METZINGEN. Das Haus ist offen. Viel Licht kommt herein. Die Scheiben sind klar, nicht großteils milchig, wie im Vorfeld geplant: Das Unterstützungszentrum am Metzinger Kelternplatz für Menschen mit psychischen Erkrankungen ist am Freitagnachmittag feierlich in Betrieb gegangen. Betrieben wird es von GP.rt, Gemeindepsychiatrische Hilfen im Kreis Reutlingen, einer gemeinnützigen Gesellschaft des Zentrums für Psychiatrie Südwürttemberg und der BruderhausDiakonie.
»Uns ist es wichtig, dass Psychiatrie etwas Normales ist«, betont Professor Gerhard Längle. Was für den GP.rt-Geschäftsführer zum Berufs-Sprachschatz gehört, ist bei Metzingens Oberbürgermeisterin Carmen Haberstroh nicht so alltäglich, klingt aber ganz genauso: »Menschen mit psychischen Erkrankungen sind etwas ganz Normales, man stigmatisiert niemanden.«
»Menschen mit psychischen Erkrankungen sind etwas ganz Normales. Man stigmatisiert niemanden«
Dass die beiden das so betonen, zeigt, dass es andere nicht tun. Dabei sind psychische Erkrankungen weit verbreitet. Deutschlandweit jede oder jeder Vierte hat es im Laufe seines Lebens einmal, wiederkehrend oder chronisch mit Depressionen, Angst, Zwangsstörungen oder anderen seelischen Peinigungen zu tun. Klienten mit solchen Diagnosen finden im neuen Metzinger Unterstützungszentrum Halt. Werden fachlich beraten, wenn sie Behördenschreiben nicht verstehen oder wenn sie neue Anträge stellen müssen. Finden aber auch Kontakt zu Mitbetroffenen und sinnvolle Beschäftigungs-Angebote - und können so aus der weitverbreiteten häuslichen Isolation herausfinden.
Das allerdings nur, wenn das Landratsamt einen entsprechenden Hilfebedarf bei ihnen festgestellt hat, ihnen den Weg in das ehemalige Reformhaus mit seinen tagesstrukturierenden Angeboten also quasi verordnet hat. »Es ist keine Tagesstätte«, stellt Längle bedauernd klar: Das wäre eine noch niederschwelligere Anlaufstelle für noch größere Klientenkreise. »Das bräuchte es tatsächlich.« Doch Tagesstätten wollen von Land und Kreis finanziert werden - was bisher nur in Reutlingen und Münsingen geschieht. Der GP.rt-Geschäftsführer regt bei der Metzinger Rathauschefin an, Impulse im Reutliner Kreistag zu geben. Haberstroh, die auch Kreisrätin für die Freien Wähler ist, ist »gerne bereit, es im Kreistag anzusprechen.«
»Es ist keine Tagesstätte. Solch eine bräuchte es in Metzingen aber tatsächlich auch«
Vorerst sind beide froh über das Geschaffte: In der Innenstadt und damit nah am Wohnort der Betroffenen und mitten in der Gesellschaft liegt das neue Unterstützungszentrum. Wer mit dem Auto kommt, findet viele und meist kostenfreie Parkmöglichkeiten. Aber auch Züge und Busse sind nah. Bisher wurden psychisch erkrankte Menschen aus Metzingen und seinen Teilorten von Reutlingen aus zu Hause betreut oder kamen selbst in die Zentren in der kleinen Großstadt. Betreuung zu Hause bei den Klienten leisten wird auch das Metzinger Team ab Montag, im neuen GP.rt-Haus haben sie Büros im ersten Stock.
Dort liegt auch eine schmucke Küche, in der Klienten und Mitarbeitende einmal zusammen leckere Gerichte zubereiten können. Was im großen Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss so alles geschieht, ist gerade noch offen und wird das Team zusammen mit den Besucherinnen und Besuchern austüfteln. Ein großer Tisch steht bereit, ein Blumenstrauß mit Willkommensherz und Malpinsel darauf, Puzzles liegen im Regal daneben, Spiele. Getöpfert könnte werden, gefilzt oder gestrickt. Und immer auch geredet und zugehört.
»Ich bin überzeugt davon, dass es mittelfristig das blühende Leben sein wird «
Binnen eines Jahres wurde das Unterstützungszentrum am Kelternplatz von der ersten Planungsidee bis zur Eröffnung Wirklichkeit. Fünf Jahre lang hatten die Macher vergeblich nach Räumlichkeiten gesucht. Dann ging alles ganz schnell. Das Reformhaus Kaliss zog in die Reutlinger Straße, die Stadt machte am Kelternplatz gemeinsame Sache mit GP.rt, die Architekten Hartmaier + Partner und die Baufirma Schüle nahmen das Vorhaben in ihre Hände. Architekt Jochen Schmid blickt auf ein reibungsloses Baugenehmigungsverfahren zurück. »Das Team der Stadtverwaltung ist schlagkräftig aufgestellt.« Binnen fünf Monaten wurde das Ex-Reformhaus umgebaut.
Jetzt ist das helle Haus offen. Vorerst für zehn Frauen und Männer, aber das ist nur der Anfang. »Ich bin davon überzeugt, dass im Haus mittelfristig blühendes Leben sein wird«, sagt Gerhard Längle. Ähnlich florierende Häuser könnten folgen, wenn die Kostenträger sie denn finanzieren können und wollen. Damit könnten sie Menschen mit psychischer Erkrankung den Weg in die Arbeit, zu Wohnraum oder in Kontaktnetze bahnen. Denn viele Erkrankungen gehen vorüber, sind heilbar. (GEA)