Logo
Aktuell Geschichte

Vor 500 Jahren: Reutlingens kalte Schulter im Bauernkrieg

Wie der »Bauernkriegs-Zimmermann« das Gedenken an den Bauernkrieg vor 500 Jahren prägte. Bertolt Brecht plante einen Film.

Die Zwölf Artikel gehören zu den Forderungen, die die Bauern im Deutschen Bauernkrieg 1525 in Memmingen gegenüber dem Schwäbisch
Die Zwölf Artikel gehören zu den Forderungen, die die Bauern im Deutschen Bauernkrieg 1525 in Memmingen gegenüber dem Schwäbischen Bund erhoben. Sie gelten nach der Magna Carta von 1215 als eine der ersten niedergeschriebenen Forderungen nach Menschen- und Freiheitsrechten in Europa. Das Exemplar oben wurde in Augsburg, das unten in Reutlingen gedruckt. Foto: Günter Randecker
Die Zwölf Artikel gehören zu den Forderungen, die die Bauern im Deutschen Bauernkrieg 1525 in Memmingen gegenüber dem Schwäbischen Bund erhoben. Sie gelten nach der Magna Carta von 1215 als eine der ersten niedergeschriebenen Forderungen nach Menschen- und Freiheitsrechten in Europa. Das Exemplar oben wurde in Augsburg, das unten in Reutlingen gedruckt.
Foto: Günter Randecker

DETTINGEN. Vor 500 Jahren: Aufruhr, seit Anfang 1525, im schwäbischen Land. »Die Bauern hatten eine Fahne, unter der sie vereint fochten«, ist in Wilhelm Zimmermanns »Geschichte des großen Bauernkrieges« zu lesen: »Diese Fahne waren die Zwölf Artikel« – entstanden im ersten Viertel des Jahres 1525 in Oberschwaben. Diese bauerschaftlichen Forderungen verbreiteten sich blitzschnell durch ganz Deutschland. In der Wilhelm-Zimmermann-Gedenkstätte im Johann-Ludwig Fricker-Haus, Milchgasse 6 in Dettingen/ Erms, geöffnet am Sonntag, 5. Januar, von 11 bis 12 Uhr, ist dieses Manifest des gemeinen Mannes ausgestellt – laut Zimmermann »ein religiös-politisches Glaubensbekenntnis«.

Titel und Einzelartikel sind von Zimmermann (1807–1878) in modernes Deutsch übertragen und näher erläutert worden: »Die gründlichen und rechten Hauptartikel aller Bauerschaften und Hintersassen der geistlichen und weltlichen Obrigkeiten, von welchen sie sich beschwert vermeinen.« Mehr als ein Dutzend Druckorte sind nachgewiesen, darunter auch Reutlingen. Dieser Druck stammt von Hans von Erfurt (bei dem allerdings das Wort »rechte« fehlt). Gezeigt wurde das einzig erhaltene Exemplar 1999 im Rahmen der Ausstellung »Zimmermann 1514/1525 und 1848/1849 in Pfullingen«. Dieses wertvolle Druckwerk ist damals von privater Seite zum Verkauf angeboten worden. Reaktion der Stadt Reutlingen: kein Interesse.

Reutlingen gewährte Bauernfeinden Einlass

Schon 1525 hatte Reutlingen den Bauern die kalte Schulter gezeigt. Die Bauernhaufen forderten die Freie Reichsstadt auf, sich ihnen anzuschließen als evangelische Brüder. Sie rechneten, laut Zimmermann, umso mehr darauf, da die Stadt Reutlingen »wegen ihres Reformators Matthäus Alber und wegen des Evangeliums in Bann und Acht war«. Aber anders als Pfullingen wiesen Alber und der Rat der Stadt die Bauern zurück und gewährten Einlass den Bauernfeinden vom Fähnlein des Schwäbischen Bundes.

Zimmermann über die Artikel des Bauernprogramms: »Ihr Inhalt ist gemäßigt, noch mehr der Ton, worin sie abgefaßt sind. In klarer Sprache sind die Wünsche des Volkes dargelegt. Es weht darin ein Geist der Milde, der Versöhnlichkeit in der Sprache der Unterdrückten und ein christliches Erbieten.« Es seien Artikel gewesen mit Forderungen dreifacher Art: 1.) »Solche, welche seit Jahrhunderten immer wiederholt gestellt wurden, wie die Freiheit der Jagd, des Fischens, der Holzung, und die Beseitigung des Wildschadens; 2.) solche, welche die Abstellung neuer Beschwerungen, der vervielfachten ungerechten Frohnen und Steuern, der partheiischen Rechtspflege, überhaupt der Übergriffe der Herrschaften fordern; 3.) und endlich solche, in welchen die neue Lehre von der evangelischen Freiheit sich geltend macht, und welche Leibeigenschaft, kleinen Zehenten, Todfall als unbiblisch und unchristlich beseitigen, freie Religionsübung und Wahl der Prediger durch die Gemeinde als ein evangelisches Recht ansprechen.«

