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Landesmuseum Stuttgart lädt zum »Protest«-Erlebnis im Alten Schloss

Proteste scheinen typisch für unsere Zeit. Dabei haben aufbegehrende Bauern das Protestzeitalter im Südwesten bereits vor 500 Jahren eingeläutet. Zum Auftakt einer Reihe von Veranstaltungen zu 500 Jahren Bauernkrieg lädt nun das Landesmuseum in Stuttgart zum Protesterlebnis. Einschließlich Aggressionsabfuhr an einer Autokarosse.

In Protestszenerien eintauchen kann man derzeit im Alten Schloss in Stuttgart.
In Protestszenerien eintauchen kann man derzeit im Alten Schloss in Stuttgart. Foto: Armin Knauer
In Protestszenerien eintauchen kann man derzeit im Alten Schloss in Stuttgart.
Foto: Armin Knauer

STUTTGART. 1.702 Demos hat die Stadt Stuttgart in diesem Jahr bereits gezählt. Wir scheinen im Zeitalter der Proteste zu leben. Protestiert wird für den Klimaschutz und gegen Windräder, für Palästinenserrechte und gegen Antisemitismus, für den Tierschutz und gegen die Umgehungsstraße. Und doch sind die Wurzeln viel tiefer. Die Bauernkriege läuteten vor 500 Jahren die erste Massenprotestbewegung Mitteleuropas ein – eine Medienrevolution durch die Erfindung des Buchdrucks und des Flugblatts machte es möglich.

Ausstellungsinfo

Die Erlebnisausstellung »Protest! Von der Wut zur Bewegung« ist von 27. Oktober 2024 bis 4. Mai 2025 im Landesmuseum Württemberg im Alten Schloss Stuttgart zu sehen. Die begleitende Ausstellung »Zoff!« zum Thema Streit im Kindermuseum im »Jungen Schloss« läuft bis 3. August 2025. Geöffnet sind beide Ausstellungen Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr, Donnerstag bis 19 Uhr. Erlebnisführung ist jeden Sonntag um 15 Uhr. Es gibt ein Begleitprogramm mit Podiumsgesprächen mit Aktivisten und vielem mehr. (GEA)

Besucher als Protestler. Die nun gestartete Sonderschau im obersten Stockwerk des Landesmuseums Württemberg im Alten Schloss Stuttgart verbindet die Protestbewegungen von heute mit den Wurzeln von damals. Und verwickelt die Besucher dabei in eine Reihe von Erlebnis- und Mitmach-Aktionen. Der Besucher wird zum Protestler, darf/muss sich für ein Protestthema entscheiden, lernt Aktivisten kennen, wählt die ihm gemäße Protestform, muss wählen, wie weit er für seine Ziele gehen würde. Menschenkette oder brachiale Gewalt? Wenn die Wut übermächtig ist, darf der Besucher sie an einem echten Kleinwagen auslassen. Mit Baseballschlägern, die allerdings gepolstert sind, damit nicht zu heftig die Karosserieteile fliegen.

Im Kindermuseum »Junges Schloss« wird in der Ausstellung »Zoff!« das Thema Streit unter anderem bei einer Kissenschlacht greifba
Im Kindermuseum »Junges Schloss« wird in der Ausstellung »Zoff!« das Thema Streit unter anderem bei einer Kissenschlacht greifbar. Foto: Armin Knauer
Im Kindermuseum »Junges Schloss« wird in der Ausstellung »Zoff!« das Thema Streit unter anderem bei einer Kissenschlacht greifbar.
Foto: Armin Knauer

Streit im Kindermuseum. Das Kindermuseum im »Jungen Schloss« greift das Thema auf seine Weise auf. Unter dem Titel »Zoff!« geht es um Streit und ums Streiten. Mit wem streitet man? Geschwister, Eltern, Freunde? Was unterscheidet Mobbing vom Streiten? Was sind die Gründe für Streit? Und wohin mit der Wut? Auch hier geht es ums Mitmachen und Erleben. Die jungen Gäste dürfen Streitworte aufmalen, einen Wuttunnel durchkriechen, ein Gefühlsbarometer bedienen, in einem Schattenspiel in Streitsituationen eintauchen, im »Abkühlraum« runterkommen, in einem Video-Quizspiel ihre Streitkompetenzen einsetzen. Am Ende wartet eine große Kissenschlacht, bei Bedarf mit Hühnermütze auf dem Kopf.

