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Aktuell Kunstaktion

Ute Diez entfacht Kissenschlacht im Reutlinger Kunstverein

Als Stipendiatin am Kulturpark Nord hat die Kieler Künstlerin Ute Diez Reutlingen ein Kissenwunder beschert. Tausend mit Text verzierte Exemplare sind in einem Jahr entstanden. Beim Abschlussevent im Kunstverein flogen viele davon in die Luft.

Besucher werfen Dutzende Kissen in die Luft bei der Vernissage von Ute Diez' Projekt im Kunstverein.
Besucher werfen Dutzende Kissen in die Luft bei der Vernissage von Ute Diez' Projekt im Kunstverein. Foto: Armin Knauer
Besucher werfen Dutzende Kissen in die Luft bei der Vernissage von Ute Diez' Projekt im Kunstverein.
Foto: Armin Knauer

REUTLINGEN. Das gab's noch nie im Reutlinger Kunstverein: Hemmungslos werfen am Freitagabend Dutzende von Besuchern Teile einer Installation in die Luft. Nein, es gab keine Massenrandale in den Wandel-Hallen. Das Kunstwerk von Ute Diez besteht aus einem Haufen Kissen und das zugehörige Kissenwerfen ist als angeleitete Performance Teil der Vernissage. Kissenschlacht im Kunsttempel - Ute Diez habe ihr einen Traum erfüllt, versichert Kunstvereinsleiterin Julia Berghoff.

Ausstellungsinfo

Die Abschlusspräsentation »1.000 Kissen für Reutlingen« ist im Kunstverein Reutlingen in den Wandel-Hallen (Eberhardstraße 14) nur dieses Wochenende, 21./22. September, zu sehen, Samstag und Sonntag jeweils 11 bis 17 Uhr, sowie am kommenden Mittwoch, 25. September, um 13 Uhr. An diesem Termin ist »Kissendemo« mit Kissenmarsch vom Kunstverein zu den Echaz-Terrassen, wo die Objekte symbolisch der Stadt zurückgegeben werden. (GEA)
kunstverein-reutlingen.de/ausstellungen

Die Kielerin Ute Diez ist seit einem Jahr Stipendiatin am Kulturpark Reutlingen-Nord. Inklusive Projekte sind dort, am Standort der Behinderteneinrichtung Rappertshofen, gefragt; inklusive Projekte sind Diez' Spezialität. Sie grub in der Reutlinger Geschichte, stieß auf die Textilvergangenheit mit Firmen wie der Ulrich Gminder GmbH. Etwas mit dem berühmten Gminder-Leinen wollte sie machen. Aber etwas nicht bloß für sich - sondern etwas, das die Stadt mit einbezieht.

Die Kieler Künstlerin Ute Diez auf einem Berg von Kissen aus ihrer Aktion im Kunstverein vor der Kissenschlacht-Performance.
Die Kieler Künstlerin Ute Diez auf einem Berg von Kissen aus ihrer Aktion im Kunstverein vor der Kissenschlacht-Performance. Foto: Armin Knauer
Die Kieler Künstlerin Ute Diez auf einem Berg von Kissen aus ihrer Aktion im Kunstverein vor der Kissenschlacht-Performance.
Foto: Armin Knauer

Tausend Kissen sollten entstehen, beschriftet, weil Diez immer auch Sprache mit einbezieht. Die Sache zieht Kreise. Nähworkshops und Schreibworkshops und Druckworkshops ploppen auf. Das Kunstmuseum, die Stadtbibliothek, das Texoversum klinken sich ein. Die Firmen Hugo Boss und Engel Textil spenden Stoffe. Klienten und Mitarbeiter der Behinderteneinrichtung Habila, die eng mit dem Kulturpark Nord verwoben ist, machen mit. Mütter, Väter, Verwandte und Bekannte nähen, dichten, pinseln, drucken. Eine Aktion geht viral, verbindet Menschen mit und ohne Behinderung, junge, alte, Enkel und Oma, Studierende, Kinder, Rentner, Firmenmanager. »Jedes dieser Kissen repräsentiert die Geschichte eines Menschen oder einer Gruppe«, bringt es Joachim Kiefer auf den Punkt, Geschäftsführer von Habila.

Symbol für Geborgenheit und Wärme

Dieser wuchernde soziale Prozess ist das eigentliche Kunstwerk. Alles entfacht von einem einfachen Symbol: Das Kissen steht für Ute Diez für Geborgenheit, für das Zuhause, für menschliche Wärme. Für das Miteinander. Von dem ein bisschen mehr uns allen gut tun würde und der Welt an sich auch.

Beeindruckender Teppich aus 560 beschrifteten Kissen im Kunstverein.
Beeindruckender Teppich aus 560 beschrifteten Kissen im Kunstverein. Foto: Armin Knauer
Beeindruckender Teppich aus 560 beschrifteten Kissen im Kunstverein.
Foto: Armin Knauer

Die Vernissage im Kunstverein ist denn auch beides: Kunstschau und gefeiertes Miteinander. Nicht tausend, sondern 1.007 Kissen sind zusammengekommen. 560 der Kissen formen sich im Kunstverein zu einem schier endlosen Teppich. Einen Teilraum haben drei Studentinnen des Texoversums mit Tüchern und Podesten in einen Kissentempel verwandelt: Victoria Römmich, Johanna Wagner und Katharina Fusseder. Eine Wand ist reserviert für ein einziges Kissen mit der Aufschrift »Solide Rückwand«. Zu sehen ist das alles nur dieses Wochenende. Am kommenden Mittwoch, 25. September, kann man um 13 Uhr nochmal gucken, dann geht es vom Kunstverein an die Echaz-Terrassen, wo die Kissen symbolisch an Reutlingen zurückgegeben werden.

Der Kissenberg vor der Kissenschlacht.
Der Kissenberg vor der Kissenschlacht. Foto: Armin Knauer
Der Kissenberg vor der Kissenschlacht.
Foto: Armin Knauer

Bei der Vernissage moderiert Iara Peters das Geschehen, Mitarbeiterin des Kulturparks Nord. Die Besucher stellen sich im Kreis auf, nehmen ein Kissen, betrachten es, betasten es - dann fliegen die Objekte in die Luft. Dazu lässt Kai Wieprecht Klänge seines Baritonsaxofons in den Raum gleiten. Am Ende greift sich jeder ein Kissen, einer nach dem anderen liest den Text vor, der darauf steht: »Saure Linsen«, »Graureiher«, »Heiligs Ländle« oder auch einfach eine Postleitzahl. Durchnummeriert ergeben die Textfragmente auf den 1.007 Kissen ein Kollektivgedicht, an dem halb Reutlingen mitgedichtet hat. Inklusive Statements, was an Reutlingen gefällt, skurriler Wortschönheiten und historischer Exkurse.

Kai Wieprecht umrahmt die Vernissage mit dem Baritonsaxofon.
Kai Wieprecht umrahmt die Vernissage mit dem Baritonsaxofon. Foto: Armin Knauer
Kai Wieprecht umrahmt die Vernissage mit dem Baritonsaxofon.
Foto: Armin Knauer

Die letzten Zeilen hat Ute Diez sich selber vorbehalten. Sie lauten: »So wunderbar / gemeinschaftlich / fröhlich / alle zusammen / helfen mit / schneiden / gestalten / nähen / freuen / reden / tauschen sich aus / lächeln / in so kurzer Zeit / so viel Energie / Ich habe viel über die Stadt gelernt!« (GEA)