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Poller aus Polystyrol: Simone Eisele stellt in der Reutlinger Kunstmuseums-Galerie aus

Grieshaber-Stipendiatin Simone Eisele geht in ihrer Ausstellung in der Kunstmuseums-Galerie in den Reutlinger Wandel-Hallen Heimatklischees auf den Grund. Mit Bauschaum und geschnitzten Früchten.

Im gelben Licht: Simone Eisele in ihrer Installation aus Polystyrol-Pollern, die mit »Schnee« aus Bauschaum gekrönt sind.
Im gelben Licht: Simone Eisele in ihrer Installation aus Polystyrol-Pollern, die mit »Schnee« aus Bauschaum gekrönt sind. Foto: Armin Knauer
Im gelben Licht: Simone Eisele in ihrer Installation aus Polystyrol-Pollern, die mit »Schnee« aus Bauschaum gekrönt sind.
Foto: Armin Knauer

REUTLINGEN. In gelbes Licht taucht ein, wer dieser Tage die Kunstmuseums-Galerie im Untergeschoss der Wandel-Hallen betritt. Simone Eisele, die aktuelle HAP-Grieshaber-Stipendiatin der Stadt, hat für ihre Ausstellung im vorderen Bereich die tagweißen LED-Leuchtkörper durch farbige austauschen lassen. Nun ergießt sich dunkelgelbes Licht über eine seltsame Ansammlung von Pollern, die von Schneehauben gekrönt sind. Man denkt an Sonnenuntergang und touristische Plätze in Wien oder Paris. Doch andererseits wirkt das Ganze wie eine Szene aus einer Schüttelkugel aus dem Spielzeugladen. Die Poller sind aus Polystyrol, die Schneehäubchen aus Bauschaum, das gelbe Licht so künstlich wie alles.

Ausstellungsinfo

Die Ausstellung »after Millet« mit Installationen von Simone Eisele ist bis 1. September im Kunstmuseum Reutlingen / Galerie in den Wandel-Hallen (Eberhardstraße 14) zu sehen. Eröffnung ist diesen Sonntag, 2. Juni, um 11 Uhr. Geöffnet ist Mittwoch, Samstag, Sonn- und Feiertag 11 bis 18 Uhr, Donnerstag und Freitag 14 bis 20 Uhr. (GEA)
www.kunstmuseum-reutlingen.de

Womit der Kern von Simone Eiseles Kunst umrissen wäre. Oft zielen ihre Installationen auf Vorstellungen von Heimeligkeit, von vertrauten Elementen der Alltagskultur. Doch immer wieder lässt Eisele uns zweifeln - indem sie deren Künstlichkeit offenlegt. Im Kunstmuseum Stuttgart, wo sie noch bis September mit einer »Frischzelle« - einem Sonderraum für junge Positionen - vertreten ist, hat sie Jahrmarktballons mit Micky-Maus-Aufdruck an die Decke steigen lassen. Für ihre extra für Reutlingen gefertigten Installationen hat sie hingegen auf Klischees von Heimat und Landleben zurückgegriffen.

Zwischen Klischee und Sozialkritik

Der französische Maler Jean-François Millet, Meister des Realismus des 19. Jahrhunderts, stand Pate für die Schau. »After Millet« lautet der Titel. Millet malte die harte Arbeit der Landbevölkerung auf den Feldern. Seine Szenen beeinflussten Vincent van Gogh und andere. Doch was von Millet als Sozialkritik gemeint war, wurde mit seinem steigenden Ruhm zum Klischee. Kopien seiner »Ährenleserinnen« hingen bald in vielen französischen Bürgerstuben, so wie in Deutschland der röhrende Hirsch oder Dürers »Betende Hände«.

Eisele greift diese Spannung auf zwischen Landleben als Sozialrealismus einerseits und als touristisches Klischee andererseits. Sie entlarvt diesen Gegensatz, indem sie ihn auf die Spitze treibt. Statt Millets »Ährenleserinnen« an die Wand zu hängen, stellt sie ein »Ährenfeld« in den Raum, dessen Elemente unübersehbar aus Plastik bestehen (konkret: Polystyrol und Bauschaum). Zudem sind die Elemente rechteckig wie aus dem Spielzeug-Baukasten, und die Plastikähren stecken in vergipsten »Blumentöpfen«.

