REUTLINGEN. Ob jedem klar ist, dass die biblische Weihnachtsgeschichte auch von Flucht und Migration erzählt? Der Reutlinger Komponist Veit Erdmann-Abele wollte diesen Aspekt stärker herausarbeiten und hat deshalb ein Weihnachtsoratorium mit dem Titel »Mit Hoffnung leben« geschrieben. Angeregt hatte ihn Wolfhard Witte, Leiter des Hohbuchchors und der Kantorei der Reutlinger Kreuzkirche. »Ich hab mir damals gedacht, es muss ja nicht immer Bach oder Rheinberger sein«, erzählt Witte beim Redaktionsbesuch mit Erdmann-Abele und seinem Chorleiterkollegen und Organisten von der Wolfgangskirche Andreas Dorfner. Man schrieb das Jahr 2015, die Flüchtlingswelle war auf dem Höhepunkt. 2016 brachten Dorfner und Witte mit ihren Chören und einem Projektorchester das Werk heraus.
Chorsänger gesucht
Für die Aufführung des Weihnachtsoratoriums »Mit Hoffnung leben« von Veit Erdmann-Abele werden noch Chorsänger gesucht, die projektweise mitmachen. Die Aufführung ist am Sonntag, 8. Dezember, um 17 Uhr in der St.-Wolfgangskirche in Reutlingen. Die Chorgemeinschaft St. Wolfgang probt jeden Freitagabend um 19.30 Uhr im Bea-Haus. Hohbuchchor und Kantorei der Kreuzkirche proben das Stück an einzelnen Dienstagabenden um 20 Uhr in der Kreuzkirche. Einen Einführungsvortrag des Komponisten Veit Erdmann-Abele gibt es am 25. Oktober um 18.30 Uhr im Bea-Haus. (GEA)
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Nun soll es am 8. Dezember eine erneute Aufführung geben - diesmal mit Orgelbegleitung anstelle des Orchesters. Mit Orgel sei die Chance einer Aufführung höher, ist der Komponist überzeugt. Ein Orchester sei teurer als ein Organist. In diesem Fall ist der Organist sowieso da, schließlich ist Andreas Dorfner, Kirchenmusiker an der katholischen St. Wolfgangskirche in Reutlingen, wieder mit von der Partie. Seine Chorgemeinschaft St. Wolfgang wird mit dem Hohbuchchor und der Kantorei der Kreuzkirche wieder das gesangliche Rückgrat der Aufführung bilden. Dirigiert bei der Aufführung von Witte, während Dorfner an der Orgel der Wolfgangskirche das Orchester ersetzt.
Vom Orchester- zum Orgelpart
Wie aber wird aus einem Orchesteroratorium ein Orgeloratorium? »Viele Stunden«, versichert Erdmann-Abele, hätten er und Dorfner gemeinsam über der Partitur gebrütet oder an der Orgel experimentiert. Um herauszufinden, »was ein Organist mit zehn Fingern und seinen Füßen an der Orgel machen kann, was sonst ein ganzes Orchester macht«. Erst hatte Erdmann-Abele einen Entwurf erarbeitet - danach ging es mit dem Praktiker Dorfner daran zu klären, was davon umsetzbar war. »Er darf ruhig bei den kontrapunktischen Verflechtungen auch mal was weglassen«, gibt Erdmann-Abele sich generös.
Dorfner hatte indes noch ein anderes Problem zu lösen. Die Noten waren in der ersten Partiturfassung viel zu klein, als dass er bei der Aufführung daraus hätte lesen können. Reinhard Wehrmann erstellte extra eine auf Din-A-3 vergrößerte Fassung. Musikalisch sei die Herausforderung gewesen, dass der Orgelklang im Vergleich zum Orchester nicht starr oder statisch klingt. Was aus Dorfners Sicht gelungen ist: »Wir haben jetzt 160 Registerwechsel drin. Für Abwechslung ist also gesorgt.«
Fluchtgeschichte integriert
Anders als Bach bezieht Erdmann-Abele in seinem Oratorium die Flucht nach Ägypten mit ein. Außerdem bekommt die Figur Josefs einen größeren Stellenwert. Das Stück gliedert sich in drei Großteile: Der erste erzählt die Vorgeschichte mit der Verkündigung von Jesu Geburt an Elisabeth und Maria, der zweite die eigentliche Geschichte von Jesu Geburt und der dritte die Flucht nach Ägypten.
Neben Bibeltexten hat Erdmann-Abele auch ein Papst-Zitat und drei Gedichte von Rainer-Maria Rilke über den Themenkreis Josef und Flucht nach Ägypten herangezogen. Und eine Weisheit aus Haiti, die besagt, dass Weihnachten erst dann ist, wenn man den Fremden nicht mehr abweist. »Weihnachten ist eben nicht nur Lametta«, bringt es Erdmann-Abele auf den Punkt.
Chorpart nicht schwierig
Auch wenn die drei beteiligten Chöre schon einiges an Sängern in die Waagschale bringen, möchten Witte und Dorfner gerne noch weitere zum projektweisen Mitmachen animieren. »Die Chorsätze sind nicht schwer zu singen«, betont Witte. Auch wenn die eine oder andere harmonische »Reiberei« dabei sein, wie Erdmann-Abele anmerkt. Aber die meisten Chorsätze seien homofon - also nicht fugenartig verschachtelt. Zudem hat Erdmann-Abele die Chöre dreistimmig angelegt, »weil ich weiß, dass es bei vielen Chören an Männerstimmen fehlt«. Das Zeitgenössische der Tonsprache schlägt dem Komponisten zufolge vor allem bei den Gesangssolisten durch.
Und beim Organisten, der rund 70 Minuten lang im Dauereinsatz sein wird. Eine Riesenaufgabe, das in die Finger und Füße zu kriegen. »Da muss man jeden Tag dranbleiben, damit man die Übergänge kennt und mit dem Stück vertraut ist«, sagt Dorfner. Bange ist ihm vor dem Einsatz nicht - er hat ja nun gut lesbares Notenmaterial. (GEA)