TÜBINGEN. Oft fangen Filme irgendwie an, und man weiß nach wenigen Einstellungen: Daraus wird nichts. Hier ist es umgekehrt. »Raiz – Durch Felsen und Wolken« beginnt mit der langen Großeinstellung eines flauschigen Alpakas, das mit seinen braunen Kulleraugen interessiert die idyllische Landschaft einer abgelegenen Andenregion mit schneebedeckten Bergen, tiefblauen Seen und saftigen Weidelandschaften betrachtet. Ein Sinnbild und Plädoyer für den Erhalt einer in weiten Teilen noch unberührten Natur.
So beginnt die chilenisch-peruanische Koproduktion von Franco García Becerra, der in seinem Spielfilm »Raiz – Durch Felsen und Wolken« das Leben eines kleinen Hirtenjungen im ländlichen Peru mit der Ausbeutung der Landschaft durch den Bergbau verknüpft. Am Sonntag lief der auf der letztjährigen Berlinale ausgezeichnete Film im Beisein der Drehbuchautorin Annemarie Gunkel im Rahmen des Festivals Cinelatino im ausverkauften Tübinger Kino Museum. Nach der Vorführung beantwortete die in Horb aufgewachsene und seit 20 Jahren in Lateinamerika lebende Drehbuchautorin Fragen aus dem Publikum und berichtete von ihrer Arbeit für den Low-Budget-Film.
Zwei Freunde und ein Hobby
Im Mittelpunkt steht der erst achtjährige Feliciano, der jeden Tag in den peruanischen Anden die Alpakaherde seiner Familie hütet. Seine einzigen Freunde sind der Schäferhund Rambo und sein Lieblings-Alpaka Ronaldo. Ihnen erzählt er alles über sein Hobby Fußball und seinen großen Traum, dass sich die peruanische Nationalmannschaft für die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland qualifiziert.
Doch schon bald schleicht sich in die friedliche Routine eine bedrohliche Realität. Ein Bergbauunternehmen macht den Bewohnern der kleinen Gemeinde Druck, ihr Land zu verkaufen, und greift zur Einschüchterung zu radikalen Mitteln: Zuerst werden mehrere Alpakas mit aufgeschlitzter Kehle vorgefunden, und dann verschwindet auch noch Felicianos Lieblings-Alpaka Ronaldo.
Ungleicher Kampf
Während der Junge verzweifelt nach seinem Freund sucht, rebellieren die Bewohner des Dorfes gegen das Bergbauunternehmen und blockieren dessen Zufahrtsstraße. Der Film zeichnet eindrücklich den ungleichen Kampf zwischen unberührtem Idyll und Ausbeutung der Umwelt nach. Dabei erzeugt der Kontrast eine Spannung, die noch verstärkt wird durch die hereinbrechende Gewalt kapitalistischer Verhältnisse. Franco García Becerra gelingt es durch ungewöhnliche Aufnahmen, die Vergessenen unserer Zeit in den Mittelpunkt zu rücken und ihren Schicksalen konkrete Namen und Gesichter zu geben.
Die seit sechs Jahren in Peru lebende Annemarie Gunkel hat das Drehbuch zu dem Film geschrieben und betonte nach der Aufführung, der Film sei zwar eine Fiktion, weise aber mit der Realität große Ähnlichkeiten auf. Die Laienschauspieler konnten sich allesamt »gut mit den Problemen, die der Raubbau an der Natur mit sich bringt, identifizieren«, so die 39-jährige Autorin. Lässt der Film die Bewohner der Andenregion dennoch hoffen? Taucht das Alpaka namens Ronaldo wieder auf? Und wird sich die peruanische Nationalmannschaft für die Weltmeisterschaft qualifizieren? Es wird spannend im Film. (GEA)