Glocken und Früchte mit Bauschaum-Schneehaube: Simone Eisele inszeniert den Zusammenprall von Landleben und Künstlichkeit.
Glocken und Früchte mit Bauschaum-Schneehaube: Simone Eisele inszeniert den Zusammenprall von Landleben und Künstlichkeit. Foto: Armin Knauer
Glocken und Früchte mit Bauschaum-Schneehaube: Simone Eisele inszeniert den Zusammenprall von Landleben und Künstlichkeit.
Foto: Armin Knauer

So wird aus Millets Sozialromantik irgendwas zwischen geometrischer Abstraktion und Souvenirshop-Ästhetik. Und doch ist die harte Realität nicht gänzlich verschwunden. Weiter hinten in der Ausstellung findet man angenagte Äpfel (aus Polystyrol geschnitzt), auch sehr realistische Steinkohlesplitter (aus Acrylharz) als Hinweis auf das auf dem Land oft knappe Heizmaterial. Es ist gerade diese Spannung zwischen Überkünstlichkeit und Realität, die bei Simone Eisele den Reiz ausmacht.

In Riederich aufgewachsen

Das Thema Millet sei nach dem Antritt ihres Grieshaber-Stipendiums in Reutlingen plötzlich dagewesen, erzählt sie. Es habe auch etwas mit ihrer Rückkehr in die Nähe ihrer Wurzeln zu tun. Aufgewachsen ist sie erst in Riederich, später in Metzingen, wo sie aufs Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium ging. Studiert hat sie in Mainz und London, inzwischen lebt sie in Wien, dort fühle sie sich sehr wohl. In ihrer Kindheit und Jugend sei sie mit der Familie oft bei einer Tante gewesen, die eine Pferdehaltung hatte. Die Tiere, der Heuschober, das gehörte zu ihrer Jugend: »Ich war ein Stallkind«, erzählt sie. Die Geburt eines Fohlens gehört zu ihren prägenden Erinnerungen.

Verbindungen zu Millet und seiner Vorliebe fürs Landleben sind in ihrer Vita also zu finden. Aber eben auch bereits der doppelte Boden dieses Themas: Das Anwesen ihrer Tante sei kein wirklicher Bauernhof gewesen, und die Region ist keine ländliche Gegend, sondern industriell geprägt.

Maskengesichter und Brokkoli-Röschen: Simone Eisele gestaltet einen augenzwinkernden Tempel des Landlebens.
Maskengesichter und Brokkoli-Röschen: Simone Eisele gestaltet einen augenzwinkernden Tempel des Landlebens. Foto: Armin Knauer
Maskengesichter und Brokkoli-Röschen: Simone Eisele gestaltet einen augenzwinkernden Tempel des Landlebens.
Foto: Armin Knauer

In der zweiten Hälfte ihrer Ausstellung nimmt die doppelbödige Aufarbeitung des Landlebens eine völlig andere Wendung. Dort stapelt sie, nun in taghellem Licht, weiße Polystyrolwürfel aufeinander. Krönt sie mit »Kapitellen« wie antike Säulen und verziert sie mit maskenartigen weißen Gesichtern. Die wirken mal realistisch wie ein Porträt der Expressionistin Käthe Kollwitz, dann wieder wie Fasnetsmasken. Es ist, als sei man in eine längst verlassene Ruhmeshalle burlesker Dörflichkeit geraten. Doch auch da zieht sich die Realität als zweite Ebene durch - mit aus Polystyrol geschnitzten Karotten, Rüben, Brokkoliröschen.

Finale mit Palme und Gartenhecke

Am Ende stößt man auf eine Palme, das ultimative Symbol exotischer Paradiese. Doch auch sie ist extra künstlich gestaltet (die erste Fassung sei der Künstlerin sogar noch zu realistisch gewesen, berichtet Kunstmuseums-Vize Johannes Krause-Schenk beim Presserundgang). Einsam steht sie auf dem Betonestrich. Statt des Südsee-Idylls wartet die real existierende Gartenspießigkeit, die Eisele in die Form einer kubistischen Hecke gepresst hat - sehr böse und lustig. (GEA)