Sarah Happersberger, eine der beiden Kuratorinnen, vor dem Protest-Entscheidungsparcours der Ausstellung.
Sarah Happersberger, eine der beiden Kuratorinnen, vor dem Protest-Entscheidungsparcours der Ausstellung. Foto: Armin Knauer
Sarah Happersberger, eine der beiden Kuratorinnen, vor dem Protest-Entscheidungsparcours der Ausstellung.
Foto: Armin Knauer

Friedlich oder mit Gewalt. Im Zentrum der Erwachsenen-Schau steht ein Entscheidungsparcours. Nacheinander muss man sich für eine der leuchtend gelben Pforten entscheiden. Wie hoch ist die eigene Protestmotivation? Welche Protestform bevorzugt man? Menschenkette, Streik, Demo oder Kreativaktion? In welcher Intensität? Als friedliche Kundgebung, Blockade oder gar mit Gewalt?

Aktiv werden. Danach wird's praktisch. Wie fühlt es sich an, in die Rolle eines Auto-Demolierers zu schlüpfen? Allein oder in der Gruppe? Wie fühlt es sich an, Slogans in ein Megafon zu skandieren, während rundherum die Menge kocht? Die beiden Ausstellungsmacherinnen Maaike van Rijn und Sarah Happersberger haben mit dem Hamburger Gestaltungsbüro Sigi.Colpe dafür ein animierendes Ambiente erdacht. Videos ringsherum ziehen den Besucher in die Protestmenge – und gleichzeitig in die 1970er-Jahre. Besucher dürfen auch über ihr wichtigstes Protestziel abstimmen. Und Protestpostkarten schreiben, die sie dann in einem Postkartenständer für andere Besucher hinterlassen können.

An einem Flipperspiel können Besucher digitale Protestnetzwerke nachempfinden.
An einem Flipperspiel können Besucher digitale Protestnetzwerke nachempfinden. Foto: Armin Knauer
An einem Flipperspiel können Besucher digitale Protestnetzwerke nachempfinden.
Foto: Armin Knauer

Klima- und Bienenschützer. Darum herum haben die Ausstellungsmacherinnen viele Infos und Bezüge angeordnet, auch das oft zum Mitmachen. In Videos erklären Klima-Aktivistinnen, ein Kämpfer für Behindertenrechte und ein Bienenzüchter, was sie zum Protestieren gebracht hat. In einer Sitzecke kann man Protestsongs lauschen oder ganz real Petitionen für die verschiedensten Anliegen unterstützen. Protest vom Sofa aus sozusagen. An einem Flipperspiel kann man spielend auf analoge Weise digitales Netzwerken nachempfinden.

Protestpioniere. Immer wieder wird der Bauernkrieg eingeflochten. So gibt die damalige Aktivistin Magdalena Scheer Auskunft; man hat sie per KI-Software für eine Videobotschaft wiedererweckt. Man begreift, dass vieles von damals nach wie vor aktuell ist: das Ringen um Gerechtigkeit; das Rütteln an Autoritäten; die Notwendigkeit, sich zu vernetzen. Historische Flugblätter sind zu sehen. Zeichnungen des Weißenauer Abts Jakob Murer von 1525 zum Bauernkrieg sind in eine Art 3-D-Kino übersetzt und werden kritisch hinterfragt.

So sah der Weißenauer Abt Jakob Murer den Bauernkrieg in seinen Zeichnungen, die in der Ausstellung in Videos wie Dioramen präse
So sah der Weißenauer Abt Jakob Murer den Bauernkrieg in seinen Zeichnungen, die in der Ausstellung in Videos wie Dioramen präsentiert werden. Foto: Armin Knauer
So sah der Weißenauer Abt Jakob Murer den Bauernkrieg in seinen Zeichnungen, die in der Ausstellung in Videos wie Dioramen präsentiert werden.
Foto: Armin Knauer

Hausbesetzer Arne Braun. Zweieinhalb Millionen Euro lässt sich das Land die Veranstaltungen zum Bauernkrieg kosten, drei Millionen gibt der Bund dazu, weitere Gelder kommen von diversen Stiftungen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann und die Landesregierung sehen im Bauernkrieg einen Zündfunken der um Teilhabe kämpfenden Zivilgesellschaft. Beim Presserundgang war denn auch das Landeskunstministerium mit Staatssekretär Arne Braun vertreten. Der Einblick in seine eigene Protestvergangenheit gab: Als Jugendliche hätten sie in der heimatlichen Kleinstadt Eschweiler bei Aachen ein leerstehendes Haus besetzt. »Wir haben nicht lange durchgehalten«, grinste Braun. »Als das erste Blaulicht auftauchte, waren wir weg.« (GEA)