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Denker der Einheit von Natur und Geist: Philosoph Schelling vor 250 Jahren geboren

Vor 250 Jahren wurde mit Friedrich Wilhelm Joseph Schelling einer der bedeutendsten Denker des Abendlandes geboren. Was fasziniert uns noch heute an diesem frühreifen und nie vollendeten Philosophen?

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling auf einem Gemälde von Joseph Karl Stieler aus dem Jahr 1835.
Friedrich Wilhelm Joseph Schelling auf einem Gemälde von Joseph Karl Stieler aus dem Jahr 1835. Foto: Foto: Wikipedia
Friedrich Wilhelm Joseph Schelling auf einem Gemälde von Joseph Karl Stieler aus dem Jahr 1835.
Foto: Foto: Wikipedia

LEONBERG. Am 27. Januar 1775 - vor 250 Jahren - öffnet Friedrich Wilhelm Joseph Schelling zum ersten Mal seine neugierigen Augen und blickt in die Gesichter einer alteingesessenen Leonberger Pfarrersfamilie. Obwohl noch ein langes Leben vor ihm liegt, scheint er es eilig zu haben. Nach der Lateinschule in Nürtingen lernt der Halbwüchsige an der evangelischen Klosterschule in Bebenhausen Griechisch, Latein, Hebräisch, Arabisch. Anschließend beginnt er mit gerade einmal 15 Jahren ein Theologiestudium am Evangelischen Stift in Tübingen. Wie es das Schicksal will, werden Friedrich Hölderlin und Georg Wilhelm Friedrich Hegel seine Stubenkameraden, beide fünf Jahre älter. Die großen Umbrüche der Zeit elektrisieren sie – die Französische Revolution und Kants Philosophie. In endlosen Diskussionen entwickeln sie Gedanken, mit denen sie sich in den Deutschen Idealismus einreihen, jene bedeutendste philosophische Strömung der Neuzeit, die die Frage nach der Struktur des Bewusstseins, das wir von uns selbst haben, und nach der Einheit von Denken und Sein in den Mittelpunkt stellt.

Nach fünf Jahren endet Schellings Theologiestudium, doch sein Wissensdurst ist noch lange nicht gestillt. In Leipzig studiert er Naturwissenschaften und Medizin und wird schließlich mit 23 Jahren auf eine Professur in Jena berufen. Dort lernt er mit Friedrich und August Wilhelm Schlegel, mit Novalis, Ludwig Tieck und Friedrich Schleiermacher den Kreis der Frühromantiker kennen, den er einige Jahre später sprengt, als sich Caroline Schlegel in ihn verliebt und um seinetwillen August Wilhelm verlässt, was Friedrich Schlegel, den Bruder des Gehörnten, dermaßen erzürnt, dass das gemeinsame Philosophieren ein jähes Ende findet.

Nie endende Erkenntnissuche

Mit der Naturphilosophie, die er in dieser Zeit entwickelt, nimmt er großen Einfluss auf die Naturwissenschaft seiner Zeit und auf die entstehende Romantik, als deren Philosoph er zuweilen bezeichnet wird. In der klassischen Philosophie-Geschichtsschreibung hat man die Entwicklung des Deutschen Idealismus meist als eine gerade Linie von Johann Gottlieb Fichte über Schelling zu Hegel gesehen und die Romantik als eine Teilströmung desselben betrachtet. Der Tübinger Philosoph Manfred Frank hat jedoch gezeigt, dass die Romantik nicht nur zeitgleich zum Idealismus entstanden ist, sondern im Gegensatz zu diesem davon überzeugt ist, dass das Bewusstsein, das wir von uns selbst haben, nicht über die Grundlagen verfügt, aus denen heraus es sich selbst verstehen kann und dass es somit ein unausdeutbares Rätsel bleibt, das uns zu einer nie endenden Erkenntnissuche zwingt.

