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Süßer Roboter und Angst vor Amerika: Noverre-Abend des Stuttgarter Balletts

Stücke junger Choreografen waren beim alljährlichen Noverre-Abend des Stuttgarter Balletts zu sehen, darunter eines über den »Kleinen Prinzen«.

Wer bist du denn? Yana Peneva und ein Unitree Go2 in »Der kleine Prinz« von Carlos Strasser bei den »Jungen Choreografen« des St
Wer bist du denn? Yana Peneva und ein Unitree Go2 in »Der kleine Prinz« von Carlos Strasser bei den »Jungen Choreografen« des Stuttgarter Balletts. Foto: Roman Novitzky
Wer bist du denn? Yana Peneva und ein Unitree Go2 in »Der kleine Prinz« von Carlos Strasser bei den »Jungen Choreografen« des Stuttgarter Balletts.
Foto: Roman Novitzky

STUTTGART. Handlung ist wieder in, und klassische Musik auch. Noch immer beschäftigen sich die »Jungen Choreografen« des Stuttgarter Balletts mit den Problemen unserer Gesellschaft, mit der Machtübernahme der sozialen Medien oder der Suche nach Identität. Aber beim jüngsten Noverre-Abend des Stuttgarter Balletts wurden im Schauspielhaus immerhin zwei kleine Geschichten erzählt, und mehrere der blutjungen, kaum 20 Jahre alten Künstler nahmen die Herausforderung an, zu Sergej Rachmaninow, Gabriel Fauré oder Henryk Górecky zu choreografieren anstatt zu den dahinschwurbelnden Klängen softer Ambient-Musik, die seit Jahren das moderne Ballett untermalen.

Emanuele Babici etwa schildert in »Daydreaming« Kindheit und Erwachsenwerden, erste Liebe und den Abschied von den Eltern in einem stürmisch-romantischen, zuweilen verspielten Stil mit hohen Hebungen und lässt, was man nicht genug bewundern kann, seine acht Tänzer dabei wunderbar leicht aussehen. Hier wächst ein klassischer Choreograf mit großem Schrittvokabular heran, ein wenig zu nostalgisch sicher für die Visionäre, aber wir brauchen dringend auch Geschichtenerzähler. Carlos Strasser reduziert Antoine de Saint-Exupérys »Kleinen Prinzen« auf die Begegnungen des Prinzen mit der Rose und dem Fuchs, vor einem Sternenhimmel findet er erstaunliche, detailverliebte Bilder dafür. Fast wie im Schwarzen Theater lassen vier Schattenfiguren den Prinzen und die Rose fliegen, werden zu Echos ihrer Bewegungen, hauchen dem Tanz die zarte, surreale Magie des Buches ein. Der Fuchs ist als Hingucker des Abends ein kleiner Roboter, selbst er bewegt sich wie ein Tänzer.

Soziale Medien als Monster

In Rotterdam studiert Ashley Davis, ihr düsteres Männer-Duo »Ad vitam aeternam« sieht das Leben als Kampf zwischen kurzfristigen Impulsen und der Suche nach innerem Frieden – mit einem für eine 18-Jährige ganz erstaunlich weiten Ausdrucks- und Bewegungsrepertoire. Ebenfalls ein Gast, aber gewiss kein Unbekannter ist Robert Robinson, er war bis 2017 Solist in Stuttgart. Sein Frauen-Duo »Songs for the Unheard« verbindet auf verblüffend zarte Weise Marco Goeckes Angst mit Jirí Kyliáns fließendem Stil, schöpft durch Jazz-Impulse aus dem Innersten der Körper Hoffnung gegen die derzeitige Angst vor Amerika. Sehr viel unverblümter, ja wörtlich zeigte Noan Alves in »Echoes of a Soul«, wie die sozialen und digitalen Medien die Menschen von heute verschlingen: als großes, unförmiges Monster.

Video im Netz

Der Noverre-Abend ist noch bis 7. Februar über die Webseite des Stuttgarter Balletts oder auf Youtube kostenlos zu sehen. (GEA)

Der Amerikaner Justin Padilla studiert im Abschlussjahr an der John-Cranko-Schule und choreografierte mit »Cascade« ein fließendes, intensives, dynamisch noch ein wenig gleichförmiges Trio. Weil sich eine Tänzerin verletzt hatte, sprang er selbst ein und empfahl sich mit seinem persönlichkeitsstarken Stil direkt für die Kompanie. Wenn ein Stück »OK DRAMAH!!« heißt, erwarten wir genau das, und Nnamdi Nwagwu liefert: Mit immer neuen Knallbonbons lässt der Italiener fünf junge Leute in Schuluniformen zappeln, rasant, bizarr und grell, mit virtuoser Dynamik und tollen Ideen; ein wenig zu ähnlich vielleicht zu Nadav Zelner, der genau solche Stücke für Gauthier Dance und fürs Nederlands Dans Theater schuf.

Gar nicht genug loben kann man die vielen jungen Interpreten, viele frisch von der Cranko-Schule, die hier erneut zeigen, warum das Stuttgarter Ballett immer wieder so gute Choreografen hervorbringt: Weil es so gute, aufgeschlossene, ausdrucksstarke Tänzer hat, die ihre ganze Seele in diese Stücke legen. Endlich wieder ein starker Noverre-Jahrgang! (GEA)