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Systeme der Macht: Sarah Morris und Suah Im im Kunstmuseum Stuttgart

Mit »All Systems Fail« widmet das Kunstmuseum Stuttgart der in New York lebenden Sarah Morris eine Retrospektive. Die »Frischzelle_31« stellt die hintersinnigen Installationen der jungen Südkoreanerin Suah Im vor.

Sarah Morris: »Midtown – Paine Webber Building (with Neons)«, 1998, Haushaltslack auf Leinwand.
Sarah Morris: »Midtown – Paine Webber Building (with Neons)«, 1998, Haushaltslack auf Leinwand. Foto: Stephen White
Sarah Morris: »Midtown – Paine Webber Building (with Neons)«, 1998, Haushaltslack auf Leinwand.
Foto: Stephen White

STUTTGART. Die britische Künstlerin Sarah Morris gehört zur ersten Generation von Kunstschaffenden, die Mitte der Neunzigerjahre unter den Vorzeichen der Digitalisierung und Globalisierung auf den Plan getreten sind. In Zusammenarbeit mit den Deichtorhallen Hamburg, den Kunstmuseen Krefeld und dem Zentrum Paul Klee in Bern zeigt das Kunstmuseum Stuttgart bis 9. Februar die erste umfassende Retrospektive der in New York lebenden Künstlerin.

»All Systems Fail« (Alle Systeme versagen) bietet mit über 100 Exponaten einen Querschnitt durch das bisherige Œuvre der 1967 im britischen Sevenoaks geborenen und an der US-Ostküste aufgewachsenen Malerin und Regisseurin. Von Beginn an stehen Schaltkreise der Macht, des Kapitals, der Urbanisierung im Zentrum ihrer Agenda.

Verbote in Blockbuchstaben

Nach ersten großformatigen Tafelbildern, die mit Haushaltslack in plakativen Blockbuchstaben mit Imperativen wie »No Loitering« (Herumlungern verboten) beschriftet sind, nimmt Morris in ihrem ersten Atelier unweit des New Yorker Times Square die Arbeit an ihrer Serie »Midtown« auf: In Bildern wie dem 1998 entstandenen »Midtown – Paine Webber Building (with Neons)« reduziert sie Ausschnitte der Stahl-Glas-Fassaden der Bankgebäude im Finanzdistrikt auf wenige Farben. Die Leinwände werden so in die Nähe abstrakter Farbfeldmalerei gerückt; gleichzeitig wirken sie wie eine Visualisierung der dahinter verborgenen vergatterten Wirtschaftsstrukturen.

Verbote in plakativen Lettern: »No Loitering« von 1994.
Verbote in plakativen Lettern: »No Loitering« von 1994. Foto: Tom Powel
Verbote in plakativen Lettern: »No Loitering« von 1994.
Foto: Tom Powel

Dieser »soziologische Blick auf die urbanen Strukturen der Gegenwart«, wie Ulrike Groos, die Leiterin des Kunstmuseums Stuttgart, als Kuratorin formuliert, stellt einen der interessantesten Züge im Werk der Künstlerin dar: Sarah Morris fühlt der Globalisierung gleichsam den Puls.

Ausstellungsinfo

Die Ausstellung »All Systems Fail« von Sarah Morris ist bis 9. Februar 2025, die Ausstellung »Frischzelle_31: Suah Im« bis 21. September 2025 im Kunstmuseum Stuttgart zu sehen. Zur Ausstellung von Sarah Morris ist ein Katalog im Hatje Cantz Verlag erschienen (320 Seiten, 508 Abbildungen). (GEA)

»Midtown« ist auch der Titel des ersten Films von Morris, für den sie mit einem Kamerateam an einem Nachmittag gedrehte Außenaufnahmen von Architekturikonen der Moderne wie dem Seagram Building gegen Bilder der dazwischen durch die Anonymität der Großstadt flutenden Menschen- und Verkehrsströme schneidet. Dieser Werkkomplex wird zur Blaupause ihrer weiteren Filmproduktion – und zum Ausgangspunkt für weitere Stadtbilder. In Washington beginnt mit Gemälden wie »Library of Congress (Capital)« ein Spiel mit der dritten Dimension. In Miami erweitert Morris ihr Repertoire um Fliesenmuster von Swimmingpools als Chiffren des Wohlstands.

