BAD URACH-SEEBURG. »So was kauft man eigentlich nicht«, sagt Jörg Stoll, »weil so was normalerweise nicht auf dem Markt ist. So was wird vererbt.« Der Unternehmer aus Eningen/Achalm hat das Café Schlössle jetzt aber gekauft. Weil es auf dem Markt war. Und weil er schon als Kind davon geträumt hat. Von genau diesem Haus. »Ich bin als Kind mit meinen Eltern - vor allem mit meiner Mutter - oft ins Schlössle gekommen«, sagt er, »damals dachte ich, dass ich hier mal wohnen will.« Jetzt ist der Unternehmer mit 56 Schlossherr geworden. Nicht, um in Seeburg zu wohnen. Sondern um dem Haus, dass er schon so viele Jahre bewundert hat, neues Leben einzuhauchen. Ein weiteres Mal, so wie Konrad und Sabine Bimek schon im Jahr 2008. Im Schlössle muss er nichts neu erfinden. Das Haus steht bestens da und hat eine riesengroße Stammkundschaft. Das Ehepaar Bimek - Konrad 66, Sabine 63 - wollte einfach nur aufhören, »weil wir genug geschafft haben«. Das ganze Leben lang, ein Leben weit jenseits von Acht-Stunden-Tagen. Irgendwann muss und darf auch Schluss sein.
»Es war für mich nie eine Frage, das Schlössle selber zu betreiben«
Die wichtigste Botschaft: Das Schlössle wird weder eine schicke Seniorenresidenz noch irgendein anderes nobles Etablissement. Wo Schlössle draufsteht, soll auch künftig Schlössle drin sein. Heißt: Es wird ein Speisecafé bleiben. "Der Fokus wird mehr auf dem Café liegen", sagt Jörg Stoll, "es wird aber trotzdem warme Speisen geben." Letztlich entscheidet das aber nicht er: Er legt das Haus in die Hände von Natalia (30), einer seiner drei Kinder. Die schmeißt den Laden zusammen mit ihrer Freundin Patrizia (28). "Auch mein Sohn Pascal, ein gelernter Bäcker, wird sich mit dem einen oder anderen Brot beteiligen", sagt Jörg Stoll. »Es war für mich nie eine Frage, das Schlössle selber zu betreiben«, sagt er.

Längerfristig wollen die Stolls noch mehr auf Hochzeiten setzen, auf Events wie Krimi-Dinner. Ein paar passende Utensilien dazu gibt's schon vor Ort: Sabine Rapp-Bimek hat über die Jahre Bücher und Schallplatten zusammengekauft, auf denen das Schlössle abgebildet ist. Nicht so schmuck wie heute, sondern düster wie vor der Zeit, als die Vor-Vor-Besitzer Michael und Elfriede Lang 1970 das im Jahr 1885 erbaute Sanatorium für bessere Leute hergerichtet und zu einem Mekka für Tortenliebhaber gemacht hatten.
»Ich bin Quereinsteiger«, sagt Stoll. Im Gegensatz zu Konrad Bimek kommt er nicht aus der Gastronomie - der Mann, der aus dem Würtinger »Hirsch« stammt, war einst Deutschlands jüngster Küchenmeister -, sondern aus der Wirtschaft. Der 56-Jährige verdient beziehungsweise verdiente sein Geld mit dem Verkauf von gebrauchten Flachstrickmaschinen. »Corona hat uns von heute auf morgen den Stecker gezogen«, sagt Jürgen Stoll. Vom Tisch ist das Ganze nicht, der 56-Jährige handelt in dem 1973 gegründeten Familienunternehmen immer noch mit gebrauchten Flachstrickmaschinen der Fabrikate Stoll und Shima Seiki.
»Jörg macht ein Schmuckstück aus den Ferienwohnungen«
Stoll kommt nicht aus der Gastronomie, er ist aber ein Macher. Was bedeutet, dass mit dem Niedergang der Textilindustrie nicht die Füße hochgelegt hat, sondern mit seinem Geld etwas macht. Ein Unternehmer im besten Sinne. Hauptsächlich tätig ist er in Fischen im Allgäu, wo er Ferienwohnungen und Chalets baut, kauft und verkauft. »Chalets Allgäu - Endlich angekommen« heißt seine Firma. Endlich angekommen: So könnte er auch den Schlössles-Kauf überschreiben. Sein verwirklichter Kindheitstraum und die Überzeugung, dass man aus dem alten Speisecafé ein weiteres Mal neuen Leben und Schwung einhauchen kann. Allein die zwei je 80 Quadratmeter großen Ferienwohnungen im Obergeschoss des Schlössles haben es dem 56-Jährigen angetan. »Jörg macht ein Schmuckstück draus«, sind Konrad und Sabine Bimek überzeugt, »das sieht man bei seinen Chalets im Allgäu.«
Dass der Mann, der früher Oldtimer restauriert und verkauft hat, auch ein Händchen für Häuser hat, hat er nicht nur in Reutlingen gezeigt, wo er beim Tübinger Tor zwei Häuser hergerichtet hat - darin ein kleines Hotel und ein italienisches Café -, sondern auch in Rottenburg. »Dort habe ich das Römerbad gekauft«, sagt Jörg Stoll, »das war völlig runtergekommen und läuft jetzt richtig gut. Meinem Sohn Pascal hat jetzt mehr als 15 Angestellte.«
»Wir haben mit vielen Interessenten gesprochen«, sagt Sabine Rapp-Bimek, »an etliche hätte ich nicht verkaufen wollen - das hat einfach nicht gepasst.« Jetzt, mit Jörg Stoll, passt es ganz offensichtlich. Dass Herr und Frau Bimek mit Herrn Stoll können, merkt man spätestens in dem Moment, indem man merkt, dass sich Sabine, Konrad und Jörg duzen. Fast so, als würden sie sich schon jahrelang kennen. Das tun sie streng genommen auch. Immer wieder kam Stoll als Gast, inkognito quasi. Vor zweieinhalb Jahren sind die alten und der neue Besitzer zum ersten Mal ins Gespräch gekommen - als Geschäftsleute. Weil das Schlössle ein bisschen mehr als ein paar Mark fuffzig gekostet hat, keine Angelegenheit, die man schnell mal zwischen Mittagessen und Kaffee regelt.
»So eine Chance hat man nur ein Mal im Leben«
»So eine Chance hat man nur ein Mal im Leben«, sagt Jörg Stoll. Die Entscheidung, das Schlössle zu kaufen, hat er nicht im stillen Kämmerchen getroffen, neulich im Frankreich-Urlaub, als ihn Konrad Bimek noch mal angerufen hat, sondern zusammen mit seiner Frau Jolanta. »Sie ist auch mit Herzblut dabei und trägt's mit.«
Wie geht's weiter?
Am Sonntag, 15. Dezember, ist der letzte Öffnungstag des Schlössles. Vorher gehen Konrad und Sabine Bimek aber erst noch in den Urlaub - ein längst überfälliger Familienausflug zu Sabine Bimeks Sechzigstem. Geschlossen ist vom 28. Oktober bis zum 12. November. Dann baut Jörg Stoll um. Wiedereröffnen will er im Frühjahr 2025. (and)