REUTLINGEN/GRAZ. Die Frau ist quirlig. Nicht umsonst hat Karin Meissl das Schlagzeug zu ihrem Instrument erkoren. Seit 2007 ist die Österreicherin, die in Wien studiert hat, erste Paukistin an der Oper in Graz. Neben dem Orchester hat sie sich zur Musikvermittlerin fortgebildet. Berufsbegleitend legte sie 2019 einen Master ab. Zudem hat sie 2023 bei der Jeunesse-Oorkaan-Academy eine Regie-Ausbildung absolviert, um mehr zu lernen über inszenierte Konzerte.
Eine Fachfrau also, wenn es darum geht, ein Klassikkonzert mal anders aufzuziehen. Genau das wird sie mit der Württembergischen Philharmonie am 2. Februar in der Reihe »Sonntags um elf« tun. Als Moderatorin führt sie durch eine der berühmtesten musikpädagogischen Klassik-Schöpfungen: Die Suite »The Young Person's Guide To The Orchestra« von Benjamin Britten.
Für Lehrfilm entstanden
Britten schrieb das Stück 1945 für einen Lehrfilm, der sich an Kinder richtete. Ist dieses Stück klassische Musikvermittlung immer noch aktuell? »Die Musik ist noch immer toll«, schwärmt Meissl. »Und die Fuge am Schluss ist große Klasse!« In dreizehn Variationen über ein Thema des britischen Barock-Komponisten Henry Purcell stellt Britten jeweils ein anderes Instrument heraus, von der Piccoloflöte bis zur Tuba, von der Geige bis zum Kontrabass und dem Schlagwerk. In der Fuge führt er vor, was passiert, wenn man alle Einzelinstrumente verwebt.
Konzertinfo
Die Württembergische Philharmonie Reutlingen spielt Benjamin Brittens »The Young Person's Guide to the Orchestra« am Sonntag, 2. Februar, um elf Uhr in der Stadthalle Reutlingen. Moderatorin ist Karin Meissl, die Leitung hat Ariane Matiakh. (GEA)
Auch beim Konzert mit der WPR werden die einzelnen Variationen durch Zwischenmoderationen unterbrochen. »Ich erzähle das aber moderner«, erklärt Meissl. Bei ihr gehe es weniger darum, die einzelnen Instrumente vorzustellen, sondern darum: »Was macht eigentlich das Abenteuer Orchester aus? Was für eine Freude und Faszination steckt darin? Wo kommen die Musiker her? Wie sieht der Tagesablauf in so einem Orchester aus?« Während Brittens Film sich an Kinder wandte, will Meissl das Abenteuer Orchester allen Generationen schmackhaft machen. »Ich wäre glücklich, wenn ganze Familien kommen, Kinder wie Erwachsene.«
Auch Ausflüge zu anderen Stücken soll es geben. Mit dem berühmten US-Filmmusik-Komponisten John Williams geht es in die Zauberwelt Harry Potters. In der »Fanfare« des Franzosen Paul Dukas toben sich die Blechbläser aus. In einer Serenade von Pjotr Tschaikowski entfalten die Streicher ihren Schmelz.
Publikum darf Fragen stellen
Die Moderatorin verspricht: »Das Publikum wird einbezogen!« Die Zuhörer würden Gelegenheit bekommen, alles zum Thema Orchester zu fragen, »was sie sich bisher nie getraut haben«. Kurzum: »Das Ganze wird ein ganz anderes Konzert als sonst.«
Genau das hat Meissl von Jugend auf gereizt. Schon im Studium habe sie interessiert, wie man Konzerte mal anders inszenieren könnte. In der Regieausbildung, die sie zuletzt absolviert hat, lernte sie, Bühne, Raum und Licht mit einzubeziehen, die Musiker an Choreografien zu beteiligen.
Die Dramaturgie macht's!
Am wichtigsten aber sei die Dramaturgie, der Spannungsverlauf. »Also Sachen wie: Wann hält man besser den Mund und lässt die Musik sprechen? Oder: An welcher Stelle bezieht man das Publikum ein?« Alternative Konzertformate erleben gerade einen Boom. Meissl hat in dieser Hinsicht schon viel erlebt. Etwa, dass die Hörer auf Matratzen auf dem Boden liegen und die Musiker um sie herumlaufen. Oder dass die Gäste Tonerzeuger mitbringen und selbst mit loslegen.
Ganz so wild wird's bei »Sonntags um elf« nicht – aber allemal spannend. Wobei Meissl wichtig ist: Musikvermittlung sei nicht vorrangig ein Mittel, um Klassiknachwuchs heranzuziehen. Sondern ein Abenteuerfeld fürs Publikum von heute. »Die sollen Konzerte als Erlebnisraum wahrnehmen, in dem sie sich zu Hause fühlen.« (GEA)