METZINGEN. Kommt ein Junge mit seinem Kissen in den Laden. Es ist im Lauf der Jahre flach geworden. »Wenn du willst, kannst du es selbst wieder füllen«, hat Bernd Pfäffle dem Bub gesagt und ihn zur entsprechenden Maschine geführt. Kissen oder Bettdecken wieder mit Daunen zu füllen und/oder zu waschen, bei Bedarf auch neu zuzuschneiden - wo gibt es das in der Wegwerf-Welt von heute noch? Im Bettenfachgeschäft Pfäffle in Metzingen.
Fast 90 Jahre hat es auf dem Buckel und war bis Ende 2024 immer in Familienhand. Erwin Pfäffle, der Großvater von Bernd Pfäffle, hat es 1937 gegründet. Kurz darauf brach der Zweite Weltkrieg aus. »Der Betrieb stand erstmal still«, blickt der 65-jährige Enkel zurück, der 36 Jahren in dem Fachgeschäft gearbeitet, es seit 1993 geführt hat. Zum 1, Januar hat er es altershalber an Andreas Kramer übergeben. Der ist Betriebswirt wie Bernd Pfäffle. Hat seit zehn Jahren Betten-Hottmann in Tübingen geführt und mit Pfäffle ein zweites Fachgeschäft unter seine Fittiche genommen.
»Wenn du willst, kannst du das Kissen selbst füllen«
Das rote Haus in der inneren Reutlinger Straße hat also weiter Zukunft. Mehrfach haben die Pfäffles - Bernds Vater hieß wie sein Großvater Erwin - das Gebäude aus dem 19. Jahrhundert umgebaut, ein hohes Schaufenster mit Blick in die sich wandelnden Stadt-Zentren eingebaut, den mittleren Hausteil erhöht, Verkauf auf zwei Etagen möglich gemacht, oben Lattenroste, Matratzen, Decken und Kissen, unten Wäsche und Frottierwaren.
Bis 1956 war das Ladengeschäft in der Metzgerstraße. »Herren- und Damen-Nachthemden« preist ein Werbeträger von einst an, »elegante Sporthemden in allen Preislagen« und Wollkleiderstoffe, »Für jedermann das passende Weihnachtsgeschenk.« Auch mit Strümpfen und Gardinen machte die Ursprungsgeneration Geschäfte.
Hemden gibt es freilich in der Textilstadt Metzingen mit der seit 1995 aufgekommenen Outletcity ohne Ende. Die Outlets sind Fluch und Segen zugleich für die einheimischen Geschäftsleute. Sie bedrängen sie mit günstigen Konkurrenzprodukten, bringen aber auch Kundenfrequenz - vor allem samstags oft so viel, dass die Stammkundschaft zurückschreckte. »Wir haben unser Sortiment immer wieder angepasst«, sagt Ingrid Pfäffle, die Frau des vieljährigen Geschäftsführers, die selbst schon seit dem Jahr 2000 im Laden arbeitet, zu den Herausforderungen der Jahre. »Man muss einen Markt haben - gucken, was wichtig ist.«
War die Ausgangspalette vielen Kunden nicht gut genug, wendete die Unternehmerfamilie das Blatt durch die Betten, die heute 60 Prozent des Umsatzes ausmachen. Wäsche, Hand- oder Badetücher die übrigen 40. Die Flexibilität und Änderungsbereitschaft war ein Rezept für den Langzeiterfolg der Pfäffles, die Motivation, Zuversicht und Tatkraft ein anderes. »In Reutlingen hat ein Bettenfachgeschäft aus Frustration aufgegeben«, verweist Bernd Pfäffle auf einen GEA-Bericht von 1994. Seine Crew ist geblieben, »unserer Stärke bewusst«.
»Viele Leute brauchen und wünschen persönliche Beratung«
Die benachbarte Großstadt liegt im Spezialsegment der Pfäffles heute blank. Nicht von ungefähr kommt ein beachtlicher Teil ihrer Kundschaft von dort. Andere von der Alb oder aus dem Raum Nürtingen. Alles in allem deckt man einen Radius von 50 Kilometern ab. »Zwei ehemalige Bundesminister aus Metzingen und Bad Urach waren auch schon Kunden«, gibt der 65-Jährige diskrete Hinweise auf Promis. Nach GEA-Recherchen könnte es sich um Klaus Kinkel und Helmut Haussmann gehandelt haben. »Der heutige Bundeslandwirtschaftsminister hat in jungen Jahren Matratzen bei uns gekauft.« Cem Özdemir ist bekanntlich in (Bad) Urach aufgewachsen.
Kamen die Betten samt Wäsche und Befüllung also erst nachträglich ins Sortiment, war eine hohe Waren-Qualität schon immer ein Kriterium für Bernd und Ingrid Pfäffle und für seinen Vater und den Großvater. Sehr oft made in Germany, in Norddeutschland. "Aber ohne Goldrand", ordnet er ein. Auf die Liegenden zugeschnitten und lange haltbar soll es sein, überkandidelt nicht. »Viele Leute brauchen und wünschen persönliche Beratung«, betont das Ehepaar. Die kann eine App im Meer der Online-Matratzen nicht leisten.

Die sechs teils in Teilzeit arbeitenden Mitarbeiter im roten Haus in der Reutlinger Straße schon. »Ich bin immer schon im Geschäft gewesen«, blickt Bernd Pfäffle zurück. In Riederich hat die Familie einst gewohnt, in Metzingen ist er zur Schule gegangen. Waren die Hausarbeiten nachmittags gemacht, hat er schon als Zwölfjähriger im elterlichen Betrieb Kissen gefüllt. Mit 18 hat er ihn zusammen mit einer Mitarbeiterin als Urlaubsvertretung gestemmt, später in Stuttgart studiert - um anschließend in seine Heimat im Ermstal zurückzukehren.
Trotz erheblicher Umsatzverluste nach der D-Mark-/Euro-Umstellung 2002 und während der Corona-Pandemie stand und steht das Bettenhaus Pfäffle solide da. Andreas Kramer übernimmt von den Pfäffles ein bestelltes Feld. Eins, das auch Nicht-Betten-Kunden kennen: Der Laden ist als Kelly-Insel seit Frühjahr 2024 eine Anlaufstelle für Kinder, die Rat und Hilfe suchen. Oder vielleicht ein Kissen neu befüllen wollen. Bernd Pfäffle hilft übergangsweise noch dabei, steht dem neuen Chef Andreas Kramer zur Seite. (GEA)