MÜNCHEN/BERLIN. Adele in München, Taylor Swift in London, Pink und AC/DC sogar in Stuttgart - eben noch ging wegen der Covid-19-Pandemie nichts mehr, nun jagen sich die Mega-Events. Die Pop-Branche legt eine Achterbahnfahrt hin, die den Atem stocken lässt. Den einen vor Staunen über Superlative: Für Adele baute man für zehn Konzerte bis Ende August in München eine eigene Arena für 74.000 Besucher samt Themenpark und 220 Meter breiter Videowand.
Den anderen stockt der Atem angesichts immer schwindelerregenderer Ticketpreise. Für einigermaßen gute Plätze musste man bei Adele zwischen 300 und 400 Euro berappen. Karten für Taylor Swift gab's in ähnlichen Regionen. Ist das die Zukunft?
Finanzierungsmodell gedreht
Klar ist: Das Finanzierungsmodell der Popbranche hat sich um 180 Grad gedreht. Noch vor wenigen Jahren waren Tantiemen aus CD-Verkäufen die wirtschaftliche Grundlage. Wesentlich verlässlicher als Erlöse aus Konzerttourneen, weshalb grob gesagt Tourneen dazu dienten, Alben zu bewerben.
Inzwischen ist es umgekehrt. Der CD-Verkauf samt der damit verbundenen Tantiemen ist zu einer vernachlässigbaren Größe abgesunken. Popmusik wird fast nur noch gestreamt. Auch dafür gibt es Geld – aber wenig. Wie wenig genau, ist kompliziert zu berechnen. Es hängt vom Geschäftsmodell der jeweiligen Streamingplattform ab, davon, ob man seine Musik über ein Label oder direkt veröffentlicht, und noch von weiteren Faktoren. Eine Übersicht bietet die Internetplattform www.music-hub.com – sie wurde von der musikalischen Verwertungsgesellschaft Gema gemeinsam mit der Berliner Digitalvertriebsgesellschaft für Indie-Labels Zebralution gegründet. Für konkrete Fälle kann man sich den zu erwartenden Erlös bei verschiedenen Streaming-Rechnern im Internet ausrechnen lassen (z.B. https://streamingeinnahmen.de)
Geringe Streaming-Erlöse
Weil die Sache so kompliziert ist, sei es in der Branche üblich, mit Durchschnittswerten zu kalkulieren, heißt es auf music-hub.com: »zum Beispiel mit 0,003 € für einen Spotify-Stream«. Heißt konkret: Wird ein Song eine Million Mal gestreamt, kämen 3.000 Euro zusammen. Sprich: Selbst mit enormen Klickzahlen kommt man kaum in Regionen, dass sich davon die nächste Studioproduktion finanzieren ließe. Plötzlich versprechen Livekonzerte viel höhere Erlöse. Und so ist es nun umgedreht: Nun dient dienen Album-Veröffentlichungen vor allem der Bewerbung der Livetourneen.
Der Fall scheint also klar zu liegen: Weil die Popstars nicht mehr von den Platteneinkünften leben, sondern von den Erlösen ihrer Konzerte, sind die Tickets so teuer. Aber so einfach ist es nicht. Denn nach dieser Logik müssten die Ticketpreise querbeet einen mächtigen Sprung nach oben gemacht haben. Dem ist jedoch nicht so.
Günstige »Normalstars«
Ein Blick in die vom Stuttgarter Veranstalter Music Circus im Oktober angebotenen Konzerte verdeutlicht das: Für Schockrock-Urgestein Alice Cooper sind Karten ab 73,90 Euro zu haben; für die isländisch-italienische Liedermacherin Emiliana Torrini in der Liederhalle muss man nur 34 Euro berappen, für die US-Rocker von Monster Magnet im LKA Longhorn 41,50. Ex-Sunrise-Avenue-Star Samu Haber lässt seine Fans ab 67,40 Euro ins Longhorn, mit den Seemannsliedern von Santiano darf man in der Porsche-Arena ab 49,50 Euro schunkeln. Selbst Powerwolf, im deutschen Metal-Genre derzeit die Nummer eins der Publikumsgunst, öffnen die Tore zur Klanghölle in der Schleyerhalle bereits ab knapp 60 Euro, die teuersten Tickets kosten 80 Euro. Die Preise sind gegenüber Vor-Corona also nur mäßig höher, was sich bereits mit gestiegenen Energiepreisen und Lohnkosten erklärt.
Wie kann das sein? Zunächst einmal haben die Stars ja auch schon vorher nicht ohne Gage gespielt. Zu Buche schlägt also nur das, was sie angesichts der geänderten Verhältnisse mehr nehmen. Sodann sind die Künstlergagen nur ein Posten einer Konzertproduktion - im traditionell aufwendigen Popgeschäft nicht unbedingt der größte. Wobei es schon Fälle gibt, in denen sich die neuen Verhältnisse abbilden. Im vergangenen Jahr waren für Mark Forster in der Schleyerhalle einiges über hundert Euro zu bezahlen. Nur ist das bei den »Normalstars« eher die Ausnahme als die Regel. Und es ist klar, warum: Wenn Forster zu teuer ist, geht man eben zu Benzko oder Poisel.
