REUTLINGEN. Seine Musik lässt zuweilen an ein Verbrechen denken, das nie stattfand. Mit rotzig-trotzigen Songs wie »Kill your Idols«, »This is Michael« oder »Container Love« wurde der Dortmunder Sänger Mitte der 80er-Jahre bekannt und von namhaften Musikzeitschriften zum popkulturellen Bilderstürmer hochstilisiert.
Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Mittlerweile lebt Phillip Boa abwechselnd im Norden von London und in seiner Heimatstadt Dortmund und tritt nur noch selten mit einem neuen Album in Erscheinung. Trotzdem hat er von seiner Anziehungskraft und dem Kultstatus, der ihn umgibt, wenig eingebüßt. So ging er vor einigen Jahren unter dem Etikett »Twenty Years of Indie Cult« auf Konzertreise. Ein Gutteil Ironie mag mitgeschwungen haben, wenn da einer so plakativ seinen Veteranenstatus herausstellt, der in seiner klassischen Phase Mitte der 80er- bis Anfang der 90er-Jahre beharrlich an musikalischen Klischees rüttelte und zugleich am Modell Popsong festhielt.
Treue Gefolgschaft
Wie es sich mit ehemaligen Größen so verhält, sind Verkaufszahlen und Säle zwar geschrumpft, doch es verbleibt eine treue Gefolgschaft, die nun für ein volles franz.K sorgte und die den Dortmunder, der eigentlich Ernst Ulrich Figgen heißt, wie die Inkarnation des deutschen David Bowie verehrt. Boa ist inzwischen 61 Jahre alt, gibt sich noch immer schnoddrig und selbstverliebt. Er trägt einen schwarzen Designer-Anzug mit dandyhafter Nonchalance und nennt seine Band noch immer The Voodooclub.
Alles also wie früher? Phillip Boa, der sich in seiner Solophase mit Albumtiteln wie »Boaphenia« oder »My Private War« selbst stilisierte, gibt im franz.K - mit viel Pathos und mittlerweile nicht mehr so schlecht gelaunt - den unentrinnbar in seiner Psyche verfangenen Herrn der Düsternis. Richtig ausgelassen wird er, genau wie sein Publikum, vor allem bei den vertrauten Nummern. Dann hüpft und tanzt er wie zu alten Glanzzeiten, und seine Fans singen jede Zeile mit. Dann durchläuft den Saal eine Welle der Euphorie. Die Songs sind nie nur Songs, sondern immer auch Verweis: auf Orte und Zeiten, auf politische Zustände, auf absurde Träumereien, auf die eigene Jugend.
Wenig redseliger Frontmann
Begleitet wird Boa von Sängerin Vanessa Anne Redd und vier Musikern an Keyboard, Gitarre, Bass und Drums. Die Riffs donnern rau und düster, Scheinwerfer erhellen nur selten die Bühne. Die gute Stimmung scheint dem wenig redseligen Frontmann zu gefallen. »Container Love«, »This is Michael« und als Schlusspunkt eines ausgiebigen Zugabenblocks das Iggy Pop nachempfundene »Kill your Ideals« machen richtig Laune. Die in Breaks eingebauten, von Stockhausen hergeleiteten Klanginseln und weiten Melodiebögen inmitten der treibenden Songs steigern die Spannung. Titel wie »Rain Poets«, »And Then She Kissed Her« oder »Standing Blinded On The Rooftops« flutschen ohne Hänger mit durch. Sie wirken kompakt, sind tadelloses Handwerk.
Boas Stimme ist eine dieser prächtig funktionierenden Unmöglichkeiten: Der Mann, der zuweilen wie Brian Ferry nach durchzechter Nacht wirkt, kann eigentlich nicht singen, aber das stört niemanden im Saal. An seiner Seite hat er schließlich noch die britische Sängerin Vanessa Anne Redd, die manchen Songs erst den nötigen Ausdruck verleiht und auch im Anfeuern des Publikums fraglos die Souveränere des Duos ist. (GEA)