METZINGEN. 40 Jahre haben die Uniformen der Metzinger Stadtkapelle auf dem Buckel. Mottenlöcher, gerissene Säume und abgewetzte Ärmel rufen nach neuen Uniformen. Die sind schon bestellt.
»Ich kann mich noch erinnern, dass ich als Kind meinen Vater in einer blauen Uniform gesehen hab, wenn er zu den Proben ging«, sagt Elisabeth Auer, dienstälteste Musikerin in der Stadtkapelle. Seit 50 Jahren spielt sie mit, zunächst mit der Klarinette, heute mit dem Saxofon. »Dann kam die orange-braune Uniform. Das war meine erste Uniform bei der Stadtkapelle«, erinnert sich die 61-Jährige. »Ich weiß noch, dass wir Mädchen beim Klarinettenspielen die Knie immer fest zusammenpressen mussten, damit man uns auf der Bühne nicht unter den Rock gucken konnte. Wir haben dann so lange gebruddelt, bis wir einen Glockenrock bekommen haben.«
Mitte der 1980er-Jahre wurden die orange-braunen Uniformen ausgemustert und an einen Musikverein in Ungarn gespendet. »Dann kam unsere rote Uniform, das war der Hammer. Ein richtiger Quantensprung. 80 rote Jacken, das war ein toller Anblick.« Das Rot habe an die Ursprünge als Stadt- und Feuerwehrkapelle erinnert. Die Herren bekamen eine Krawatte, die Damen eine schwarze Samtschleife um den Hals, die bis heute wenig beliebt ist. »Die fusselt furchtbar und ist immer total verrunzelt, weil man sie anzieht und dann doch wieder abzieht und in die Tasche stopft.«
Künftig keine Röcke mehr
Die Damen bekamen zudem schwarze Röcke, die in der Länge so genäht wurden, dass sie, wenn sich die Kapelle für ein Foto aufstellte, alle auf einer Linie waren. »Die Uniformen wurden damals von einem Metzinger Schneider maßgefertigt«, sagt Andrea Beckmann, die seit 15 Jahren in der Stadtkapelle Saxofon spielt. Auch wenn sie ursprünglich wie angegossen passten, sind ihre Träger ihnen längst entwachsen, und so werden sie je nach Bedarf untereinander getauscht. »Meine Jacke muss einmal einem kleinen dicken Jungen gehört haben«, sagt die Riedericherin. »Die Ärmel sind mir viel zu kurz.«
Andrea Beckmann ist Mitglied im Gremium für die Uniformen der Stadtkapelle. Das besteht aus sieben Mitgliedern, die dafür zuständig sind, den Zustand der Uniformen zu überwachen. Bei ihrer Arbeit, die sie letztes Jahr aufgenommen haben, taten sich Abgründe auf. »Keine einzige Uniform war intakt«, sagt Evi Käßbohrer, die in der Stadtkapelle Waldhorn spielt. In einer gewissenhaften Bestandsaufnahme unterteilte das Gremium die gesichteten 110 Westen und 92 Jacken in Kategorien wie »angenäht wie Kraut und Rüben«, »Mottenparty« und »Schäferlauf hat seinen Senf dazu gegeben«. So halten Sicherheitsnadeln statt Knöpfe eine Weste zusammen, während das Innenfutter bei in der Waschmaschine gewaschenen Exemplaren größer ist als die geschrumpfte dazugehörige Weste. Auch das einstmals einheitliche Rot der Jacken hat sich in vielerlei Rottöne verabschiedet. »Die Sonne hat sie ausgebleicht«, sagt Evi Käßbohrer. »Wir haben also 50 Shades of Red.«
Mit der Uniform im Sarg
Gleichwohl weiß das Gremium, dass an jede Uniform Erinnerungen und damit auch eine emotionale Bindung geknüpft sind. »Man ist natürlich stolz wie Bolle, wenn man diese Uniform tragen darf. Wenn man da einheitlich mit seiner Kapelle auftreten kann, ist das was ganz Besonderes.« Zwei Mitglieder der Stadtkapelle hätten sich sogar in ihrer Uniform beerdigen lassen. Leichtfertig denkt da keiner an eine Ausrangierung. Das bewegte Leben der Garderobe hat aber im Laufe der Jahrzehnte überdeutliche Spuren hinterlassen. »Wir haben jedes Jahr an die zwölf Auftritte«, so Elisabeth Auer. »Das sind in den 40 Jahren rund 600.« Diese oft in Bierzelten, wo früher auch noch geraucht wurde. »Wenn wir als Kapelle mal in den Regen kamen, war der Geruch später im Bus richtig krass – wie nasser Hund oder eher nasses Schaf, wegen dem Wollanteil«, sagen die drei und müssen lachen.
Kosten: rund 50.000 Euro
Die Uniformen waren schon in allen drei Metzinger Partnerstädten. Besonders in Noyon hätten sie heftige Feste miterlebt. Arg gelitten hätte auch die Knöpfe an der Weste des Beckenspielers. »Wenn seine Arme schwer werden, wandern sie immer näher zur Weste«, erklärt Elisabeth Auer. »Dann macht es zack und die Knöpfe fliegen davon.« Ähnliches erwartet nun die Uniformen.
Das Gremium hat einstimmig beschlossen: »Wir brauchen neue. Von Weitem haben wir immer gut ausgesehen. Aber man durfte nicht genau hinschauen«, sagt Evi Käßbohrer. Bestellt sind die neuen Uniformen schon. Die Kosten belaufen sich auf rund 50.000 Euro. Die Öffentlichkeit bekommt sie erstmals beim Frühjahrskonzert zu Gesicht. »Wir sind beim Rot geblieben«, so viel verrät Andrea Beckmann. »Wir möchten weiterhin gleich als Metzinger erkannt werden. Nur moderner sind wir dann und schicker.«
Der Konfektionär war schon da und hat bei allen Musikanten Maß genommen. Auch auf besondere Bedürfnisse wurde geachtet. »Bei den Querflöten muss wegen der Körperhaltung ein Ärmel ein bisschen länger sein«, sagt Elisabeth Auer. »Und beim Horn ist es wichtig, dass die Knöpfe nicht ans Blech schlagen.« Röcke gibt es keine mehr, dafür bekommen auch die Damen Krawatten. Die sind nicht mehr wie die alten zehn Zentimeter breit, sondern schneidige siebeneinhalb. In ihrem Zustand können die alten Uniformen schwerlich gespendet werden. »Wer möchte, kann seine als Andenken behalten.«
Musik für Spenden
Die Stadtkapelle freut sich über Spenden für die Anschaffung der neuen Uniformen. Betrieben dankt die Stadtkapelle für eine Spende auch mit einem Ständchen auf Firmenfesten. (GEA)