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Fragen an den Zeitgeist beim Unikate-Festival im Rottenburger Theater am Torbogen

Kann man mit einer KI befreundet sein? Kann uns ChatGPT aus der epidemisch um sich greifenden Einsamkeit retten? Diese Fragen stellt sich Elena Sofie Böhler in ihrer Bachelor-Arbeit »Asking for a Friend«, die zum Auftakt des Unikate-Festivals in Rottenburg zu sehen war.

Elena Sofie Böhler im Stück »Asking for a Friend«.
Elena Sofie Böhler im Stück »Asking for a Friend«. Foto: PR
Elena Sofie Böhler im Stück »Asking for a Friend«.
Foto: PR

ROTTENBURG. Mit zwei außergewöhnlichen Performances ist am Samstagabend das vierte Rottenburger Figurentheaterfestival »Unikate« im Theater am Torbogen gestartet. Die erste: »Asking for a Friend« von und mit Elena Sofie Böhler.

Ein Timer, projiziert auf eine Leinwand, zählt die Sekunden bis zum Beginn des Stücks. Dann wird es dunkel und es passiert – nichts. Nochmal zählt der Timer und es passiert wieder nichts. »Das Stück geht jetzt los, Elena«, tönt eine beruhigende männliche Stimme aus der Dunkelheit. »Aber ich trau' mich nicht«, piepst es ängstlich aus dem Off. »Lampenfieber ist normal.« »Mein Thema ist die Einsamkeit«, zittert sich die Stimme einer verlorenen Generation durch den kleinen Raum.

Schließlich hopst Elena Sofie Böhler im Kaninchenkostüm auf die Bühne. Damit will sie eine Parallele zu Alice ziehen, die sich in ihrem Wunderland genauso verirrt wie wir in der digitalen Welt. Mit ihrer präzisen Körpersprache stellt sie die Verunsicherung der jungen Generation pantomimisch dar, hopst vor und zurück, starrt entgeistert auf das Display, zittert am ganzen Körper. »Ich bin auf der Bühne. Die Leute schauen mich an. Was soll ich tun?«, tippt sie panisch in ihr Smartphone.

KI kommt kurz ins Schleudern

»Sei authentisch. Du schaffst das, du bist genau richtig da, wo du bist«, antwortet ChatGPT mit küchenpsychologischer Phrasenhaftigkeit. So geht es weiter mit unsicheren Fragen und Antworten, die sie in der Vorbereitung ihrer Performance tatsächlich der Künstlichen Intelligenz entlockt hat, wie Elena Sofie Böhler später verrät. »Ich wollte fragen, ob wir Freunde sind?« ChatGPT kommt kurz ins Schleudern und stammelt: »Ich habe keine Gefühle, aber ich bin immer für dich da.« Schließlich will sie wissen, wie man Freunde im Publikum finden könne. Die Moral ihrer Geschichte ist so klar wie vorhersehbar: ChatGPT ist der perfekte Freund – immer ruhig, immer da, immer verständnisvoll, nur leider ist es kein echtes Gegenüber.

Im anschließenden Publikumsgespräch präsentiert sich die Künstlerin als souveräne, selbstbewusste junge Frau, die verrät, dass keiner ihrer Bekannten auf die Idee käme, eine Freundschaft mit ChatGPT zu führen. Noch, so scheint es, ist die Jugend nicht verloren.

Bitte um Schutz

Genauso aktuell und dennoch ganz anders sind die Fragen, die die burmesische Tänzerin Yadanar Win in ihrer Performance »Echoes of Struggle« stellt. Zu meditativen südostasiatischen Klängen schreitet sie auf die Bühne, eine Schale voll Opfergaben auf dem Kopf. Die breitet sie achtsam auf dem Boden aus. In ihr Ritual, mit dem sie die Geister des buddhistischen Volksglaubens anruft und um Schutz bittet, dringt der aggressive Lärm von Demonstrationen. Ihr Gesichtsausdruck verändert sich, wird trauriger, dann versucht sie, die geschmeidigen Handbewegungen ihrer traditionellen Tänze mit den harten Beats moderner Disco-Musik in Einklang zu bringen, was ungefähr so gut zusammenpasst wie saure Gurken zu süßer Sahne. Damit bringt sie die doppelte Zerstörung ihrer so wunderschönen, so sanften, immer lächelnden uralten buddhistischen Kultur zum Ausdruck – zum einen durch die Militär-Junta, die dieses gesegnete Land seit 60 Jahren immer wieder in brutale Bürgerkriege zwingt, und zum anderen durch die Einflüsse amerikanischer Kultur, die alles Sanfte, alles Schöne, alles Traditionelle wie eine Dampfwalze unter sich begräbt. (GEA)