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Zündfunken am Dirigentenpult: Johann Strauss‘ »Casanova« in Stuttgart

Das Johann-Strauss-Jahr steht vor der Tür. 2025 feiert der Walzerkönig seinen 200. Geburtstag. Die Staatsoper Stuttgart ehrt ihn mit einer wenig gespielten Revue-Operette. Was die Frage aufwirft: Können die das?

Frivoles Treiben: Maria Theresa Ullrich als Barberina, Michael Mayes als Casanova und der Staatsopernchor Stuttgart in der Revue
Frivoles Treiben: Maria Theresa Ullrich als Barberina, Michael Mayes als Casanova und der Staatsopernchor Stuttgart in der Revue-Operette »Casanova« von Johann Strauss und Ralph Benatzky. Foto: Matthias Baus
Frivoles Treiben: Maria Theresa Ullrich als Barberina, Michael Mayes als Casanova und der Staatsopernchor Stuttgart in der Revue-Operette »Casanova« von Johann Strauss und Ralph Benatzky.
Foto: Matthias Baus

STUTTGART. Casanova. Der Name scheint Programm. Wiewohl der alte Venezianer bis heute kaum in all‘ seinen Facetten präsent ist. Meist wird er reduziert auf den lustbetonten Frauenhelden. Dabei war er genauso Jurist, Schriftsteller, Bibliothekar, Historiker, Chemiker, Geiger oder Agent. Was zeigt: Eine schlichte oder gar ungebildete Persönlichkeit war dieser vor fast genau 300 Jahren geborene Giacomo Giordano nicht. Sondern ziemlich schillernd.

So passte er perfekt zum champagnergelaunten Berliner Unterhaltungstheater der 1920er-Jahre. Weswegen Erik Charell, seinerzeit Intendant des Großen Berliner Schauspielhauses, die Idee hatte, unter Verwendung wertvoller Musikteile von Johann Strauss eine Operetten-Revue zu Casanova zu kompilieren. Ralph Benatzky (»Im Weißen Rössl«) sollte ihm dieses Arrangement erstellen, dabei die Brücke zur angesagten amerikanischen (Jazz-)Musik schlagen. Gefertigt aus eher unbekannt gebliebenen Strauss-Bühnenwerken wie »Indigo« oder »Prinz Methusalem«. Und mit Einlagen für ein Männer-Vokalquintett, das in diesem Stück seinen ersten großen Auftritt hatte und später weltberühmt werden sollte: die Comedian Harmonists.

Es blitzt, funkt und zündet

Wenngleich die Musik auf der Höhe ihrer Zeit steht, durchaus dem Musiktheater Kurt Weills vergleichbar, wird das Stück heute kaum mehr aufgeführt. Die Staatsoperette Dresden brachte es, jetzt steht es in der Stuttgarter Oper auf dem Spielplan. Was man in der dortigen Repertoirepolitik kaum vermutet hätte. Und die Frage aufwirft: Können die das?

Was Chor, Orchester und Dirigent anbelangt: Auf jeden Fall. Unter der inspirierten Stabführung von Cornelius Meister blitzt, funkt und zündet es, wie die Premiere am Sonntagabend zeigte. Da haben die Chöre Esprit, werden die Walzer agogisch perfekt zelebriert, wird das Raffinement der Instrumentation ausgeleuchtet. Meister kann Operette mit all ihren Facetten. Schwelgerisch-süffig in den zarten Melodiewendungen. Mit perfekt dosierter Süße in den Liebesduetten. Einschließlich einer latenten Melancholie. Das Staatsorchester folgt ihm gewandt, und der Staatsopernchor hat seinen von Bernhard Moncado perfekt einstudierten Spaß am Persiflieren.

