Logo
Aktuell Aktion

Tübinger Stiftskirche: Wo sind die Bänke hin?

Wie kann man einen Kirchenraum anders nutzen, als steif im Gestühl zu hocken? Für die Aktion »Leer_raum« fliegen für fünf Wochen die Bänke aus der Tübinger Stiftskirche - zugunsten von Kultur und mehr. Sogar eine Clubnacht soll es geben.

Das Organisationsteam der Aktion »Leer_raum« auf der Orgelempore der Stiftskirche. Die Bänke unten in der Kirche kommen fünf Woc
Das Organisationsteam der Aktion »Leer_raum« auf der Orgelempore der Stiftskirche. Die Bänke unten in der Kirche kommen fünf Wochen lang weg. Foto: Armin Knauer
Das Organisationsteam der Aktion »Leer_raum« auf der Orgelempore der Stiftskirche. Die Bänke unten in der Kirche kommen fünf Wochen lang weg.
Foto: Armin Knauer

TÜBINGEN. Es ist gerade nicht Friede, Freude, Eierkuchen bei den Kirchen, auch nicht bei der evangelischen in Tübingen. Die Mitgliederzahlen schwinden, der Gottesdienstbesuch ist überschaubar. Mit der Stiftskirche andererseits verfügt die evangelische Kirchengemeinde über eine der imposantesten Immobilien der Stadt. Wie bringt man das zusammen?

Infos

Die Aktion »Leer_raum« in der Tübinger Stiftskirche geht von 18. Oktober bis 24. November. Eröffnung ist am Freitag, 18. Oktober, um 20 Uhr mit einem Vortrag von Thomas Erne und Musik. Schluss ist am Sonntag, 24. November, um 18 Uhr mit Bruckners f-Moll-Messe. Alle Termine findet man auf der Internetseite von Leer_raum. (GEA)

Nun soll eine Aktion erproben, wie man den Kirchenraum öffnen, die Stiftskirche zu einem Forum für viele machen kann. »Leer_raum« nennt sich die Initiative von Kirchengemeinde und Kirchenmusik. Die Kernidee: Für fünf Wochen von 18. Oktober bis 24. November sollen die Kirchenbänke aus der Stiftskirche fliegen. Den freigewordenen Platz will man nutzen, um das gotische Gemäuer anders zu bespielen. Ja, auch mit Gottesdiensten - aber auch mit Lesungen, Workshops, Mahlzeiten, Theater und sogar Tanzveranstaltungen. Los geht's am Freitag, 18. Oktober, mit einer Eröffnungsfeier. Begleitet wird das Geschehen von einer Lichtinstallation von Joachim Fleischer.

Kirchenraum als Probierfeld

Andrea Bachmann vom »Leer_raum«-Team bemerkt: »Seit der Reformation hat man den Raum nicht so offen gesehen.« Montag früh soll der Gabelstaplerfahrer anrücken und die Kirchenbänke aus dem Kirchenschiff befördern. Hinter der Stiftskirche bekommen sie ein durch Folie geschütztes Plätzchen auf Zeit. Nach dem 24. November kehren sie erst einmal zurück. Doch absehbar soll eine generelle Sanierung und Neugestaltung des Innenraums kommen. Die Aktion »Leer_raum« versteht sich als Probierfeld dafür.

»Am schlimmsten wäre es, wenn hinterher alles wieder so ist wie vorher«, betont Hochschulpfarrerin Inge Kirsner. Und Theologe Thomas Erne fragt: »Was passiert mit den Kirchengebäuden, wenn der Protestantismus an Kraft verliert?« Es brauche ein Bündnis der Kirche mit Kunst, Kultur und Bürgerschaft. Solch ein Bündnis will man nun testen, die Stadt in die Kirche holen. Dazu gehört etwa eine Nacht der Chöre, ein Nachmittag mit »Pop-up-Segnungen und Trauungen für Liebende«. Dazu gehört ein Frauenmahl, das bereits ausverkauft ist. Und eine Clubnacht am Freitag, 25. Oktober (im Flyer steht fälschlich der 24. Oktober). Dazu gehört ein nächtlicher Theaterworkshop von Janne Wagler für Jugendliche.

Neues Konzerterlebnis

Auch die Gottesdienste werden anders sein, mit Lichtspielen, anderen Anordnungen. Konzerte werden anders sein, mit bewegten Akteuren, bewegtem Publikum. Bei Haydns »Schöpfung« und Bruckners f-Moll-Messe will Kantor Ingo Bredenbach das Orchester mitten ins Kirchenschiff stellen und den Chor darum herum platzieren. Die Zuhörer sitzen auf der Empore oder stehen um das Geschehen herum, können sich bewegen: »Bei einem Rockkonzert steht man ja auch nicht stocksteif da«, wie Andrea Bachmann einwirft. Zur Not gibt's Kirchentags-Papphocker.

Karl-Josef Kuschel, Anna Katharina Hahn und Eva Christina Zeller kommen zu Lesungen. Es gibt Mediationen, Themengottesdienste, Nachtliturgie, Scherenschnitt-Trickfilme von Lotte Reiniger, den Murnau-Stummfilmlassiker »Nosferatu« mit passend gotischem Grusel. Auch ein Vesperkirchenmahl und Tanztheater von Olatz Arabaolaza. Und eine zwölfstündige Musikmeditation mit Erik Saties »Vexations«, von einem Dutzend Spieler in 840-maliger Wiederholung auf Flügel, Orgel und Cembalo intoniert von abends bis morgens - man muss nicht die ganze Zeit dabeibleiben.

Gespannt auf Erfahrungen

43 Veranstaltungen sind es in fünf Wochen. Auf die Erfahrungen sind nicht nur die sieben aus dem Organisationsteam gespannt. Dass es Kritik geben wird, ist den Organisatoren klar. »Da müssen wir durch«, sagt Kirchengemeinderatsvorsitzender Helmut Schneck. Denn wenn die Kirchenräume Zukunft haben sollen, müssen sie sich mit Leben füllen. Wie das gehen kann, dafür ist die Aktion ein Vorgeschmack. (GEA)