Immer wieder nachgedruckt

In der Wilhelm-Zimmermann-Gedenkstätte sind auch die illustrierten Ausgaben des Dettinger Hauptwerks ausgestellt. Diese Abbildungen finden sich jetzt wieder in Büchern, Magazinen und Artikeln zu »500 Jahre Bauernkrieg«, allerdings ohne Hinweis auf die Zimmermannsche Original-Quelle. Friedrich Hottenstedt illustrierte Zimmermans Werk noch 1877 mit einer Lithografie zu Götz von Berlichingen. Die immer wieder nachgedruckten Zimmermann-Illustratoren Victor Schivert und Otto Emil Lau steuerten mehr als 100 Zeichnungen zur Volksausgabe von 1891 bei.

Wilhelm Zimmermann hat nicht nur ein Stück Weltliteratur geschaffen, übersetzt ins Französische, Englische, Russische und Chinesische; seine Bauernkriegs-Geschichte inspirierte auch Käthe Kollwitz. Ihr Bauernkriegs-Zyklus von 1902 bis 1908 wurde 2024 allein in drei großen internationalen Museen gezeigt: im Frankfurter Städel, im New Yorker Museum of Modern Art und, noch bis 23. Februar 2025, im Kopenhagener »Statens Museum for Konst« unter dem Titel »Mensch«. Kollwitz bekannte: »Damals las ich den Zimmermannschen Bauernkrieg.« Und Walther Heymann schrieb 1912: »Beschenkt durch Wilhelm Zimmermanns Geschichte des großen Bauernkrieges schuf sie die Frau, die zum Aufstand reizt.«

Brechts Film wurde nie realisiert

Zimmermann war es auch, der den Namen des im Bauernkrieg vom Schwäbischen Bund gevierteilten Malers und Bauernkanzlers Jerg Ratgeb in seinem Werk (nach über 300 Jahren des Verschweigens) als einer der Ersten wieder bekannt machte. Zum 450. Jahrestag der Bauernerhebung, 1975, hat der Holzschneider HAP Grieshaber, auch ein Zimmermann-Leser, den Jerg-Ratgeb-Preis gestiftet.

Veranstaltungsinfo

Die Sonderausstellung »Wilhelm Zimmermanns ›Geschichte des großen Bauernkrieges‹ und die Zwölf Artikel« in der Wilhelm-Zimmermann-Gedenkstätte im Johann-Ludwig-Fricker-Haus, Milchgasse 6 in Dettingen/Erms, ist am Sonntag, 5. Januar, von 11 bis 12 Uhr zu sehen. Im ersten Halbjahr 2025 widmet sich die Gedenkstätte dem Thema »500 Jahre Bauernkrieg aus der Sicht des Bauernkriegs-Zimmermann«. Am 2. März um 11 Uhr kommt Professor Dr. Hermann Ehmer, früherer Leiter des Landeskirchlichen Archivs, in die Gedenkstätte und spricht zum Thema »Weinsberger Ostersonntag, 16. April 1525«. Während der Öffnungszeiten der Gedenkstätte (jeden ersten Sonntag im Monat von 11 bis 12 Uhr) kann auch der Originaltext der Zimmermannschen Chronik, ergänzt mit Dokumenten aus der Zeit von Februar bis Mai 1525, eingesehen werden. (GEA)

Von Bertolt Brecht stammt sogar ein Entwurf zu einem Bauernkriegs-Film – mit der Figur des Eulenspiegels: »Es ist Zeit der Bauernkriege. Eulenspiegel ärgert sich darüber, daß der Truchseß von Reuttlingen ihm einen Korb mit Eiern zerschlagen läßt ...« Und nach dem Sieg der Bauern bei Weinsberg: »Eulenspiegel sagt voraus, daß die Versprechungen der besiegten Herren keinen Schuß Pulver wert sein werden.« Brechts Kinofilm ist nie realisiert worden, aber Zimmermanns Vorlage hat Dramatiker wie Gerhart Hauptmann, Friedrich Wolf und Yaak Karsunke zu ihren Bauernkriegsstücken beflügelt. (GEA)