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Ehemalige Siedlung Merzhausen bei Bad Urach gefunden

Im Vorfeld der Straßenbaumaßnahmen an der B28 in Bad Urach waren archäologische Untersuchungen nötig. Welche Schlüsse die Experten daraus ziehen.

Auf dem Hochufer am Diegele-Wehr wurden Reste von hochmittelalterlichen Gebäuden gefunden.
Auf dem Hochufer am Diegele-Wehr wurden Reste von hochmittelalterlichen Gebäuden gefunden. Foto: Gabriele Böhm
Auf dem Hochufer am Diegele-Wehr wurden Reste von hochmittelalterlichen Gebäuden gefunden.
Foto: Gabriele Böhm

BAD URACH. Die ehemalige Siedlung Merzhausen östlich der B 28 ist offenbar gefunden. In der Schlussphase der vierwöchigen Ausgrabung, die von der Fachfirma ArchaeoBW im Auftrag des Landesamts für Denkmalpflege des Regierungspräsidiums Stuttgart gemacht wurde, kamen oberhalb des Diegele-Wehrs die Reste von Gebäuden aus dem 11./12. Jahrhundert zum Vorschein. Dr. Dorothee Brenner, Fachreferentin für Mittelalter- und Neuzeitarchäologie im Landesamt, berichtet über die Ergebnisse.

Um den Verkehrsfluss auf der B 28 zu verbessern, gestaltet der Bund die Wasserfallkreuzung um. Seit längerem sind aus diesem Bereich archäologische Funde bekannt, zudem ist auf älteren Karten der Name der ehemaligen Siedlung Merzhausen verzeichnet. Der Verschönerungsverein Bad Urach hat sein Vereinsheim, das wegen der Straßenbauarbeiten abgerissen werden muss, nach der Siedlung Merzhausen benannt. Da das Gelände als sogenannte »archäologische Verdachtsfläche« gilt, sind vor den Bodeneingriffen archäologische Untersuchungen vorgeschrieben.

»Wir gehen davon aus, dass wir damit Merzhausen gefunden haben«

Laut Oberamtsbeschreibung Urach von 1909 wird erstmals 1292 in den Schriftquellen ein Berthold von »Merzinhusen« (Merzhausen) genannt. 1371 erwähnt eine Urkunde den gleichnamigen Weiler. Im 15. Jahrhundert bezog das Kloster Güterstein Abgaben aus einem Bezirk zwischen Dettingen und Urach, in dem auch Merzhausen lag. Am Ende des 15. Jahrhunderts verschwand die Siedlung aus unbekannten Gründen aus der schriftlichen Überlieferung, doch der Name Merzhausen hat sich bis heute in den Flurkarten erhalten.

Bei der jüngsten Grabung wurden rund um das Gelände des Verschönerungsvereins Suchschnitte angelegt und ebenso oberhalb an der Bahnlinie. Hier konnten jedoch keine archäologischen Entdeckungen gemacht werden.

Bei der Sondierungsgrabung am Verschönerungsverein wurden keine archäologischen Spuren gefunden. Foto: Gabriele Böhm
Bei der Sondierungsgrabung am Verschönerungsverein wurden keine archäologischen Spuren gefunden.
Foto: Gabriele Böhm

Anders sah es auf der Hochfläche westlich des Diegele-Wehrs aus. Bei seinem Bau vor zehn Jahren hatte Achim Lehmkuhl, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart und ehrenamtlich Beauftragter der Denkmalpflege, mittelalterliche Keramikscherben des 12. Jahrhunderts und im Uferkies auch Spuren eines mittelalterlichen Grubenhauses und Pfostenlöcher entdeckt. Lehmkuhl setzte die Archäologen auf die richtige Spur.

Wie Dr. Dorothee Brenner mitteilt, wurden in geringer Entfernung jetzt weitere Pfostenlöcher und Tonscherben gefunden und ein weiteres Grubenhaus angeschnitten. »Das sind die Reste einer hochmittelalterlichen Siedlung aus dem 11./12. Jahrhundert«, so die Fachfrau. »Wir gehen davon aus, dass wir damit Merzhausen gefunden haben.« Doch habe man im Gelände letztlich nur »Gucklöcher« öffnen können. »Die Untersuchung war auf die Bodeneingriffe durch den geplanten Straßenbau beschränkt. Außerdem mussten wir Baumwurzeln und Leitungen ausweichen.« Durch verschiedene Eingriffe in jüngerer Zeit sei der Bereich an vielen Stellen bereits gestört gewesen.

Doch die Funde und Befunde zweier Haustypen zeigten eindeutig menschliche Siedlungstätigkeit. »Grubenhäuser waren in den Boden eingetieft und wurden meist zum Weben von Flachs genutzt«, erläutert Lehmkuhl. »Man hat bewusst die Bodenfeuchte genutzt, um den Flachs weich zu halten.« Vielfach habe man in solchen Häusern Webgewichte und die Standspuren von Webstühlen gefunden. Gewoben wurde für den Eigenbedarf, doch waren die Tuche auch ein Handelsgut.

»Starkregenereignisse, die die Landschaft regelrecht umgestalten, gab es schon früher«

Die Pfostenlöcher sprechen dagegen für ein Wohngebäude. Dazu passen könnte möglicherweise der ebenfalls gefundene gebrannte Lehm als Relikt eines abgebrannten Fachwerkhauses. Solche Häuser wurden in Ständerbauweise errichtet, bei der in die Gefache Ruten eingefügt und mit Lehm beworfen wurden. Dieser könnte durch ein Schadensfeuer ausgehärtet und so erhalten geblieben sein. Dagegen haben Balken und Äste selten bis in die heutige Zeit überdauert. Wohl aber die Löcher der Standpfosten im Boden, die anzeigen, dass hier, auf dem Hochufer der Erms, früher ein Gebäude existierte, so der Wissenschaftler.

Auffällig sei, dass die Erms an dieser Stelle kein entsprechendes Gegenufer habe. Der Fachmann hält es für möglich, dass dafür die Magdalenenflut von 1342 verantwortlich ist - eine verheerende Flutkatastrophe, die in Europa an vielen Stellen Schaden anrichtete und vermutlich auch die Erms über die Ufer treten ließ. »Starkregenereignisse, die die Landschaft regelrecht umgestalten, gab es schon früher«, so Lehmkuhl.

»Auch Kulturgüter, die unsichtbar im Boden liegen, müssen erfasst werden. Sie gehören zur Geschichte eines Ortes«, so Brenner über die Grabungen. Sie geht davon aus, dass noch weitere Spuren von Merzhausen aufgedeckt werden, wenn die Ausgrabungen im Bereich des Gartenschaugeländes weitergehen.