Megastars als Preistreiber
Die Ticketpreise der Superlative werden hingegen in einer ganz anderen Welt abgerufen – jener der Megastars und Mega-Events. Wie sagte doch Marek Lieberberg, Geschäftsführer von Live Nation, gemeinsam mit Leutgeb Entertainment verantwortlich für die Auftrittsserie von Adele in München, der Süddeutschen Zeitung: »Das alles hat rein nichts mit unserem gewöhnlichen Tagesgeschäft zu tun. Im Gegenteil, eine solche Unternehmung ist die absolute Ausnahme von der Regel. Eine extreme Herausforderung und Anstrengung, auch ökonomisch.«
Bei den Konzerten von Adele oder Taylor Swift geht es um ein Erlebnis, das Einzigartigkeit verspricht und nicht durch den Gang zum nächsten Star ersetzt werden kann. Es geht um eine »Einmal-im-Leben-Erfahrung«, für die Fans bereit sind, große Summen hinzulegen, weil sie gefühlt durch nichts anderes zu ersetzen sind. Es geht um Künstlerinnen und Künstler, die Legendenstatus haben: Acts wie Adele, Taylor Swift, Lady Gaga, Madonna, die Rolling Stones, AC/DC, Peter Gabriel, Coldplay, Metallica, Iron Maiden. Acts, die über den Globus hinweg riesige Mengen von Menschen ansprechen, deren Live-Auftritte aber rar sind. Taylor Swift ist in Europa selten live zu erleben. Peter Gabriel machte sich vor seinem Münchner Auftritt jahrelang rar. Bei den Rolling Stones schwang immer die Angst mit, es könne die letzte Show sein. Coldplay bespielen auf ihrer aktuellen Tour nur ausgewählte Metropolen wie Athen, Rom, Düsseldorf, Helsinki, München, Wien, Dublin.
Versprechen von Einmaligkeit
Es geht um das Versprechen von Einmaligkeit. Um dieses einzulösen, sind die Shows in der Regel extrem aufwendig – und damit teuer. Schon bei Peter Gabriel war das ganze technische Setting mit Zentralbühne im Stadion mindestens so sensationell wie die Musik selbst. Für Adele wurde eine eigene Arena auf dem Messegelände beim Münchner Flughafen aus dem Boden gestampft, 300 Meter breit, mit 200 Meter breiter Videowand; 100.000 Quadratmeter regendurchlässiger Asphalt wurden verlegt; 7.000 Menschen sollen an der Errichtung der Arena samt angegliedertem Adele-Themenpark beteiligt gewesen sein; rund 4.000 Mitarbeiter braucht es der Süddeutschen Zeitung zufolge, um den Konzertbetrieb am Laufen zu halten. Die Veranstalter sprechen von einer dreistellige Millionensumme, die investiert wurde. Selbst wenn Adele für ihre zehn Auftritte eine Millionengage kassiert hat, macht das nur einen Bruchteil aus.
Die Ticketkosten erklären sich aus eben diesem hohen Aufwand. Bei zehn Shows kommen rund 700.000 Besucher zusammen. Das ist eine enorme Zahl. Und doch kommen, wenn jeder für sein Ticket hundert Euro zahlt, nur 70 Millionen zusammen. Um eine dreistellige Millionensumme zu refinanzieren, müssen die Tickets also zweihundert Euro und mehr kosten. Gleichzeitig wird das von Mark Lieberberg schon angedeutete Risiko einer solchen Unternehmung sichtbar: Wenn die zehn Konzerte nicht annähernd voll sind, droht die Pleite. Im Fall von Adele haben die Veranstalter die Kurve wohl gekriegt - noch eben so. Denn ausverkauft waren die Konzerte nicht, eine Auslastung von 95 Prozent, wie von Lieberberg verkündet, dürfte jedoch gereicht haben.
Neigung des Pop zur Größe
Ist solch ein Gigantismus notwendig? Klar ist, dass das Popgeschäft seit jeher dazu neigt. Das ging bereits mit Woodstock los, wo man die notwendige Logistik für solche Dimensionen völlig unterschätzte. Es ging weiter mit den Shows von Pink Floyd in den 1980ern, als auf dem Mannheimer Maimarkt Boxentürme von den Ausmaßen kleiner Hochhäuser aufgebaut wurden und ein überdimensionales rosa Schwein über die Zuschauermenge hinwegschwebte. Oder 1990 die »The Wall«-Show von Roger Waters, für die auf dem ehemaligen Todesstreifen in Berlin eine riesige Styropormauer errichtet wurde, die zum Finale effektvoll einkrachte.

Pop ist ein Massenphänomen, und gerade bei den Megastars liegt die Herausforderung darin, ein in die Zigmillionen gehendes Fanpublikum quer über den Globus zu bedienen. Um 700.000 Menschen live mit normalen Hallenkonzerten zu erreichen, hätte Adele rund hundert Mal auftreten müssen. Zusammen mit der Aura der Einzigartigkeit, die es in diesem Segment einzulösen gilt, liegen solche extrem aufwendigen Massenshows daher nahe. Adele ist auch nicht die erste, für die eigens ein temporäres Stadion gebaut wurde: Im Sommer 2022 taten sich die großen Veranstalter in Stuttgart wie Music Circus, C2 Concerts und Chimperator zusammen und stellten für Größen wie Rammstein und Iron Maiden eine Arena für rund 50.000 Fans auf den Cannstatter Wasen.
Ende der Spirale nicht absehbar
Letztlich ist es die massenweise kultartige Verehrung bestimmter Künstler und Bands, die diesen Gigantismus antreibt – und die damit verbundenen Ticketpreise. Im Moment ist nicht absehbar, dass diese Spirale abbricht. Wenn Sie 300 Euro oder mehr für Adele als Wahnsinn empfinden, dann empfehlen wir Ihnen Emilia Torrini. Die können Sie für ein Zehntel der Summe genießen, ganz nah in der Liederhalle und nicht gefühlte Kilometer entfernt auf der Videowand. Und wer von beiden am Ende künstlerisch mehr zu sagen hat, das ist noch einmal eine ganz andere Frage. (GEA)