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WPR spielt Benefiz für Orgelerweiterung in Reutlinger Marienkirche

Die Marienkirchenorgel soll erweitert werden. Dafür sammelt der Reutlinger Kantor Torsten Wille Geld. Nun hat die Württembergische Philharmonie mit einem Benefizkonzert ihren Beitrag geleistet. Das klangliche Resultat: ein Ereignis!

Alexander Mayer dirigiert die Württembergische Philharmonie in der Marienkirche. Hinten die Videoeinblendung mit Torsten Wille a
Alexander Mayer dirigiert die Württembergische Philharmonie in der Marienkirche. Hinten die Videoeinblendung mit Torsten Wille am Spieltisch der Orgel. Foto: Armin Knauer
Alexander Mayer dirigiert die Württembergische Philharmonie in der Marienkirche. Hinten die Videoeinblendung mit Torsten Wille am Spieltisch der Orgel.
Foto: Armin Knauer

REUTLINGEN. Rappelvoll war die Marienkirche am Samstagabend. Gefühlt halb Reutlingen wollte sich das Erlebnis nicht entgehen lassen, wenn ein volles Sinfonieorchester auf eine der größten Orgeln der Region trifft. Letztere soll noch größer werdens. Kantor Torsten Wille sammelt Geld für die Erweiterung der 1989 eingebauten Rieger-Orgel. 710.000 Euro sind schon zusammengekommen, eine Million soll das Vorhaben kosten, 300.000 Euro fehlen noch. Nun stellte sich die Württembergische Philharmonie mit einem Benefizauftritt hinter das Vorhaben.

Ob die Statik der Kirche dem Schall des erweiterten Instruments standhalten werde, erkundigte sich scherzhaft OB Thomas Keck in der Pause bei Kantor Wille. Die Orgel soll jedoch, wie Wille dem Publikum erläuterte, keineswegs lauter werden, sondern farbenreicher. Orchesterähnliche Klangfarben wie Oboe oder Klarinette sollen dazukommen, ein Schlagwerk mit Celesta, Glockenspiel, Vibrafon und Zimbelspiel. Ein neuer Spieltisch mit Schnittstellen für elektronische Klänge - und einer zusätzlichen Klaviatur, die bei diesen elektronischen Klängen je nach Anschlag laut und leise unterscheiden kann.

Stahlträger für tausend Pfeifen

Die Statik muss trotzdem nachgebessert werden, wie Wille erläuterte. Nicht wegen des Schalldrucks, sondern wegen des Gewichts von rund fünf Tonnen der tausend neuen Pfeifen in zwei zusätzlichen Gehäusen. Sowie einer Reihe riesiger, bis zu zehn Meter langer Basspfeifen, die man oben quer aufs Gehäuse legt. Stahlträger sollen das Gewicht auffangen, »sonst kracht uns das durch die Decke«.

73 Register hätte die Orgel ursprünglich haben sollen. Der Denkmalschutz genehmigte damals nur 53, weil nur so viel in das historische Gehäuse passen. Das will Wille nun korrigieren. Diesmal hat er den Denkmalschutz gleich zu Beginn einbezogen. Und zwei Attrappen der zusätzlichen Orgelgehäuse aufstellen lassen. Um zu zeigen, dass die Fensterrosette nicht verdeckt wird. Der Denkmalschutz stimmte zu.

Abstimmung durch Videotechnik

Alles ist spektakulär bei einer solchen Riesenorgel. Auch der Aufwand, sie mit einem Orchester unten im Altarraum zu verbinden. Die erste Probe hatte WPR-Intendant Cornelius Grube noch die Sorgenfalten auf die Stirn getrieben. Moderne Videotechnik sorgte dafür, dass Organist und Dirigent sich trotz der Entfernung im Blick hatten. Im Konzert lief die Abstimmung wie geschmiert. Und das Publikum konnte das Orgelspiel Willes auf Großleinwand mitverfolgen. Furios, wie Wille ein rasantes Pedalsolo hinlegt und dabei seine Beine fliegen lässt!

Die Württembergische Philharmonie beim Orgel-Benefiz in der der Marienkirche.
Die Württembergische Philharmonie beim Orgel-Benefiz in der der Marienkirche. Foto: Armin Knauer
Die Württembergische Philharmonie beim Orgel-Benefiz in der der Marienkirche.
Foto: Armin Knauer

Man erlebte Musik, die wegen des Aufwands fast nie zu hören ist. Der französische Brahms-Zeitgenosse Félix-Alexandre Guilmant lässt in seiner »Première Symphonie« d-Moll op. 42 Orgel und Orchester wie zwei Kontrahenten aufeinanderprallen. Wuchtige Akkordschläge hier und dort wechseln sich ab. Mal lodert wilde Dramatik von der Orgelempore, dann wieder aus dem Orchester. Schon die Raumklangwirkung ist eine Wucht!

Hirtenidyll und Bläsersalven

Ein märchenhaftes Hirtenidyll ist der Mittelsatz. Holzbläserfarben im Orchester und in der Orgel lösen sich ab; zart glitzern Geigenlinien überm Orgelgrund. Die »Symphonie Concertante« C-Dur op. 81 des Belgiers Joseph Jongen (1873 - 1953) verwebt Orgel- und Orchesterklang viel stärker. Seine spätromantische Tonsprache entfaltet einen kaleidoskopartig funkelnden Klangstrom. Spaß macht das keck-synkopische, von der Orgel angestoßene »Divertimento«. Das »Lento« führt in ein Wunderland geheimnisvoll raunender Klänge. Ehe der Schlusssatz zum wilden Dauerkreiseln der Orgel feurige Bläsersalven in den Saal schleudert.

Zwischendurch hatte Torsten Wille ein fetziges Orgelsolo gestreut, mit dem frech dahinjazzenden »Let's Get Rythm« von Thomas Roß. In Mozarts »Linzer Sinfonie« durfte sich das Orchester auch mal orgelfrei entfalten. Alexander Mayer hielt die Beiträge von oben und unten vorbildlich zusammen. Er präparierte die Linien heraus, steuerte klar das rhythmische Geschehen. Und hatte als gelernter Organist ein hörbares Gespür für beide Seiten. WPR-Intendant Grube, nach dem ersten Probeneindruck noch Skeptiker, war so begeistert, dass er schon weitere Projekten sah. Womöglich in Form einer Uraufführung. (GEA)