Fast wie Mondrian in 3-D: »Library of Congress (Capital)« von Sarah Morris.
Fast wie Mondrian in 3-D: »Library of Congress (Capital)« von Sarah Morris. Foto: Sarah Morris
Fast wie Mondrian in 3-D: »Library of Congress (Capital)« von Sarah Morris.
Foto: Sarah Morris

Morris, beim Studium an der Brown University eher der Semiotik zugewandt, erhielt als Assistentin von Jeff Koons in den frühen Neunzigern Einblick in die Mechanismen des Kunstmarkts. Werbung und Propaganda bilden weitere Pole für die »subversive und provokante Kraft« (Groos) ihrer »Diagramme« (Morris), für die sie Logos, Warenflussgrafiken und Architekturfragmente übereinanderlegt. Die Formensprache der Serie »Clips & Knots« (Klammern und Knoten) rekurriert auf Büromaterial. In den jüngsten Werkgruppen »Spiderweb« und »Lunar« verarbeitet Morris Pandemie-Erfahrungen. Eigens für Stuttgart entstand die über zwei Geschosse aufragende Wandarbeit »Property« (Eigentum). Zudem zeigt die Schau alle 16 Filme von Morris.

Frischzelle mit Suah Im

Ein Jahr zu sehen ist die Schau von Suah Im im Format »Frischzelle« im Untergeschoss. Stets obliegt es der jeweils neuen wissenschaftlichen Volontärin, eine Position junger Kunst auszuwählen und zu präsentieren - in diesem Jahr hat Antonia Rittgeroth die Südkoreanerin Suah Im eingeladen. Ausgebildet an der Stuttgarter Akademie bei der Rebecca-Horn-Meisterschülerin Birgit Brenner und an der Universität der Künste in Berlin zeigt Im ihre erste Einzelausstellung, die geschickt mit den räumlichen Gegebenheiten spielt. Autobiografisch konnotiert sind alle Arbeiten der in Stuttgart lebenden Künstlerin.

Vorhänge erobern die Hauptwand in der »Frischzelle« von Suah Im im Kunstmuseum Stuttgart.
Vorhänge erobern die Hauptwand in der »Frischzelle« von Suah Im im Kunstmuseum Stuttgart. Foto: Frank Kleinbach
Vorhänge erobern die Hauptwand in der »Frischzelle« von Suah Im im Kunstmuseum Stuttgart.
Foto: Frank Kleinbach

Vorhangstoffe, Kunsthaar, Springseile, Fensterrahmen, Strumpfhosen sind Elemente ihrer Installationen. In »Come Come Upward« erobern sie die zentrale, neun Meter hohe Wand. In der Stadt Bucheon hatte Suah Im in einer Souterrainwohnung gelebt, deren Fenster lediglich durch einen Vorhang »gesichert« waren – das Erlebnis mit einem Eindringling hat sie in einem Video verarbeitet. Stoffe mit Epoxidharz zu härten, ist seitdem zu einem Topos ihres Werks geworden.

Auf Dieter Roths in Schokolade gegossenen »Gartenzwerg« (1972) reagiert Im mit der um sich selbst kreisenden Puppe »Samsara«, deren Haar über in Tofu geformte, in Harz gegossene Gesichter streift. »Steck mich hier ein« ist eine Assemblage aus Besen, gehärteter Strumpfhose, Kunsthaar und Schaufensterpuppenarmen – Kommentar auf zehn Jahre Kehrwochenerfahrung. In »Station«, der komplexesten Arbeit, stehen Innen- und Außenwelt, Privates und Öffentliches sich gegenüber. (GEA)