REUTLINGEN. Nicht nur Beethoven hat Schillers »Ode an die Freude« vertont, auch Tschaikowski. Allerdings nicht freiwillig. Seine Professoren am Petersburger Konservatorium haben ihm das als Abschluss-Aufgabe vor den Latz geknallt. Der begabte Student, der schon einen Dozentenvertrag in der Tasche hatte, sollte nicht abheben. Seinen Schiller-Hymnus hat er nach zwei erfolgreichen Aufführungen nicht veröffentlicht. Zu groß die Furcht, ihm könnten die Beethoven-Vergleiche um die Ohren fliegen.
Torsten Wille hat das Werk nun für das Konzert mit seiner Marienkantorei und der Württembergischen Philharmonie am Sonntagabend in der Marienkirche ausgegraben. Als Ergänzung zu Schuberts epischer Es-Dur-Messe. Die Aufführung zeigte: Tschaikowskis Skrupel waren unbegründet. Sein Hymnus schlägt einen ganz anderen Ton an als das Beethoven-Werk. Beschwingte Walzerrhythmen ziehen sich durch, die Hörner träumen, die Holzbläser leuchten, die Streicher glitzern oder zupfen galante Tanzpulse. Wunderbar, wie die Musiker der Philharmonie das umsetzen.
Tänzerischer Ton
Der tänzerische Ton zieht sich bis ins Solistenquartett. Dort verbreitet Sopranistin Katrin Müller ein freudiges Strahlen, Altistin Silke Marchfeld warme Anschmiegsamkeit, Tenor Marcus Elsässer funkelndes Linienspiel und Bassist Torsten Müller kraftvolle Tiefenkontur. Die Marienkantorei schwingt mit Elan auf den freudigen Grundton ein. Sattelfest auch in einem A-cappella-Teil, der dunklere Töne anschlägt. Schicksalhaft tönen die Bässe hier, zu denen der übrige Chor eine Stimmung wie orthodoxe Kirchenmusik verbreitet.
So mischt sich hier Westliches und Östliches. Eine Fuge, die sich aus den Streichern durchs Orchester bis in den Chor zieht, hat anmutige Geschmeidigkeit. Glanz und Gloria kann Tschaikowski auch: Chor, Orchester und Solisten brennen zuweilen ein Feuerwerk ab.
Lyrische Stimmungen
Schuberts Es-Dur-Messe, kurz vor seinem Tod entstanden, passt gut dazu. Weil auch Schubert auf schwingende Rhythmen setzt, lyrische Stimmungen mag. Mit zarten Holzbläsern, sacht getupften Pauken. Gern nutzt er zudem die Bassposaune für unheimliche Stimmungen.
Spät kommen die Solisten ins Spiel. Hier ergänzt durch einen weiteren Tenor, den Chorsänger Kim Boyong, der sich zu einem schönen Duett mit Marcus Elsässer vereint. Der Chor bringt das warme Strömen von Schuberts Musik gut rüber. Und bewältigt sauber die kniffligen Einsätze in den vielen Fugen. Ein Abend, der sinfonischen Glanz und oratorischen Ernst gelungen vereint hat. (GEA)