WANNWEIL. Wo Ott und Petersen draufsteht, ist Qualität drin. Walter Ott von der Geschichtswerkstatt und Hauke Petersen vom Krankenpflegeförderverein bereichern den Freundeskreis Fröhliches Alter unter Bürgermeister Dr. Christian Majer regelmäßig mit Vorträgen zur Ortsgeschichte. Jetzt ging es im Gemeindehaus um die Landwirtschaft. Nicht nur um die der Vergangenheit, sondern auch um die der Gegenwart. Hatte Walter Ott im ersten Teil einen Blick in die bäuerliche Vergangenheit geworfen, so unterhielt sich Hauke Petersen nach der Pause mit Menschen, die heute noch Landwirtschaft treiben.
In der ältesten bildlichen Darstellung des Orts aus dem Jahr 1638 sind alle 15 Höfe sowie Häuser, Brunnen, Wiesen und Weinberge - auf sie verweist heute der Weinbergweg - zu sehen. Auf dem frühesten Foto aus dem Jahr 1864 sind Bauern in Trachten zu sehen. Ein gestelltes, idealisiertes Bild, wie das wandelnde Heimatgeschichtslexikon Walter Ott betont: »Die Bauern hätten in dieser Zeit, in der Schmutz und Kot allgegenwärtig waren, nie ihre Sonntagstracht getragen.« Mit dem Ende des Kaiserreichs verschwinden die Trachten aus dem Alltag.
»Ihr dürft auf Hochzeitsreise gehen, wenn die Kartoffeln drin sind«
Politische Veränderungen - 1802 fällt die Freie Reichsstadt an Württemberg - und Naturkatastrophen - 1826, ein Jahr nach dem Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien gibt's in Süddeutschland das »Jahr ohne Sommer« mit einer Hungersnot - verändern den Bauernstand. 1835 beginnt eine Auswanderungswelle nach Nordamerika, Wannweil verarmt. 1860 beginnt mit dem Bahnbau im Neckartal eine neue Zeit: Bauern können sich beim Bau verdingen. Später werden immer mehr Bauern zu Fabrikarbeitern, sie geben ihre Landwirtschaft aber nicht ganz auf.
1949, vier Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, gibt's in Wannweil noch 469 landwirtschaftliche Betriebe. Mit der Zeit gibt's immer weniger Vollerwerbsbauern, viele schaffen als Nebenerwerbler weiter oder geben ganz auf. 1995 werden in der Kreisbeschreibung nur noch zehn landwirtschaftliche Betriebe genannt. »Die heute verbliebene landwirtschaftliche Fläche von geschätzten 120 Hektar bewegt sich an der wirtschaftlichen Untergrenze eines Vollerwerbsbetriebs«, schließt Walter Ott seinen Rückblick.
Auch wenn's in Wannweil arg wenig Platz für Landwirte gibt: Es gibt sie. So wie Gerda Hipp-Gruner. Der Vater schaffte in der Spinnerei, die Familie betrieb Landwirtschaft im Nebenerwerb. Der Familie gehörten vier bis fünf Hektar, der Rest wurde dazugepachtet, sodass die Familie auf 15 Hektar arbeitete. Mit ihrem Mann verkleinerte sie den Betrieb auf vier Hektar. Was ihren Betrieb besonders macht, ist der Gemüseanbau auf der Degerschlachter Höhe neben dem ehemaligen Betrieb von Joachim Hespeler, auf dem vierzig Hobbygärtner von April/Mai bis Mitte Oktober schaffen können. Der Nischenbetrieb läuft auch im vierten Jahr gut, sagt Gerda Hipp-Gruner, die Leute kommen nicht nur aus dem Flecken, sondern sogar aus Böblingen und Münsingen.
