TÜBINGEN. Der Hornist Mathias Stelzer, Solist beim Weihnachtskonzert des Tübinger Kammerorchesters am Montag im Tübinger Universitäts-Festsaal in der Neuen Aula, brachte die Aufklärung: Nicht Johann Sebastian Bachs Brandenburgisches Konzert Nr. 3 hatte das Orchester vor seinem Auftritt als Solist gespielt, wie im Programm angekündigt, sondern ein Concerto für Orchester von Antonio Vivaldi. Im Saal hatte es angesichts dieser Klänge zum Auftakt erstaunte Gesichter gegeben. Manche im Publikum bedauerten auch, dass das Bach-Werk an diesem Abend nun ganz entfiel.
Sie wurden entschädigt. Mit einem Reigen von Stücken, die zu den Perlen der Barockmusik zählen. Und zwei Solisten, die in ihren Darbietungen mit dem Orchester Virtuosität, Spielwitz und Tiefe des Ausdrucks auf bestrickende Weise verbanden. Stelzer, der aus dem Schwarzwald stammende Musiker, der in Wolfgang Amadeus Mozarts unvollendet gebliebenem Konzert für Horn und Orchester D-Dur KV 412 eine herrliche Wärme und Spritzigkeit in den munteren Sätzen verspüren ließ und als eingefügten langsamen Mittelsatz eine Elegie nach dem Schweizer Guggisberglied (Bearbeitung: Ernest Hiltenbrand) spielte. Eine schlicht-feierliche Mollweise, für die das Orchester eine Aura der Einkehr, fast des Stillstands schuf. Wobei das Horn sehnsuchtsvoll und versonnen klang und sein Solo mit einer absteigenden Melodielinie beendete.
Opus-Klassik-Preisträger
Mit David Hanke bot das Kammerorchester unter Gudni A. Emilssons stets den Kern der Musik erfassenden Leitung einen der Opus-Klassik-Preisträger 2024 (als Teil der Hanke Brothers in der Kategorie Nachwuchsförderung) auf. Schön, dass er als Solist gleich in zwei Blockflötenkonzerten zu hören war: Giuseppe Sammartinis Konzert in F-Dur und Vivaldis C-Dur-Konzert RV 443. Man fühlte sich bei seiner Virtuosität und Ausdruckskraft an den 2014 gestorbenen Blockflötenvirtuosen Frans Brüggen erinnert, dessen Interpretationen barocker und frühbarocker Werke enorme Popularität erlangten und der wesentlich mitwirkte, die Blockflöte als Konzertinstrument wieder salonfähig zu machen.
Sammartinis Konzert ist ein außergewöhnlich musikantisches Stück mit einem sehr ausdrucksstarken zweiten Satz. Der aus Sindelfingen stammende David Hanke spielte nicht einfach nur, er ließ die Musik durch seinen ganzen Körper strömen, bewegte sich wie ein Tänzer oder Schlangenbeschwörer dazu. Sein inspirierter, temperamentvoller Ansatz fand in den akzentuierten Rhythmen und der Verve, mit denen das Orchester ihn begleitete, eine wunderbare Entsprechung. Dem Mittelsatz »Siciliano« gaben Solist und Orchester eine zeitlose Anmut und empfindungsmäßige Tiefe. Bevor sie im Schlusssatz ein rasant-virtuoses Klangfeuerwerk zündeten.
Beinahe vom Boden abgehoben
Das Blockflötenkonzert von Vivaldi war an Munterkeit kaum zu überbieten. Die Streicher begleiteten teilweise fast perkussiv. David Hanke legte in den Ecksätzen einen Schwung an den Tag, der ihn beinahe vom Boden abheben ließ. Im elegischen Largo blieb die eine oder andere Ausschmückung bei ihm lakonisch. Umso mehr gab er dem Expressiven dieser unmittelbar berührenden Musik Raum.
Mit Francesco Geminianis Concerto Grosso »La Follia« nach Arcangelo Corellis Opus 5 Nr. 12 klang der Abend aus. Absolut beeindruckend, welchen Farbenreichtum das Orchester hier in Variationen, ausgehend vom langsam dahinschreitenden Stil einer Sarabande, im steten Wechsel von Tutti- und Concertino-Passagen, von bedächtig-melancholisch bis gallopierend-feurig bot. (GEA)