REUTLINGEN. Nun hat die Corona-Pandemie die vor vier Jahren enger geknüpften Bande doch gekappt: Fawzi Haimor, Chefdirigent der Württembergischen Philharmonie Reutlingen (WPR), verlässt das Orchester mit sofortiger Wirkung, wie er dem Stiftungsrat der WPR am Mittwoch mitteilte. Am gestrigen Donnerstag machte die Neuigkeit dann öffentlich die Runde.
»Schweren Herzens« habe er sich zu dem Schritt entschlossen, erklärte Haimor, der seit der Spielzeit 2017/18 Chefdirigent in Reutlingen war und von Publikum und Orchester sehr geschätzt wird. Es sei ihm in den vergangenen drei Jahren immer »die größte Freude gewesen, mit der WPR zu arbeiten«, so der gebürtiger Chicagoer weiter.
Haimors Vertrag mit der Philharmonie wäre noch bis zum Ende der Spielzeit 2023/24 gelaufen. »Doch aufgrund der weltweiten Pandemie, die unser Leben sicher noch länger beeinflussen wird, und der mir dadurch auferlegten Zwangspause, glaube ich, dass es für das Fortkommen und die Vorausplanung des Orchesters das Beste ist, wenn ich diesen Schritt gehe«, sagte Haimor zu seinem vorzeitigen Abschied. Seine letzten Konzerte mit der Württembergischen Philharmonie gab er im Januar. Es war dies das Kaleidoskopkonzert mit einem Beatles-Programm, das in Reutlingen und zweimal in Ludwigshafen gespielt wurde.OB Keck bedauert WeggangDer Dirigent und vierfache Vater Fawzi Haimor lebt mit seiner Familie nahe San Francisco in Kalifornien. »Ich will mich ausdrücklich bei den Menschen in Reutlingen bedanken, die mich und meine Familie in ihrer Gemeinschaft während der ganzen Zeit so willkommen geheißen haben«, unterstrich er. »Es war mir eine große Ehre, ein Teil des kulturellen Lebens dieser großartigen Stadt zu sein.«
Fawzi Haimor sei ein ausgesprochener Sympathieträger für das Orchester gewesen, betonte WPR-Intendant Cornelius Grube. »Er hatte sowohl die Orchestermitglieder als auch das Publikum von Beginn an für sich eingenommen. Ihn nun als Chefdirigenten unter so unglücklichen Umständen zu verlieren, bedauern wir zutiefst.«
Grube äußerte aber auch Verständnis, dass Haimor seinen Lebensmittelpunkt »gerade in diesen pandemiegeplagten Zeiten nahe bei seiner Familie sieht, um deren Gesundheit er sich sorgt. Wir werden ihm nach der Coronakrise in jedem Falle noch ein schönes nachträgliches Abschiedskonzert ermöglichen und ihn auch weiterhin als Gastdirigent sicher immer wieder bei uns in Reutlingen erleben können.« In jedem Fall, so Grube, gebühre Haimor »großer Dank für sein Engagement und die künstlerischen Visionen der letzten drei Jahre«.
Auch Oberbürgermeister Thomas Keck, der zugleich WPR-Stiftungsratsvorsitzender ist, bedauerte den Schritt des beim Publikum in Reutlingen gern gesehenen Amerikaners: »Wir waren überaus glücklich, mit ihm einen Dirigenten zu haben, der die Internationalität der Stadt Reutlingen und unseres Orchesters so verkörperte und in seiner Arbeit mit dem Orchester zum Ausdruck brachte.« Keck dankte Haimor »für die drei wunderbaren Jahre, die er hier – oft auch mit seiner ganzen Familie – bei uns verbracht hat«. Er freue sich, wenn Haimor »weiterhin als Gastdirigent zu uns kommt«.Musik als GemeinschaftsleistungKontrabassist Günter Fischer, der von Musikerseite dem Stiftungsrat angehört, sprach als Reaktion auf Haimor Rückzug von einer menschlich und musikalisch inspirierenden Zusammenarbeit mit dem Dirigenten, die nun hoffentlich nicht ganz ende. Seine Bescheidenheit im Auftreten – nie der Größte sein zu müssen – sei auch seine Haltung dem Orchester gegenüber gewesen. »Er hatte einen großen Respekt vor jedem Musiker und hat Konzerte immer als Gemeinschaftsleistung gesehen«, sagte er.
»Völlig überrascht« hat Haimors Rückzug Heidemarie Arnold vom WPR-Freundeskreis. Sein jugendlicher Elan und seine wertschätzende Art seien für das Orchester wie für das Publikum ein Gewinn gewesen, sagte sie. Topvorbereitet und hoch konzentriert habe sie ihn bei Probenbesuchen erlebt. Seine Wertschätzung gegenüber dem Orchester habe sich auch darin ausgedrückt, dass er sich in den Konzerten »nicht vorne verbeugte, sondern aus dem Orchester heraus«.
Die Württembergische Philharmonie will nun in der kommenden Spielzeit zunächst einmal Gastdirigate vergeben und dafür auch aussichtsreiche Kandidatinnen und Kandidaten für den Chefdirigentenposten einladen. (GEA)