REUTLINGEN. Das Reutlinger Kunstmuseum Spendhaus bietet noch bis 26. Januar einen repräsentativen Überblick über das Werk der Reutlinger Künstlerin Gude Schaal (1915-2011). Für viele Besucher bleiben einige der ausgestellten Bilder allerdings rätselhaft. Wer das Leben der Malerin kennt, findet leichter Zugang zu ihrem Werk. Deshalb zeigt das Spendhaus den Film »Durch Leid zum Licht«, in welchem Leben und Werk Gude Schaals in Szene gesetzt wird. Der Katalog bietet eine weitere Hilfe, ebenso ein Interview. Und auf der Homepage des Museums sind einige Filmclips verlinkt, in denen ausgewählte Bilder von Kunstmuseums-Vizeleiter Rainer Lawicki, Kunstvereinsleiterin Julia Berghoff sowie den Kunstmuseums-Führerinnen Barbara Kreissl und Barbara Wünsche-Kehle interpretiert werden.
Kindheit und Jugend
Ein Leben lang beschäftigt Gude Schaal das Verhältnis von Frau und Mann. Ihres wird früh beeinflusst durch ihren Vater Otto Dölker. Er liebt derbe Späße, problematisch für die empfindsame Tochter. Als er 1927 eine lukrative Stelle bei einer schwäbischen Versicherung erhält, zieht die sechsköpfige Familie nach Stuttgart. Für die zwölfjährige Gude eine Katastrophe: Kessel statt weites Land, unverständlicher Dialekt, kein Meer. Schuld an diesem Erlebnis, das ein Trauma für ihr Leben bleiben sollte, ist für sie der Vater.
Anerkennung und Erfüllung gewinnt Gude Dölker nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 im »Bund Deutscher Mädchen« (BDM). Von Adolf Hitler, dem großen (Ver-)Führer ist sie fasziniert, insbesondere als es ihr 1935 gelingt, ihm einen selbst gestalteten Scherenschnitt zu überreichen. Sie notiert: »Nun war er doch so traumhaft und unglaublich schön! Wie jung … und wie rosig-hell und hellhaarig und helläugig ist er in Wirklichkeit!!«
Studienjahre und Zukunftssuche
Nach dem Abitur zieht es Gude Dölker sofort wieder in den geliebten Norden, nach Hamburg. Sie beginnt ein Kunststudium, ihre Begeisterung für Adolf Hitler verflacht. Nach erfolgreichem Abschluss ihres Studiums in Leipzig 1939 arbeitet die 24-Jährige zunächst auf Schloss Elmau als »Helferin« beim Leiter der Einrichtung, Johannes Müller. Der Theologe und promovierte Philosoph hatte 1916 seine Begegnungsstätte in einem idyllisch gelegenen Hochtal bei Garmisch erbaut. Nach Elmau kommen illustre Gäste aus den besten Gesellschaftsschichten, um sich mit Vorträgen, Konzerten, Theateraufführungen und Tanzabenden verwöhnen zu lassen. Für die Helferinnen bieten sich gute Gelegenheiten, interessante Männer kennen zu lernen – das Institut ist auch Heiratsmarkt.
Ausstellungsinfo
Die Ausstellung »Gude Schaal. Mein Weg in die Malerei« ist bis 26. Januar im Kunstmuseum Reutlingen/Spendhaus (Spendhausstraße 4) zu sehen. Geöffnet ist Dienstag bis Sonntag von 11 bis 17 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr. (GEA)
www.kunstmuseum-reutlingen.de
Gude Schaal lernt hier den Reutlinger Textilfabrikanten Eugen Schaal kennen. Er gefällt ihr, ist zwölf Jahre älter als sie, lebens- und liebeserfahren. Die junge Frau verliebt sich in ihn, ist jedoch der Ernsthaftigkeit seines Werbens nicht sicher. Sie will ihn für sich gewinnen: »… das kann ich nur, wenn ich mein Wesen, meine Seele, mein Herz zu Dir sprechen lassen kann«. Sie schreibt weiter: »Ich will Dir sagen, dass es 5 Männer gibt, die sich um mich bemühen in dieser letzten Zeit«. An anderer Stelle: »Es war so lieb gestern Abend, als Du mir sagtest: Siehst Du, ein Mann will wissen, dass die Frau, mit der er zusammen ist, auch von anderen begehrt wird.« Im April 1942 stirbt Günter Melchior an den Folgen seiner Kriegsverletzung; er ist wohl einer der fünf Männer, die um Gude Dölker warben. Sie schreibt am 12. April 1942 in ihr Tagebuch: »Was nützt es, wenn ich dir hier sage, mein lieber Junge, dass Du noch immer der Mensch bist, dem ich die liebsten Briefe schrieb, an den ich mit Liebe dacht, mit dem ich die allerglücklichste Zeit meines Lebens verbracht habe.«
»Durch Leid zum Licht« in Reutlingen
Gude Dölker ist jetzt entschlossen, dem Werben Eugen Schaals nachzugeben. Im Juni verloben sie sich, am 12. September 1942 heiraten sie und beziehen eine kleine Villa in bester Wohnlage Reutlingens. Für Gude Schaal gilt das Ehegelöbnis, sie hatte sich aus dem Buch »Wandlungen der Liebe« von André Maurois den Satz notiert: »Die Liebe verträgt besser Trennung und Tod als Zweifel oder Verrat.« Sie teilt diesen Satz zur Jahreswende 1941/42 in einem Brief mit Eugen Schaal. Im November 1943 wird ihr Sohn Eler geboren, im Frühjahr 1946 die Tochter Silke, an Weihnachten 1949 ein zweiter Sohn. Dieser stirbt aufgrund einer Fehlbildung der Speiseröhre nach acht Tagen.
