BAD URACH. Seit 50 Jahren ist die Wilhelmschule die schulische Anlaufstelle für sonderpädagogische Fragen in Urach. Hier arbeiten eng vernetzt spezialisierte Lehrkräfte, die sich in Fragen des Lernens und der dabei möglichen Hindernisse gut auskennen. In ihren Anfängen war die Schule auf mehrere Gebäude verteilt, aber seit 30 Jahren läuft die Förderung unter einem Dach.
»Unsere Schule ist ein besonderer Förderort, an dem die individuelle Lerngeschichte jedes einzelnen Kindes bedacht und zur Grundlage der gemeinsamen Arbeit gemacht wird«, sagt Schulleiter Michael Fischer. Unter diesem Leitbild stellen die Sonderpädagogen für jedes Kind eine maßgeschneiderte Lernsituation her.
Kinder mit Schulangst entlasten
Ziel ist es, das Kind zu entlasten, indem die nach vielen Misserfolgserlebnissen gewachsene, oft heftige Schulangst abgebaut wird. Dabei soll neues Selbstvertrauen aufgebaut und die Sinnhaftigkeit des Lernens für das eigene Leben wieder erfahrbar gemacht machen. Mit den Sonderpädagogen erkunden die Kinder und Jugendlichen individuelle Lernwege, auch Um-Wege, um so die eigenen Fähigkeiten wieder zu entdecken. So kann Lernen durch intensive Beziehungsarbeit wieder möglich werden.
Als Lernfelder stehen neben den klassischen Kulturtechniken, Sach- und musischen Fächern zusätzlich viele handlungsorientierte Lernangebote zur Verfügung wie beispielsweise Brotbacken am schuleigenen Holzbackofen, Trommelunterricht, Schafweidenpflege, Baumpflege und Obsternte auf der städtischen Schulobstwiese, Herstellung von Apfelsaft, eine Projektwoche »Schule als Spielstadt« oder die Erms-Putzete. All diese Angebote verfolgen neben inhaltlichen und praktischen immer auch soziale Lernziele wie die Kooperationsfähigkeit oder den Umgang mit Konflikten.
Über den Unterricht hinaus bietet die Wilhelmschule ihren Schülern Mittagsbetreuung und Nachmittagsangebote, Schulsozialarbeit und nicht zuletzt einen »Paradies« genannten Trainingsraum zur Konfliktbearbeitung, der in enger Zusammenarbeit mit der im Haus befindlichen Außenstelle der Oberlinschule Reutlingen betrieben wird.
Den immer wieder gestellten Fragen nach der beruflichen Perspektive ihrer Schüler stellt sich die Wilhelmschule mit intensivem berufsvorbereitendem Unterricht sowie nachgehender Betreuung für Schulabgänger. Bei beidem wurde sie seit fast zehn Jahren von zwei Berufseinstiegsbegleiterinnen erfolgreich unterstützt, die über die Agentur für Arbeit finanziert wurden. Zum Bedauern der Sonderpädagogen wird dieser sehr hilfreiche Dienst aufgrund fehlender Bezuschussung durch das Land in nächster Zeit auslaufen.
Abgänger der Wilhelmschule finden sich – häufig nach intensiver Förderung auch im Bereich der beruflichen Bildung – in Berufen wieder wie Schreiner, Bäcker, Metzger, Gießereimechaniker, Fachlagerist, Maschinenführer, Altenpflegehelfer oder Verkäufer.
Inklusion: noch viel zu tun
Nachdem es in den frühen Jahren der Sonderpädagogik (bis ins Jahr 2000) eher darum ging, das jeweilige Kind in eine geschützte Situation zu bringen, um das Lernen wieder möglich zu machen, kann nun mit der Idee der Inklusion die geschützte Situation auch zum Kind gebracht werden, indem Sonderpädagogen die Kinder an ihrer Heimatschule unterstützen. Eltern haben hier die Wahl. Das Tätigkeitsfeld der Sonderpädagogen hat sich dabei deutlich verbreitert. Dass allerdings an gelingender schulischer Inklusion politisch noch gearbeitet werden muss, zeigt die nur geringe Stundenzahl, die die Sonderpädagogen bislang pro Kind zur Verfügung bekommen.
Die Wilhelmschule, die sich seit einiger Zeit »Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum mit Förderschwerpunkt Lernen (SBBZ-L)« nennen darf, ist schon seit Langem außerhalb der Schule mit Beratungsangeboten tätig, die sich an Kinder, Eltern und Lehrkräfte richten. (s)