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Zimmer frei am Grabesrand: »Kalter Hund« am Tübinger Zimmertheater

Mit der Premiere von »Kalter Hund« lockt das Zimmertheater Tübingen in eine unheilvolle Wohngemeinschaft, in der nur eins klar ist: Rüdiger ist schuld!

Tischritual in Schwarz: Julian Lehr, Jel Woschni, Cyril Hilfiker (von links nach rechs).
Tischritual in Schwarz: Julian Lehr, Jel Woschni, Cyril Hilfiker (von links nach rechs). Foto: Alexander Gonschior
Tischritual in Schwarz: Julian Lehr, Jel Woschni, Cyril Hilfiker (von links nach rechs).
Foto: Alexander Gonschior

TÜBINGEN. Ein größerer Teil der Menschen, besonders in Tübingen, teilt gewiss die Erfahrung, einmal in einer Wohngemeinschaft gelebt zu haben. Peer Mia Ripberger, Intendant des Tübinger Zimmertheaters, gehört mutmaßlich dazu und träumt vielleicht noch immer gelegentlich von seiner WG-Zeit. Er schrieb das Stück »Kalter Hund, oder: Dackel, die ins Gras beißen«, das nun Premiere feierte und eine WG der besonderen Art vorstellt.

Mulmig mag dem Publikum schon werden beim Blick auf den ersten Bewohner dieser WG, Henrik, der ganz in Schwarz am Tisch sitzt und, als gäbe es für immerdar nichts besseres zu tun, einen rabenschwarzen Teller poliert, betrachtet, poliert, mit unendlicher Geduld und strengem Blick. Das dauert. Karl tritt auf, und zwischen beiden entspinnt sich ein Dialog, wie Dialoge sich entspinnen zwischen Menschen, die sich täglich begegnen und nicht mehr viel zu sagen haben: »Wie ist’s?« – »Es geht.« – »Dann geht’s ja.«

Wo ist Rüdiger?

Ein Zimmer ist frei in der Wohnung, das erfährt man. Henrik wünscht sich ein Kind, Karl wünscht sich eher einen Besucher. Plötzlich klopft es an der Tür und Rasmus steht davor – ein alter Bekannter Karls, unangekündigt, unbestellt, unerklärlich. Er sagt erst guten Tag, dann will er bleiben. Und er hat bald Grund, sich zu wundern, denn in der WG geschehen seltsame Dinge: Hier wäscht man Geld tatsächlich in der Maschine, und nicht zu heiß, bittesehr. Henrik und Karl reden außerdem ständig von einem gewissen Rüdiger, der verantwortlich ist für alles, was schiefläuft im Hause. Dessen Geburtstag die Bewohner feiern, obwohl er fehlt. Rasmus wirft versehentlich einen Blick in die Tiefkühltruhe, die im Keller steht, in dem es angeblich spukt: Drin liegt Rüdiger, mausetot. Rasmus beginnt, sich zu sorgen. Er möchte gehen. Aber er kann nicht.

»Kalter Hund« wirkt von Anfang an doppelbödig, denn Peer Mia Ripberger hat seinen Text aufgeladen mit allen denkbaren makaberen Metaphern, Wortspielen, Kalauern. Wird Rüdigers Geburtstag gefeiert, hängt man in der Wohngemeinschaft Radieschen an die Leine und betrachtet sie von unten; wird gegessen, muss hier jeder Mal den Löffel abgeben. Karl heißt, dies erfährt man beiläufig, mit vollem Namen Karl B. Statter, und Henriks Nachname ist Henker. Gemeinsam betrieben sie einst ein Bestattungsinstitut und irritierten das Beisetzungspublikum auf Wunsch der Verstorbenen mit seltsamen Aktionen.

Es gibt kein Entkommen

Der Zuschauer im Zimmertheater wähnt sich zunächst in einer neuzeitlichen Version von »Arsen und Spitzenzhäubchen« und rechnet schon fest damit, dass Karl und Henrik dazu ansetzen, Rasmus zu meucheln. Aber der Zuschauer täuscht sich natürlich. Die Wendung, die das Geschehen nimmt, ist dennoch leicht zu durchschauen, spätestens, wenn Rasmus zur Tür hinausgeht und gleich wieder zurückkehrt: Diese WG ist ein Ort, aus dem es kein Entkommen gibt. Hier kann man nur noch sein Geld waschen und zählen, seine Schulden begleichen und froh sein, wenn man sich zuletzt zu Rüdiger legen darf.

Das Stück endet glücklicherweise nicht mit dieser Enthüllung, sondern wandelt seinen Ton von komisch-makaber zur leichten Melancholie, und der Zuschauer fragt sich alsbald, ob »Kalter Hund« nun eine bissig-skurrile Mediation über die Sterblichkeit oder ein boshafter Kommentar zum WG-Dasein schlechthin sein könnte. Cyril Hilfiker, Julian Lehr und Jel Woschni spielen Karl, Rasmus und Henrik mit Gleichmut, sturer Empfindsamkeit, sarkastisch, verzweifelt, nuanciert. Karl taut regelrecht auf, als er schließlich in die Kühltruhe darf.

Der Alltag in Schwarz

Peer Mia Ripberger hat für das Zimmertheater bislang vor allem Stücke geschrieben, die Themen des zeitgenössischen Diskurses aufgriffen. »Kalter Hund« dagegen ist klar erzählend in der Haltung und ein wenig dem Theater des Absurden verpflichtet. Nicola Gördes hat das Stück ausgestattet mit vielen schwarzen Alltagsgegenständen, vielen schwarzen Erinnerungstellern, einem weißen Tuch, das über Tisch, Stühle und Boden fließt und das wie erstarrt wirkt vom Staub vieler Jahre. Die Protagonisten sind vornehm in Schwarz gekleidet; nur Rasmus trägt noch eine helle Jacke, zu Beginn. Bald schon geht der Alltag weiter, in anderer Besetzung und gewohnter Manier, in der Wohngemeinschaft der ewigen Wiederkehr. (GEA)