Logo
Aktuell Ausstellung

Dem »Prozess« auf der Spur: Literaturmuseum der Moderne Marbach zeigt »Kafkas Echo«

Zum 100. Todestag von Franz Kafka in diesem Jahr zeigt das Literaturmuseum der Moderne auf der Marbacher Schillerhöhe die Sonderausstellung »Kafkas Echo«. Wie ein Kronjuwel präsentiert wird das Manuskript zu »Der Prozess«. Auch sonst erfährt man so einiges über den geheimnisumwobenen Schriftsteller.

Das »Kronjuwel« der Ausstellung: Kafkas handschriftliches Manuskript zu seinem Romanfragment »Der Prozess«.
Das »Kronjuwel« der Ausstellung: Kafkas handschriftliches Manuskript zu seinem Romanfragment »Der Prozess«. Foto: A3537 Marijan Murat/dpa
Das »Kronjuwel« der Ausstellung: Kafkas handschriftliches Manuskript zu seinem Romanfragment »Der Prozess«.
Foto: A3537 Marijan Murat/dpa

MARBACH AM NECKAR. Ehre, wem Ehre gebührt: Dass das Literaturmuseum der Moderne als Schaufenster des Deutschen Literaturarchivs (DLA) anlässlich des 100. Todestags von Franz Kafka dem 1883 in Prag geborenen Autor eine Ausstellung ausrichtet, kann nicht überraschen. Wo, wenn nicht hier, wo im DLA in unterirdischen Magazinen seit 1988 das Manuskript des unvollendet gebliebenen, von Kafkas Nachlassverwalter Max Brod entgegen dem Willen des Schriftstellerfreunds als »Der Process« herausgegebenen Romanfragments unter all den anderen Kostbarkeiten als eine der wertvollsten Preziosen funkelt? Noch immer gelten die umgerechnet rund 1,75 Millionen Euro, für die das 178 Blätter umfassende Fragment in London den Besitzer wechselte, als eines der höchsten Auktionsergebnisse auf diesem Gebiet.

Und dann Kafka selbst: Vom literarischen Außenseiter zur Weltliteraturikone, dessen spezifische, im Zusammenklang surrealer, grotesker und absurder Motive sich manifestierende Handschrift sich sogar im Duden mit dem Adjektiv »kafkaesk« verewigt hat. Den feinnervigen Fluss seiner Zeilen, in deren Über- und Unterlängen ein Widerhall seiner hageren Körperlichkeit mitzuschwingen scheint, kann man nun in der Sonderschau »Kafkas Echo« bis 26. Januar 2025 auf sich wirken lassen.

Ringen mit undurchschaubaren Mächten

Die Drangsal des (post-)modernen Subjekts hat kaum ein Schriftsteller treffender in Worte und Bilder zu fassen gewusst: »das absurde Ringen mit bürokratischen und undurchschaubaren Mächten, Angst, Schuld, Entfremdung«, wie Museumsleiterin Vera Hildenbrandt es formuliert, die im Kuratorenteam mit Ulrich von Bülow, Lorenz Wesemann und Eva Leube vom DLA der Ausstellung Form und Gestalt gegeben hat. Beklemmend aktuell, nicht zuletzt unter dem Eindruck der Krisen der Gegenwart, wirkt uns das »Kafkaeske«. Auch medial hat Kafka seine Kreise gezogen, von Orson Welles' Verfilmung »Der Prozess« (1963) bis zur aktuellen Miniserie von Daniel Kehlmann und David Schalko.

Ausstellungsinfo

Die Ausstellung »Kafkas Echo« im Literaturmuseum der Moderne, Schillerhöhe 8-10 in Marbach am Neckar, ist bis 26. Januar 2025 zu sehen, Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr. Das benachbarte Schiller-Nationalmuseum ist bis Herbst 2024 wegen Ausstellungsumbaus geschlossen. Begleitend zu »Kafkas Echo« läuft eine gemeinsame virtuelle Seminarreihe mit der National Library of Israel und der Bodleian Libraries Oxford. (GEA)
www.dla-marbach.de

Eine Requisite aus der ARD-ORF-Koproduktion empfängt die Besucher im Eingangsbereich vor dem Abgang in die Ausstellungsräume – der Apparat entstammt der 1919 veröffentlichten Erzählung »In der Strafkolonie« und soll dem Verurteilten das übertretene Gebot immer tiefer in den Körper ritzen.

Die Schau selbst ist in vier Bereiche unterteilt, das »Herzstück« (Hildenbrandt) stellt der Raum »Schreiben« dar. In mystisches Dreiviertel-Dunkel getaucht und präsentiert wie ein Kronjuwel, liegen in einer Vitrine, die über dem Boden zu schweben scheint, Deck- und Umschlagblätter eines der »Prozess«-Konvolute – Kafka hatte das Manuskript in zehn Heften wohl auch parallel verfasst, die er nachträglich aufgetrennt und auf 16 Stapel verteilt hat. Daneben die Seite mit der »Torhüterlegende«, dem einzigen von Kafka zu Lebzeiten publizierten Teil des Romans (1915 unter dem Titel »Vor dem Gesetz« erschienen).

In Prag erinnert eine neugestaltete Straßenbahn im 100. Todesjahr des Schriftstellers an Franz Kafka.
In Prag erinnert eine neugestaltete Straßenbahn im 100. Todesjahr des Schriftstellers an Franz Kafka. Foto: Michael Heitmann/dpa
In Prag erinnert eine neugestaltete Straßenbahn im 100. Todesjahr des Schriftstellers an Franz Kafka.
Foto: Michael Heitmann/dpa

Auch die 103 Seiten des »Briefs an den Vater« fehlen nicht. Dazu das 1956 erworbene Manuskript zu »Der Dorfschullehrer« sowie Briefe an Grete Bloch, Max Brod, Willy Haas, seine Geliebte Milena Jesenská und die Schwester Ottla Kafka. Umstanden wird der eckige Schrein von verspiegelten Säulen, in denen erste Echos auf Kafkas Publikationen, etwa von Franz Werfel, zu sehen sind. Projektoren werfen Dokumente von Kafkas Tod an die Wand.

Eine bedeutende Rolle spielt der Vorlass von Hartmut Binder, der jüngste Kafka-Neuzugang in der Sammlung des DLA. Binder hat sich an einer auflagengenauen Rekonstruktion der Bibliothek Kafkas versucht – dem Massiv des im Raum »Interpretieren« aufgebauten Bücherregals kann man sich mit dem Fernglas nähern.

Nur die Spitze des Eisbergs

Dahinter liegt das Feld der Kafka-Leser, von Hermann Hesse, Paul Celan und Siegfried Kracauer über Max Bense, Hannah Arendt, Ilse Aichinger, W. G. Sebald und Martin Walser bis zu Peter Handke und Julia Franck. Im Bereich »Sezieren« lädt ein »Kafka-Lab« mittels VR-Brille dazu ein, dem »Prozess«-Manuskript auf die Spur zu kommen.

Selbstredend kann die Schau nur die Spitze des Eisbergs zeigen: Die Bibliothek des Literaturarchivs verzeichnet über 1.040 Primär- und 5.055 Sekundärliteraturnachweise zu Kafka. »Kill your darlings« (»Töte deine Lieblinge«) habe die Devise bei der Auswahl der gut 100 Exponate gelautet, formuliert es Wesemann. Zudem hat man sich auf die persönliche Rezeption beschränkt, Verlagsarchive wie Fischer und Suhrkamp blieben außen vor. Tiefergehendes könnte also noch folgen. (GEA)