»Helmut Lüdecke hatte einen großen Nachteil. Er war kein Schwabe«
Werner und Renate Gaiser halten schon lange keine Rinder mehr, der Kuhstall wurde zum Party- und Vereinsraum umgebaut. Renate Gaiser erinnert sich aber noch gut an die harte bäuerliche Vergangenheit. »Als wir geheiratet haben, hat's geheißen 'Ihr dürft auf Hochzeitsreise gehen, wenn die Kartoffeln drin sind'.«
Lüdeckes Ranch ist eine Institution in Wannweil. Sie geht zurück auf Helmut Lüdecke. »Der hatte einen großen Nachteil«, so Moderator Hauke Petersen, »er war kein Schwabe.« Lüdecke hatte es Anfang der 50er-Jahre von Brandenburg nach Wannweil verschlagen, wo er aber eine echte »Wannweilemere« - eine »Ureinwohnerin« also - heiratete. Helmut Lüdecke, ein Original, gründete 1954 den homöopathischen Verein. Sein Betrieb im Außenbereich von Wannweil war durch einen Grundstückstausch mit der Gemeinde entstanden, weil mit der Echaz-Korrektur hinter seinem Haus in der Hauptstraße Platz weggefallen war. Lüdeckes Ranch wird heute von den Helmuts Söhnen Hartmut - er hielt noch bis 2018 Pferde im Ort - und Herbert bewirtschaftet.
Der mit Abstand größte Landwirt von Wannweil ist eigentlich gar keiner: Dominik Taubmann ist gelernter Forstwirt, kommt ursprünglich aus Betzingen und ist hauptberuflich Abteilungsleiter Einsatzbetrieb/Wachleiter bei der Reutlinger Feuerwehr. Auf der Suche nach einem Platz für seine Forstmaschinen kam er in die Gemeinde und fand nicht nur einen Schuppen, sondern gleich einen ganzen Betrieb und kaufte ihn. Jetzt bewirtschaftet er 450 Flurstücke. Im Flecken genießt er inzwischen so viel Vertrauen, dass er erneut für die Freie Liste (FL) in den Gemeinderat gewählt wurde.
»Ich halte nichts von der Spezialisierung in der Landwirtschaft«
»Ich halte nichts von der Spezialisierung in der Landwirtschaft«, sagt der 41-Jährige. Taubmann betreibt eine moderne Dreifelderwirtschaft, baut Raps und Braugerste an, künftig auch noch Rotkern-Weizen. Der neueste Schlepper fährt satellitengesteuert auf zwei Zentimeter genau. 2018 hat er mit Jennifer »auch noch die richtige Frau kennengelernt«, mit der er die Pferdehaltung ausbauen will. Sein Betrieb bietet eine Perspektive für die zwei kleinen Kinder, ist Taubmann überzeugt. Zur Zukunft der Landwirtschaft sagt der 41-Jährige: »Wir versuchen die zukünftige Wannweiler Geschichte schreiben.« Dafür gibt's viel Beifall.
Den erhält auch Justin Höckh. Der 23-Jährige hat die Leidenschaft für die Landwirtschaft vom Vater und Großvater geerbt. Zum Achtzehnten bekommt er drei Schafe. Aus denen ist inzwischen eine kleine Herde geworden. Höckh schraubt schon lange nicht mehr mit seinen Kumpels nur an Mofas, sondern schon lange auch an Schleppern. Als Industriemechaniker schichtet er bei Wafios, in seiner Freizeit bringt er seine kleine Landwirtschaft voran. Er will sich noch mehr Schafe zulegen. Ein bisschen Ackerbau anfangen. Und vielleicht eine Mutterkuhhaltung mit Direktvermarktung beginnen, am liebsten in Wannweil. Um das alles auf solide Beine zu stellen, will der 23-Jährige, in der Berufsschule in Münsingen den Nebenerwerbslandwirt machen.
Mit Blick auf die wenigen landwirtschaftlichen Flächen sagt Hauke Petersen am Schluss Richtung Bürgermeister und Gemeinderat: »Es wäre jammerschade, wenn sich zwei so tüchtige junge Leute ins Gehege kommen würden!«
