REUTLINGEN. In der Reutlinger Innenstadt profitiert der vom Netzwerk Kultur Reutlingen ins Leben gerufene temporäre Kunst- und Kulturraum W109 (in der Wilhelmstraße 109) von Mitteln des Bundesprogramms »Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren« (ZIZ). Alle zwei Wochen wird dort eine neue Ausstellung eröffnet. Und jeden Samstag ist um 13 Uhr Livemusik geboten. Allerdings nur bis zum Jahresende. Dann endet die für vier Monate gewährte Förderung. Ob und wie es danach weitergeht, ist offen.
»Wir sprechen mit der Stadt, mit dem Kulturamt. Wir sprechen mit dem Hauseigentümer, um zu erreichen, dass diese Location bleiben kann. Zumindest über einen gewissen Zeitraum«, sagt Projektleiterin Edith Koschwitz. Was die Finanzierung angehe, stehe man »ein bisschen im Regen«. Eine Förderung, die nahtlos einspringen würde - »was natürlich die Wunschgröße wäre« -, gibt es nicht.
Gut besucht
Unter dem Titel »Kunst von uns, mittendrin …« zeigt noch bis Samstag, 23. November, der Verein Produzentengalerie Pupille Arbeiten von neun seiner Mitglieder: Christine Dohms, Ulla Frenger, Hans Gunsch, Birgit Hartstein, Regine Krupp-Mez, Elke Roth, Günther Sommer, Kirsten von Zech-Burkersroda und Roswitha Zeeb. Elke Roth war zunächst skeptisch, ob das Miteinander von Kunst und Musik (auch Karaoke) funktioniert. Heute sagt sie: »Dieses Miteinander ist positiv. Wir lernen uns besser kennen.« Auch sei die Vernissage am vergangenen Samstag - mitten am Tag, um 13 Uhr - fulminant gut besucht gewesen. »Ich bin froh, dass ich bei dem Projekt dabei bin.« Sie verweist gleichwohl darauf, dass die Künstlerinnen und Künstler ihre Werke in diesem Rahmen unentgeltlich zeigen, ja sogar noch Kosten haben, wohingegen in anderen Städten auch Honorartöpfe für solche Zwecke zur Verfügung stünden. Sie sieht in dieser Hinsicht in Reutlingen noch Handlungsbedarf.
Am Samstag, 23. November, mündet die Ausstellung im temporären Artspace W109 in einen kleinen Kunstmarkt (12 bis 18 Uhr). Musik kommt an diesem Tag (um 13 Uhr) vom Trio Universum ORS, das aus Niels Ott, Wolfgang Reichert und Dieter Schöpf besteht und mit den Attributen »improvisiert, regional, interstellar« angekündigt ist.
Viel Zuspruch
»Wir wollten zeigen, dass es geht. Dass Reutlingen eine Stadt mit tollen Kulturangeboten, mit hochkarätiger Kunst ist«, sagt Edith Koschwitz über das Projekt. Das sei gelungen. Man werde das in der bisherigen - ehrgeizigen - Taktung bis zum Jahresende fortsetzen. Wenn möglich, auch darüber hinaus. »Wir möchten nach dieser Zeit, die anstrengend für uns war, in der wir aber ganz viel erreicht, viel Zuspruch bekommen haben, das Ganze ungern wie ein Kartenhäuschen zusammenfallen sehen.« Auf im Artspace ausliegenden Postkarten des Netzwerks Kultur Reutlingen ist klar die Forderung formuliert: »W109 muss bleiben!«
Im Schaufenster begrüßt Elke Roths menschengroße Skulptur aus Draht, Gips und Acrylfarbe »Proteus« die Besucherinnen und Besucher - ein surrealer Meeresgott der griechischen Mythologie. »In unserer verrückten Zeit der Widersprüche und ungelöster Fragen wünschte man sich wahrlich einen solchen wandelbaren surrealen Seher, dem man ab und an ein Stück Wahrheit abtrotzen könnte«, hat Elke Roth dazu notiert.
Öffnungszeiten
Der Artspace W109 in der Wilhelmstraße 109 in Reutlingen ist Mittwoch bis Samstag von 12 bis 18 Uhr geöffnet. (GEA)
In der Galerie beeindrucken unter anderem auch Birgit Hartsteins »Fasan« und »Hirsch« (Linolschnitt, Acryl). Sie scheinen den Betrachter durch die gemusterten Tapeten des (Jagd-)Schlosses Bebenhausen hindurch direkt anzusehen. Roswitha Zeeb zeigt Mischtechniken aus der Serie »Bubbles«. Arbeiten, die in der Zeit der beginnenden Corona-Pandemie entstanden. »So wie Seifenblasen zerplatzen, platzte plötzlich ganz viel von dem, was man eigentlich tun wollte«, sagt die Künstlerin darüber. Kirsten von Zech-Burkersroda hat um ein Gedicht von ihr, das den Gedichtanfang »Einst wenn der Winter begann« von Gottfried Benn benutzt, in Petersburger Hängung Bilder gruppiert. Jede Zeile des Gedichts hat eine Beziehung zu den Bildern. Da fallen Engel aus kalten Wolken, verwüstet der unausrottbare Übü, Titelfigur einer grotesken Komödie von Alfred Jarry, die Welt, wärmt ein Feuer Liebende, springt eine Schutzheilige über ihren Schatten. (GEA)