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Radiopop und Reggae-Clowns: Night of the Proms zu Gast in Stuttgart

Nach Frauenpower mit Aura Dione und Anastacia im vergangenen Jahr setzt die Night of the Proms diesmal auf männliche Pop-Kunst. Fragt sich also beim Gastspiel in der Schleyerhalle: Können die Jungs die von den Mädels gelegte Messlatte halten?

Stimmkraftwerk Vanessa Amorosi degradiert Eurythmic-Gitarrist Dave Stewart zur Nebenfigur.
Stimmkraftwerk Vanessa Amorosi degradiert Eurythmic-Gitarrist Dave Stewart zur Nebenfigur. Foto: Jürgen Meyer
Stimmkraftwerk Vanessa Amorosi degradiert Eurythmic-Gitarrist Dave Stewart zur Nebenfigur.
Foto: Jürgen Meyer

STUTTGART. Erfolg kann Fluch sein. Momente von solcher Intensität wie bei der Night of the Proms im vergangenen Jahr, als Anastacia und James Morrison ihre Stimmen vereinten, sind nicht wiederholbar. Die Frage, ob die Jungs in der aktuellen, stark männlich geprägten Ausgabe die Messlatte halten können, die damals neben Morrison vor allem »die Mädels«, sprich Anastacia und Aura Dione, gelegt haben, ist eher akademisch.

Der Jahrhundertmoment blieb denn auch aus. Doch davon abgesehen lieferten »die Jungs« einen absolut respektablen Auftritt am Donnerstagabend in der Schleyerhalle. Und erfreulicherweise spielten Frauen dann doch eine weit größere Rolle als befürchtet.

Welthit mit Gitarren-Intro

Die erste Hälfte der Show ist arg vom Mainstreampop dominiert. Cutting Crew, Max Giesinger, Starship – genau das, was einem als erstes entgegenschallt, wenn man das Radio andreht. Immerhin bringt das Duo Cutting Crew seinen einzigen Welthit »I just died in your arms tonight« von 1986 sehr ordentlich rüber. Mit epischem E-Gitarren-Solo von Gareth Moulton und glasklaren Höhen von Sänger Nick van Eede. Das Antwerp Philharmonic Orchestra unter Alexandra Arrieche sorgt zusätzlich für Drive.

Ein rührendes Trio legen Nick van Eede (links) und Gareth Moulton zusammen mit Max Giesinger (Mitte) hin.
Ein rührendes Trio legen Nick van Eede (links) und Gareth Moulton zusammen mit Max Giesinger (Mitte) hin. Foto: Jürgen Meyer
Ein rührendes Trio legen Nick van Eede (links) und Gareth Moulton zusammen mit Max Giesinger (Mitte) hin.
Foto: Jürgen Meyer

Vom Orchester profitiert auch Deutschpopper Max Giesinger, der niedlich in seine badische Heimatmundart rutscht und sich daran erinnert, wie er noch gar nicht solange her in Stuttgart in der Fußgängerzone »und auf Tupperpartys« spielte. Sichtlich genießt der Mann mit der angenehmen Normalo-Ausstrahlung es, mitten in der Menge zu singen.

Mit Mickey Thomas und Starship rauschen wir erneut in die Welt der 80er-Radio-Knaller. Thomas' Falsett-Sirene kommt sicher, wenn auch gepresst im Timbre. Umso geschmeidiger strömt es aus der Kehle von Co-Sängerin Chelsee Foster. Auch da gilt: Etwas Besonderes macht aus dem Hit-Defilee von »Sara« bis »We Built This City On Rock 'n' Roll« die Farbigkeit des Orchesters.

Strausswalzer und Feuertanz

Ein Orchester, das im Klassikteil das obligatorische Strauss-Medley zum Mitwalzern abfeuert und auch
die unvermeidliche »Wilhelm Tell«-Ouvertüre von Rossini nicht auslässt. Das aber auch Mozarts »Figaro«-Ouvertüre hinlegt – peppig, aber wegen der elektronischen Verstärkung etwas grob im Ton. Ein Medley aus »Fluch der Karibik« mit tollem rhythmischem Biss. Und Manuel de Fallas »Feuertanz« aus dem Ballett »El amor brujo« (dt. »Liebeszauber«) mit traumhaften Holzbläsern. Aus den »Dies irae«, den »Tagen des Zorns« aus Verdis Requiem wird eine düster-kantige Rocknummer. Mit großem Engagement dabei: der Chor Fine Fleur.

Tiktok-Überflieger Louis Philippson gibt den Entertainer am Klavier.
Tiktok-Überflieger Louis Philippson gibt den Entertainer am Klavier. Foto: Jürgen Meyer
Tiktok-Überflieger Louis Philippson gibt den Entertainer am Klavier.
Foto: Jürgen Meyer

Der »Klassik«-Stargast ist eher Entertainer: Louis Philippson, erst 21-jähriger Tiktok-Überflieger am Klavier, bringt sich mit einer Kurzversion von Tschaikowskys erstem Klavierkonzert in Stellung. Schon da zeigt er sich als Showmann: Großer Tastendonner, aus der Exposition geht's geradewegs in die Kadenz, Augenaufschlag zum Publikum, Zahnpastalächeln, Schlussakkord. In der Eigenkomposition »Supernova« gönnt sich der sympathische Jungmusiker ein paar zärtliche Takte, ehe die Rockhymne Fahrt aufnimmt. Im zweiten Teil begleitet er ein Medley aus Swing- und Latin-Songs, das liegt ihm sichtlich.

Shaggy rappt mit Witz

So richtig die Bude rocken Shaggy und sein Co-Rapper Rayvon, die herrlich selbstironisch die Reggae-Clowns geben. Erst machen sie sich mit »Mr. Boombastic« darüber lustig, wie Männer sich für unwiderstehlich halten. Dann feiern sie mit »Strength of a Woman« und »Angel« das laut Shaggy weit smartere weibliche Geschlecht. Vor der Bühne tanzt ausgelassen das Publikum. Den Kick von Afrobeats hat das Programm gebraucht.

Mit Witz und Clownerie: Shaggy bringt Stimmung in die Bude.
Mit Witz und Clownerie: Shaggy bringt Stimmung in die Bude. Foto: Jürgen Meyer
Mit Witz und Clownerie: Shaggy bringt Stimmung in die Bude.
Foto: Jürgen Meyer

Mit Dave Stewart von den Eurythmics geht's zurück in den Mainstream-Pop. Mit Vanessa Amorosi hat er die Stimme des Abends an seiner Seite. Ihr Organ fegt wie ein Sturm in den Saal, getragen vom farbigen Sound des Orchesters und des Chors. Und nachdem es erstmal zwei Nummern lang balladenmäßig bedächtig zugeht, kommt die große Steigerung zum gospelgroovenden »Miracle of Love« – und natürlich zum soghaft pulsierenden »Sweat Dreams«. Da ist man nah dran am Anastacia-Level. (GEA)