung: »Danke, mein lieber Marcus für die ehrlichen Worte! Auch ich als deine Mama, die dich nun schon 33 Jahre kennt, liebt, begleitet, unterstützt … hat dich in so einem Zustand noch nie gesehen … so tief am Boden, vermutlich körperlich und mental … es war sehr hart, euch heute so im Ziel zu sehen. Und doch bin ich sehr stolz auf euch beide, es ist unglaublich, was ihr in dieser Woche leistet und das trotz Stürzen! Und egal, wie es ausgeht, für mich seid ihr jetzt schon grandiose Helden!«
Lukas und Marcus hauen noch mal alles raus und sorgen dafür, dass sie nicht noch mehr Zeit verlieren. Die vielen, vielen ermutigenden Nachrichten – und eine gute Mütze Schlaf – bringen die Wende. Die beiden Dettinger wachsen bei der letzten Etappe über sich hinaus und bringen Platz zwei ins Ziel. Am Ende liegen nur 12 Minuten und 14 Sekunden zwischen ihnen und den Siegern Manuel Fasnacht und Stefan Spielmann aus der Schweiz. »Die haben’s verdient«, sagt Lukas. Und: »Wir haben als Team gut funktioniert – darauf kommt’s an.« Marcus ergänzt: »Wir haben 110 Prozent gegeben, mehr ging einfach nicht.« Stolz sind sie nicht nur auf das Mega-Ergebnis, sondern auch darauf, fast 4.000 Euro für das Projekt Sogo.info locker gemacht zu haben und damit unter den Top 10 aller Cape-Epic-Teams liegen. »Wir haben damit das neue Klassenzimmer für die Kids quasi im Alleingang finanziert«, schreiben sie. Und sie haben ganz viele aus der Rad-Community motiviert, wieder mehr zu tun.
Und jetzt? An diesem Wochenende ein bisschen Radfahren, endlich mal wieder. Aber wirklich nur ganz locker. (GEA)