Ungereimtheiten in der Inszenierung

Den hat zuweilen auch Regisseur Marco Štorman. Schade nur, dass er sich dabei immer wieder selbst im Wege steht. Man weiß nicht so recht, wohin er konzeptionell möchte. Klar: »Es geht um die Frage, ob man mit dem Stück noch etwas erzählen kann, das heute von Interesse ist«, schreibt er im Programmheft. Aber was? Die Vorlage gibt nicht allzu viel her. Da arbeiten sich drei ungleiche Paare in einer dramaturgisch rasanten Bilderfolge am vermeintlichen Alleskönner in amourösen Angelegenheiten ab. Eine Bilderfolge, durch die gleichsam als Moderatorin eine »Barberina« mit ironischen Kommentaren führt. Bis am Schluss die Szenerie ins Absurde gewendet wird. Schließlich gehört auch der Dadaismus zu den Zwanziger-Jahren.

Einerseits zieht Štorman temperamentvoll seine Register zwischen leisem Humor und knall-draller Komik. Und dass er Solisten, Ensembles und Chor führen kann, steht außer Frage. Andererseits will er auch aktuelle kritische Impulse setzen. Doch die Anspielungen auf Elon Musk oder die AfD verpuffen aufgrund ihrer Aufgesetztheit. Ebenso halten die eingelagerten »Textinseln« über die antike Dichterin Sappho den Ablauf mehr auf, als dass sie zum Stück beitragen. Der intendierte »Kontrapunkt« zur Titelfigur Casanova bleibt etwas Behauptetes und bringt das, was eine prickelnde Revue ausmachen sollte, die zur Brillanz entwickelte spielerische Rasanz, ins Stocken.

Solisten überzeugen

Weshalb die Titelfigur wie Botticellis Venus einer Muschel entsteigt und sich in diese auch immer wieder zurückzieht, verwundert. Das soll wohl Androgynität vorstellen. Die aber zu dieser Rolle rein gar nicht passt. Casanova ist nicht der Prinz Orlowski, wenngleich auch dieser bei Johann Strauss vorkommt. Und ihn gegen Ende in einer lächerlichen Fellhose herumlaufen zu lassen, wirkt genauso deplatziert.

Ansonsten aber sind die Kostüme von Yassu Yabara genauso pracht- wie fantasievoll. Und das farbenfrohe Bühnenbild von Demian Wahler ist in der raffinierten Ausleuchtung von Valentin Däumler und Clemens Gorzella gekonnt opulent. Weshalb es in dieser Massivität nicht gerechtfertigt scheint, beim Schlussvorhang das Regieteam derart auszubuhen. Ein Übriges zur Habenseite leistet die fetzige Choreografie von Cassie Augusta Jorgensen. Weshalb sie auch als Doublette der Barberina in Erscheinung tritt, will nicht recht einleuchten.

Aufführungsinfo

Weitere Aufführungen sind am 28. und 30. Dezember, am 3., 7., 17. und 25. Januar sowie am 8. Februar. Am 22. Februar läuft eine Fernsehaufzeichnung bei »ARD Oper«. (GEA)
www.staatsoper-stuttgart.de

Ein feiner Zug vom Solistenensemble ist, dass insbesondere die Herren gemeinsam die Songs der Comedian Harmonists professionell gestalten, darunter der charaktervolle Elmar Gilbertsson, der markig Sitte und Moral verteidigende Bariton Johannes Kammler und der großzügig tenoralen Schmelz verschenkende Moritz Kallenberg. Bei den Damen gefallen die substanzreiche Barberina von Maria Theresa Ullrich, die silbrige Stine Marie Fischer und die blühende Esther Dierkes. Michael Mayes beginnt seinen Casanova mit genussvoll dröhnendem Bass-Pathos und wahrt dabei die gebotene Leichtigkeit in der Stimmführung. Bedauerlich, dass ihm im Verlauf die Kräfte schwinden. Doch hörenswert ist dieser Stuttgarter Beitrag zum Johann-Strauss-Jahr 2025 allemal. (GEA)