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Niedecken und BAP reisen in Reutlingen mit 2.000 Fans in die 1980er

Die gereifte BAP-Truppe reist mit ihren Fans in der Reutlinger Stadthalle zurück in die eigene Jugendzeit. Manches zerfließt in Nostalgie, anderes ist noch brennend aktuell.

Das jugendliche Revoluzzertum ist milder Ironie gewichen: Wolfang Niedecken in der Reutlinger Stadthalle.
Das jugendliche Revoluzzertum ist milder Ironie gewichen: Wolfang Niedecken in der Reutlinger Stadthalle. Foto: Armin Knauer
Das jugendliche Revoluzzertum ist milder Ironie gewichen: Wolfang Niedecken in der Reutlinger Stadthalle.
Foto: Armin Knauer

REUTLINGEN. Ein Hauch von Klassentreffen liegt über der Szenerie am Dienstagabend. Selten ist die Reutlinger Stadthalle so voll bei einem Stehkonzert. Wolfgang Niedecken und BAP sind auf ihrer »Zeitreise 81/82«-Tour da. Die gereifte Truppe reist zurück in ihre Jugend und rund 2.000 im Saal reisen mit. Der Klang der Band, mal akustisch, mal rockend, mal entspannt wippend, die raunende Stimme von Niedecken, die Art, wie er mit milder Ironie Bilder vom Leben und vom Alltag entrollt - all das gehört zum Soundtrack der Generation zwischen vierzig und siebzig, die sich hier versammelt hat.

Aufstieg zur Kultgruppe

1981/82, das waren die Jahre, als die lustige Studententruppe ganz unvermutet in die Charts schoss. Als die »Bravo« sie als Starschnitt unters pubertierende Volk bringen wollte, damit man die neuen Pophelden mit dem komischen Dialekt auch an der Kinderzimmerwand anhimmeln konnte. Was die Musiker so schräg fanden, dass sie ihr nächstes Album »für usszeschnigge!« nannten, mit den Bandmitgliedern als Ausschneidebildchen auf dem Cover.

Nun haben sie die Nummern dieses Albums und des folgenden »vun drinne noh drusse«, das den Aufstieg zur Kultgruppe besiegelte, in einen Abend gepackt. Was einen Marathon zur Folge hat, 30 Lieder plus das »Letzte Lied«, und ja, trotz gegenteiliger Behauptungen gibt es doch eine Zugabe. Raffiniert gewählt: Dem »Letzten Lied« folgt, ganz allein mit Niedecken und seiner Akustikgitarre, »das erste Lied«: das erste, das Niedecken geschrieben hat, als Zivi damals noch. Damit fing alles an. Damit hört an diesem Abend alles auf.

Bei den meisten Bands würde eine solche Hinwendung zum ikonischen Frühwerk eine Tribute-Show in eigener Sache werden. Nicht so bei BAP. Bei Niedecken und seiner Truppe wird die Sache zu einer so dringlichen wie versöhnlichen Befragung der Zeiten. Wer war man damals? Ist das, was damals unter den Nägeln brannte, noch wichtig? Sieht man die Welt heute anders?

Der Saal singt mit

Ja, hier und da wird auch mal in Nostalgie gebadet. Das ist ein Bedürfnis für Niedecken wie für seine Fans. Und man feiert, vor allem im letzten Drittel, auch mal die alten Hits. Seine »Liebeskummer-Trilogie« etwa, mit »Anna« und »Jraduss«. Da singt der ganze Saal mit wie eine Stimme. Und der Kölner staunt: »Wie schön könnt ihr singe'! Wahnsinn!«

Ulrich Rode beim Solo an der E-Gitarre in der Reutlinger Stadthalle.
Ulrich Rode beim Solo an der E-Gitarre in der Reutlinger Stadthalle. Foto: Armin Knauer
Ulrich Rode beim Solo an der E-Gitarre in der Reutlinger Stadthalle.
Foto: Armin Knauer

Aber erstaunlich viel klingt noch ganz heutig. Diese mit zartbitterer Ironie gemalten Alltagsbeobachtungen, von Niedecken in seinem rheinischen Slang geknurrt. Gleich die erste Nummer »Koot vüür Aach« entfaltet so eine erzählende Nachdenklichkeit, direkt nach dem Intro mit »In My Life« von den Beatles. Ausgerechnet die Beatles: Die hatten sie damals nie hinbekommen, als sie noch eine Coverband waren, »wir haben zu schlecht gesungen«.

Liebevoll ausgestaltet

Aber dann kippt die launige Alltagssezierung ins Rockige, mit »Südstadt, verzäll nix«, es ist noch immer Dampf drin. So zieht dieses Frühwerk vorüber, das heute Rock-Pop-Kulturgut ist. Ein Kosmos, dessen Spannweite kaum zu fassen ist. Witzige Situationskomik wie in »Waschsalon« oder »Müsli Män«. Zornige Anklage wie in »Kristalnaach« oder »Zehnter Juni«. Versonnene Träumerei wie »Fuhl ahm Strand« oder »Weißte noch?«

Plaudern mit dem Publikum gehört dazu: Wolfgang Niedecken in der Stadthalle.
Plaudern mit dem Publikum gehört dazu: Wolfgang Niedecken in der Stadthalle. Foto: Armin Knauer
Plaudern mit dem Publikum gehört dazu: Wolfgang Niedecken in der Stadthalle.
Foto: Armin Knauer

Bei 32 Nummer könnte man meinen, die Band würde zackig abhaken. Weit gefehlt. Jedes Stück wird liebevoll ausgemalt. Bekommt hier noch ein wunderbar warmes oder klagendes E-Gitarrensolo von Ulrich Rode. Ein Tastenfeuer von Michael Nass. Eine samtige Cellostimme, eine Geigenlinie, ein Mandolinenzirpen, ein Glissando auf der Lapsteel-Gitarre von Anne de Wolff. Zum Niederknien schön das Flügelhornsolo von Benny Brown in »Fuhl am Strand«. Wunderbar die Saxofonsoli von Axel Müller, auch mit der auf senkrecht getrimmten Querflöte ist er eine Bank. Blitzend die Einwürfe von Johannes Goltz an der Posaune. Dazu knackige Rhythmen von Werner Kopal am Bass und Sönke Reich am Schlagzeug. Rocksound verschmilzt mit Bigband-Sound, mit Songwriter-Sound, mit wippenden Reggae-Flächen. Großartig.

Die Bläsersektion mischt munter mit beim Auftritt von BAP.
Die Bläsersektion mischt munter mit beim Auftritt von BAP. Foto: Armin Knauer
Die Bläsersektion mischt munter mit beim Auftritt von BAP.
Foto: Armin Knauer

Aus der Besetzung von damals ist nur Niedecken übrig. Um sich eine Truppe aus hochvirtuosen Profis, die mühelos die Klänge mischen, Atmosphäre zaubern, mal akustisch fein, mal großes Rock-Drama. Was damals die Unbekümmertheit der Jugend war, ist jetzt die souveräne Entspanntheit des Musizierens. Für die Fans im Saal war es ein Fest. Niedeckens Welt wird sie weiter begleiten. (GEA)