REUTLINGEN. Sonntags sieht man Hans-Jochen Wagner mitunter als »Tatort«-Kommissar Friedemann Berg im Schwarzwald ermitteln - seit 2017 tut er das. An diesem Sonntag aber war er in Reutlingen in gänzlich anderer Mission unterwegs: Bei einer Bläserserenade in der Stadthalle las er im Rahmen der »Sonntags um elf«-Konzerte der Württembergischen Philharmonie (WPR) Mozart-Briefe. Was in Verbindung mit Mozarts Serenade B-Dur KV 361 »Gran Partita« einen wunderbar lebendigen, illustren Spätvormittag ergab. An dem neben Wagner, dem in Tübingen geborenen Schauspieler, der in Reutlingen aufgewachsen ist, Gastdirigent Karsten Nagel und die WPR-Musikerinnen und -Musiker ihren Anteil hatten. Im Einzelnen waren das Dennis Jäckel und Yuko Schmidt (Oboe), Adam Ambarzumjan und Stefanie Staroveski (Klarinette), Eszter Hernadi und Viviana Rieke (Bassetthorn), Michael Laucke und Irene de Marco (Fagott), Guido Engelhardt (Kontrafagott) und Wolfram Richter, Carles Pérez i Esteve, Ralf Kluge und Ona Ramos Tintó (Horn).
Hans-Jochen Wagner hat sich in den vergangenen Jahrzehnten rar gemacht in Reutlingen, wo er neben seinem Tübinger Lehramtsstudium als Techniker und Regieassistent am Theater Die Tonne arbeitete. Bevor er in den 1990er-Jahren eine Schauspielausbildung an der Hochschule Ernst Busch in Berlin absolvierte und unter anderem am Burgtheater Wien und am Deutschen Theater Berlin spielte. In der Fernsehserie »Unsere wunderbaren Jahre« nach dem Roman von Peter Prange war er in einer der Hauptrollen zu sehen. Und in etlichen weiteren Kino- und Fernsehfilmen. Bevor er »Tatort«-Kommissar wurde, in mehreren Filmen der Reihe auch als Bösewicht. Lange schon lebt er in Berlin. Und doch muss sich seine Lesung in der Reutlinger Stadthalle für ihn wie ein Heimspiel angefühlt haben. Und das Publikum signalisierte durchaus, dass es sich weitere Auftritte von ihm wünscht.
Es war wirklich eine Freude zu sehen, wie viel Aufmerksamkeit Karsten Nagel und die Instrumentalistinnen und Instrumentalisten jeder einzelnen Note schenkten. Mit welcher Hingabe sie die mozartisch-elegischen Untertöne ebenso wie den hintergründigen Witz der Partitur herausmodellierten. Feierlich und keck, deftig und delikat, mit Klarheit in allen Registern. In den Menuetten mit affektierten Läufen, Verzierungen und Vorhalten oder als Volkstanz. In den Trios mit schattigem Klang und herber Chromatik oder als Ländler. Das Adagio: ein Genuss. Betörend, wie hier über einem unablässig pulsierenden Klanggrund die erste Oboe mit einer kantablen Melodie in Erscheinung trat und diese an Klarinette und Bassetthorn weiterreichte. Auch in den anderen Sätzen bis zum Finale hin gelang die klangliche Abstimmung mit den vielen Farbwechseln grandios.
Briefe aus Wolfgang Amadeus Mozarts Feder, die sich ums Heiraten und seine Ehe drehten, waren exzellent ausgesucht. Nicht so deftig, wie man sie auch von Mozart kennt. Hans-Jochen Wagner, der an einem Tisch auf der Bühne Platz genommen hatte, ließ die Worte lebendig werden. Mozarts Ringen um Verständnis und den Segen des Vaters für seine Hochzeitspläne mit Constanze Weber, Cousine von Carl Maria von Weber. Sie sei »die gutherzigste, geschickteste und mit einem Wort: die beste« unter den Weber-Schwestern. Klar an den Vater adressiert ist die Aussage, dass sie zwar keinen Witz habe, »aber gesunden Menschenverstand genug, um ihre Pflichten als eine Frau und Mutter erfüllen zu können«.
Große Dringlichkeit
Wagner gibt Mozart auch eine Dringlichkeit, weil es doch länger dauert, als ihm gelegen ist, des Vaters Einwilligung zu bekommen. »Die meisten Leute denken, wir sind schon verheiratet.« Nun gelte es, Constanzes Ruf nicht zu schädigen. Deren Mutter, so heißt es, wolle sie schon von der Polizei abholen lassen, um der Schmach zu entgehen. Wovon Constanze allerdings noch nichts mitbekommen habe, wie Mozart Martha Elisabeth Baronin von Waldstätten wissen lässt. Später schildert er, alle hätten bei der Vermählung geweint. Des Vaters schriftliche Einwilligung war da noch nicht bei ihm eingegangen. Selbst seine Arbeit mache ihm keine Freude, wenn sie nicht bei ihm sei, schrieb Mozart Jahre später an Constanze. »Und liebe mich ewig so wie ich dich!« (GEA)