Nach dem Tod des Kindes fällt Gude Schaal in tiefe Depressionen. Sie wollte eine perfekte Ehefrau sein, eine gute Mutter. Als gläubige Christin und nationalsozialistisch geprägte junge Frau hatte sie die Forderung, »die Frau sei dem Manne untertan« verinnerlicht. Doch ihr Mann Eugen ist Neurotiker; wenn nicht alles nach seinen Vorstellungen läuft, dreht er durch. Und Gude Schaal hat keinen Rückzugsort, kein Ventil, keine Möglichkeit, sich künstlerisch auszuleben. »Da ich mich auf allen Gebieten als Frau und Mutter über meine Kraft einsetzte, ist es kein Wunder, dass ich nach 14-jähriger Ehe vollkommen zusammenbrach. Es dauerte sieben Jahre, bis ich aus dem totalen Erschöpfungszustand wieder ins Leben kam. Eine kluge Ärztin hatte bei psychologischer Betreuung erfahren: Man kann diese Frau nicht nur Hausfrau sein lassen, sie muss wieder Kunst machen!«
Fluchten an die Nordsee
Durch die Malerei kämpft Gude Schaal sich aus ihrer Krise. Doch die Eheleute entfremden sich, ihr Mann Eugen Schaal beginnt eine Affäre, die er seiner Frau gesteht. Für sie bricht eine Welt zusammen. Immer wieder entflieht sie in das Land ihrer Kindheit, an die Nordsee, vorwiegend auf die Insel Spiekeroog. Hier verbringt sie jährlich einige Wochen, fertigt Skizzen, sammelt Ideen für Bilder, die sie in Reutlingen dann malt. Oft drücken diese ihre Einsamkeit aus.
Gude Schaal denkt viel über ihr Leben, ihre Beziehungen, die Gesellschaft nach. In der Zeitung liest sie, dass fast 80 Prozent aller Gewalttaten von Männern verübt werden. 1960 notiert sie in ihr Tagebuch: »Ja, ich muss es hier einmal wieder schreiben, was mich wohl seit meiner Jugend belastet hat: das Entsetzen vor dem Mann. Schon in der Bibel heißt es: Der Mensch ist böse von Jugend auf! Hieß es 'der Mann', so wäre es richtiger.«
Rat von Reutlinger Kollegen
Alfred Hagenlocher, vor dem Krieg Gestapo-Kommissar, nun Präsident der Hans-Thoma-Gesellschaft/Kunstverein Reutlingen, begutachtet 1964 Arbeiten Gude Schaals: »Er fand die Bilder echt und erlebt«, schreibt sie. »Er sagte, ich muss so malen, wie meine schrecklichsten stärksten Bilder sind: magisch-realistisch«. Künstlerkollegen aus Reutlingen bieten ihr kreativen Austausch: Gerhard Grimm, Professor an der Hochschule in Reutlingen, berät sie zu Ölmalerei; Georg Böhler holt sie ins »Malerkollegium Reutlingen«.
Als ihr Mann 1995 stirbt, ist Gude Schaal einerseits traurig, andererseits fühlt sie sich befreit. Ihrer Nachbarin Beate Schram vertraut sie etwas verschämt an: »Mit über 80 habe ich jetzt noch das Flirten gelernt!« Sie hat eine große Einzelausstellung in der Reutlinger Kreissparkasse, zu der ein von Hermann Pfeiffer gestalteter Katalog erscheint. Mit ihm beginnt sie die Arbeit an einem Werkverzeichnis.
Die letzten Jahre
In den folgenden Jahren malt sie sehr viel, bis die Osteoporose sie 2002 niederwirft. Drei Jahre ist sie kaum in der Lage zu malen. In dieser schweren Zeit hilft ihr die Freundschaft mit Hansdieter Werner. Er ist zu dieser Zeit als Redakteur beim Reutlinger General-Anzeiger für die Kultur zuständig. Er besucht sie oft, sie sprechen über Literatur, Musik, bildende Kunst und immer wieder über ihre Bilder. Gude Schaal versteht es, Kontakte aufzubauen: Harry Hamacher, ein junger Mitarbeiter des Kunstvereins Reutlingen, besucht sie regelmäßig. Guten Kontakt hat sie zudem mit Werner Wellsandt, Künstlerkollege und Kunsterzieher. Der Reutlinger Galerist Reinhold Maas überzeugt sie 2005, wieder zu malen.
Gude Schaals Verhältnis zu Männern ist zwiespältig. Ihren Vater bezeichnet sie in einem Tagebuch-Eintrag als »Vulkan«, der ihr Angst einflößt. Ihren Mann liebt sie, verachtet ihn aber auch, weil er die geschworene Treue brach. Die Männerwelt versetzt sie in Schrecken, gleichzeitig pflegt sie engen Austausch mit einigen guten Bekannten. Das ambivalente Verhältnis der Geschlechter zieht sich durch ihr Leben – aber auch durch ihr Werk. Vor diesem Hintergrund wird manches in ihrer Ausstellung verständlicher. (GEA)