BAD URACH/REUTLINGEN. Zum Glück waren die Nachbarn nicht zu Hause. Sonst hätten sie sich in Lebensgefahr befinden können, im Dachgeschoss des Mehrfamilienhauses in der Uracher Altstadt. Denn in der Wohnung gegenüber hat ein 54-jähriger Mann am 1. April zwischen 3 und 3.30 Uhr sein Bett angezündet. An zwei Stellen brach Feuer aus. Zwei Meter hoch schlugen die Flammen aus dem Fenster.
Die Uracher Wehr war schnell vor Ort. Alarmiert vom Brandstifter selbst, der mit rußigen Händen auf der Straße einen Passanten ansprach: »Bei mir in der Wohnung brennt's. Kann ich Dein Handy haben?« Der erste Löschtrupp traf im Dachgeschoss ein Wohn-/Schlafzimmer an, in dem das Feuer schon fast von selbst wieder ausgegangen war.
Aus Frust gezündelt
Und dennoch gab es noch so viel brennbares Material, dass »die Wohnung in Vollbrand stehen hätte können, wenn die Feuerwehr nur zehn bis 15 Minuten später gekommen wäre«, sagt ein Brandsachverständiger des Landeskriminalamts am Mittwoch vor dem Reutlinger Schöffengericht aus.
Das Reutlinger Gericht hat den 54-jährigen Ex-Hausbewohner jetzt zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. »Frust und Verärgerung« waren für Eberhard Hausch, den Vorsitzenden Richter, die maßgeblichen Motive des baumlangen Angeklagten. Der musste aus der Wohnung raus, weil er mitten in der Nacht Lärm gemacht, seine eigene Tür stark beschädigt und seiner Ex-Freundin das Handy geklaut haben soll. »Er passte nicht in mein Haus«, sagt der Vermieter als Zeuge vor Gericht.
Bis zu 2,45 Promille im Blut
Zudem war der 54-Jährige am Tag vor der Tat in eine Schlägerei verwickelt, die ihn fast die Sehkraft auf einem Auge gekostet hat. Während der Löscharbeiten saß er auf einer Treppe gegenüber. Ein Feuerwehrmann traf ihn an. »Er sagte: Ich war's«, sagt der Löschtruppführer als Zeuge. Der Angeklagte selbst will sich vor Gericht nicht mehr an das Brandgeschehen erinnern können, lässt er durch seinen Verteidiger Christian Niederhöfer ausrichten.
Bis zu 2,45 Promille hatte er im Blut, zeigt ein Arztbericht auf. Der Trinker, der etliche Jahre trocken war, war rückfällig geworden. Polizisten attestieren ihm dennoch eine klare Gesprächsweise - er konnte klar reden und verstehen. Videoaufnahmen zeigen einen schwankenden Gang.
Strafe heißt auch Abschreckung
»Wenn ich manisch bin, weiß ich nicht, was ich tue«, hat der Mann gesagt. Er leidet unter einer bipolaren Störung mit hyperaktiven und depressiven Phasen. Die hat aber weder für den psychiatrischen Sachverständigen Dr. Stefan Bork noch für Richter Eberhard Hausch eine entscheidende Rolle für die Tat gespielt. Umso mehr der Frust - auch weil es mit der Freundin nicht lief - und der Alkohol.
Im Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg macht der Mann, der nach dem Brand in U-Haft genommen wurde, eine Entzugstherapie. »Dort ist es gut für mich«, sagt er in seinem letzten Wort vor dem Urteil. »Da werden Sie liebevoll behandelt«, legt Hausch nach. Doch auch die Gesellschaft, Menschen wie Du und ich, wollen fair behandelt und nicht durch Brandstifter ihren sichersten Raum, ihre Wohnung, abgefackelt bekommen und durch Hitze, Flammen oder Rauchgas an Leib oder gar Leben gefährdet werden. »Strafe heißt auch Abschreckung«, betont Hausch daher. Für den Verurteilten genauso wie für mögliche Nachahmer. Deshalb rückt der 54-Jährige ins Gefängnis ein und macht nicht nur Justizvollzugskrankenhaus eine Entzugstherapie.
Bis zu 250.000 Euro Schaden
Hausch erinnert an den Stadtbrand in Reutlingen vor 300 Jahren. Auch in der Bad Uracher Altstadt stehen die Häuser dicht an dicht - und sind oft mit viel Holz gebaut, das brennt wie Zunder. Hausch weiter: »In Tübingen sind zwei Feuerwehrleute beim Löschen ums Leben gekommen. Da ist es nicht gutgegangen.« Im Uracher Dreigeschosser, in dem 13 Menschen Platz fanden, zum Glück schon. In der Dachgeschosswohnung des zündelnden Deutschen war 160.000 Euro Schaden entstanden.
Doch Rauch und Ruß drangen auch ins Treppenhaus und in die Nachbarwohnung. Das ganze Haus war vorübergehend nicht mehr bewohnbar. Der Vermieter bekam von der Versicherung nur den Brandschaden ersetzt, nicht aber die entgehende Miete und anderes. Den Gesamtschaden hat Staatsanwalt Elmar Jung bei Verlesung der Anklageschrift auf 250.000 Euro beziffert.
Entzugstherapie auf dem Hohenasperg
Jungs Kollegin Franziska Hipp hat für den vielfach, allerdings nicht einschlägig vorbestraften Angeklagten am Mittwoch drei Jahre und zehn Monate Freiheitsstrafe gefordert. »Wir sind ziemlich oben im Strafrahmen.« Wegen des hohen Gefährdungspotenzials und Schadens. Das Schöffengericht bleibt nur einen Monat darunter. Verteidiger Niederhöfer hat auf drei Jahre Haft plädiert. »Er hat eine positive Behandlungsprognose.« Und durch sein »Nachtatverhalten« mit dem Anruf bei der Feuerwehr dafür gesorgt, dass alles nicht noch schlimmer wurde.
Ein einziges weiteres Mal wendet der 54-Jährige am dritten und letzten Verhandlungstag vor dem Reutlinger Schöffengericht den Blick noch weg von sich und hin zu anderen: »Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen«, gibt er einem Polizisten im Zeugenstand auf den Weg. Hatte der Brandstifter doch nach seiner Verhaftung zwei Beamte mehrfach beleidigt, im Polizeiauto und im Metzinger Revier randaliert und die dortige Gewahrsamszelle durch eine überlaufende Toilette unter Wasser gesetzt. (GEA)
Im Gerichtssaal
Vorsitzender Richter: Eberhard Hausch. Schöffen: Rolf Goller, Markus Winter. Staatsanwältin: Franziska Hipp. Verteidiger: Christian Niederhöfer.