Der Idealismus glaubt dagegen bis hin zu Hegel, zu einem in sich geschlossenen System des Wissens kommen zu können. Die Romantik ist hier viel moderner, das Bruchstückhafte und Unabschließbare unseres Denkens betonend. In diesem Spannungsfeld neigt Schelling mal der einen, mal der anderen Seite zu und ist nirgendwo eindeutig zu verorten. Unbestreitbar ist jedoch, dass er mit seinen 1797 erschienenen »Ideen zu einer Philosophie der Natur« wichtige Grundgedanken der romantischen Naturphilosophie formuliert hat. Schlegel und Novalis haben die »Ideen« intensiv studiert, auch wenn sie sie zunächst ablehnten: »Schellings Philosophie [...] endigt, wie der Prometheus des Aeschylus, mit Erdbeben und Untergang«, schreibt Schlegel in seinen Athenäumsfragmenten. Dennoch ist unübersehbar, wie viele seiner Ideen sich bei den Romantikern wiederfinden.

Vom Subjektiven ins Objektive gewendet

Schelling knüpft mit seiner Naturphilosophie an Fichtes Lehre von der produktiven Einbildungskraft an, die die Natur »schafft«. Dieses Prinzip wendet er vom Subjektiven ins Objektive. Schelling fragt nicht, wie eine Natur außer uns entstanden sein kann, sondern wie die Vorstellung von dieser Natur in unser Bewusstsein gekommen ist, denn »die Existenz einer solchen Natur außer mir erklärt noch lange nicht die Existenz einer solchen Natur in mir.« Dies erklärt er sich mit der von ihm postulierten strukturellen Wesensgleichheit von Natur und Geist. Wir können nur erkennen, was uns ähnlich ist. Eine Erkenntnis der Natur wäre ohne strukturelle Wesensgleichheit mit unserem Geist nicht möglich, die er mit der Herkunft beider aus dem Absoluten begründet. »Die Natur soll der sichtbare Geist, der Geist die unsichtbare Natur seyn.« Aufgrund der Einheit von Natur und erkennendem Geist ist Naturerkenntnis Selbsterkenntnis und Selbsterkenntnis ist Naturerkenntnis. Daran anschließend versucht er, die beiden komplementären Grunddisziplinen – die Philosophie der Natur und die Philosophie des Geistes, die Transzendentalphilosophie - als Teile eines einheitlichen philosophischen Systems zu entwickeln.

Jubiläumsprogramm

Das Schelling-Jubiläum wird unter anderem in Leonberg, Würzburg und München gefeiert. Nähere Informationen gibt es bei der Internationalen Schelling-Gesellschaft und der Stadt Leonberg. (GEA)

Im Kunstwerk lässt sich schließlich der Widerspruch von Geist und Natur als »Synthesis von Natur und Freiheit« auflösen. Damit greift Schelling den Grundgedanken der romantischen Ästhetik auf, wie ihn schon Friedrich Schlegel im 48. Fragment seiner »Ideen« formuliert hatte: »Wo die Philosophie aufhört, muss die Poesie anfangen.«

Auch in seiner Spätphilosophie mit Stationen in Würzburg, Erlangen, München und Berlin kreist Schelling immer wieder um die Frage, wie sich das Absolute erkennen und begründen lässt, ohne je zu einem abschließenden Ergebnis zu gelangen. Indem er gegen Ende seines Lebens den christlichen Gott als den Urgrund und das letzte Ziel der Philosophiegeschichte betrachtet, begründet er das Denken mit einer Instanz, die nicht mehr rational erfassbar ist, und bleibt damit in gewisser Weise der unendlichen Suche der Romantik und seinem eigenen aufs Unendliche gerichteten Denken treu. Bei einem Kuraufenthalt in der Schweiz schließt er 1854 seine Augen für immer. »Dem ersten Denker Deutschlands« steht auf seinem Grabmal. (GEA)