REUTLINGEN. Mit dieser Veranstaltung hat die Württembergische Philharmonie Reutlingen (WPR) sich wieder einmal selbst übertroffen: Erst ging es mit Expeditionsleiter Daniel Sundy auf Safari quer durch Afrika, wo es in Moderationen und Klängen seiner mit »Safari for Uncommon Reeds« betitelten elfteiligen Komposition Begegnungen mit allerlei Tieren in ihrer natürlichen Umgebung gab. Dann wurde die Ausstellung »Eine Safari durch die Stile« der in Reutlingen lebenden Künstlerin Minny Beckmann präsentiert, die in der Galerie im Studio der Philharmonie nun längere Zeit zu sehen sein wird. Der Publikumszuspruch war groß und fiel ungemein herzlich aus.
Der Geiger Michael Schwarz, der über zwei Jahrzehnte hinweg die Ausstellungen im Studio der Philharmonie kuratiert hat, erinnerte daran, dass das Wort »Safari« aus der Swahili-Sprache Ostafrikas stammt und dort für eine Reise jeglicher Art steht. Insofern lasse es sich nicht nur, wie heute üblich, auf eine Reise zu Jagd- oder Fotozwecken, sondern auch auf einen Gang durch ein künstlerisches Leben beziehen.
Aufblühen und Vergehen
Wie im Falle Minny Beckmanns. Die Ausstellung ist so angelegt, dass man sich mit den verschiedenen Schaffensperioden und Ausdrucksformen der Künstlerin vertraut machen kann. Beginnend mit Radierungen über preußischblau-weiße Bilder in Lasurtechnik (»Kristall«, »Gotik«), von denen eine Hoffnung weckende Kraft ausgeht, Blumenaquarelle in Nass-in-Nass-Technik und Landschaftsbilder bis hin zu Collagen und Schütt-Folientechnik-Arbeiten.
Für Michael Schwarz ist es die letzte Ausstellung, die er kuratiert. Er geht auch als Geiger der Philharmonie in den Ruhestand und hat mit seinen Nachfolgerinnen (als Kurator) Liu Ge, Gabriele Haubner und Sena Umul sowie Minny Beckmann zusammen die Auswahl der präsentierten Werke getroffen.
In ihren Collagen »Grieshaber–gewandelt« setzt die in Berlin geborene Minny Beckmann das Hölderlin-Gedicht »Freundschaft« aus dem Jahr 1758 und sich selbst in Beziehung zu HAP Grieshabers Holzschnitt »Attempto 500 Jahre Eberhard-Karls-Universität Tübingen 1477–1977«. In ihrem Bild »Wassergewalt«, 2019 entstanden, liegen Faszination und Schrecken dicht beieinander, wohingegen ihre »Fleurs d’été« von 2011 im Aufblühen das Vergehen und Wiedererblühen auf höchst eindrückliche Weise schon mit enthalten. In einem »Komposition« (2015) betitelten Werk tanzen geometrische, kristalline und pflanzliche Formen fröhlich auf einer orangefarbenen Fläche, auf der sich auch Linien befinden, die wie Notenlinien das Ganze zur Musik erklären.
»Selbst aus einer künstlerischen und auch musikalischen Familie stammend, bin ich sehr stolz, im Studio der Württembergischen Philharmonie ausstellen zu dürfen«, sagte Minny Beckmann. An der uraufgeführten Musik, die der Philharmonie-Kontrabassist Daniel Sundy komponiert hat und in Duo-Besetzungen mit seinen Kolleginnen Stefanie Staroveski (Bassklarinette) und Yuko Schmidt (Englischhorn) sowie Kollege Guido Engelhardt (Kontrafagott) zu Gehör brachte, zeigte sich Minny Beckmann sehr interessiert. »Wenn ich den Künstler vorher kennengelernt hätte, hätte ich vielleicht manches anders dargestellt«, sagte sie über Sundy und ihr Werk.
Munterer Springbockwalzer
Ein zoologisch-musikalisches Abenteuer für Moderation, Klavier und drei Solo-Holzbläser ist Sundys Suite »Safari for Uncommon Reeds«. »Uncommon Reeds« bedeutet so viel wie »wenig gängige Rohrblattinstrumente«. Jedem Instrument hat Sundy drei kurze Sätze gewidmet, wobei jeder Satz lautmalerisch ein Tier porträtiert. Dazu kommen Eröffnung und Finale.
Sundy selbst war bei allen elf Sätzen am Klavier und auch als Moderator zu erleben, der etwa einen Vogel, der in einer symbiotischen Beziehung mit dem Nilpferd diesen Koloss mitunter plagt, als »so eine Art Finanzamt der Natur« bezeichnete. Klar, dass das Publikum da lachte – fast wollte es einem so vorkommen, als sei Loriot im Raum, so trocken und prägnant setzte Sundy seine Pointen. Wobei seine Moderationen, die aus jedem Tier zunächst ein Rätsel machten, durchaus auch fein recherchierte und wissenswerte Charakteristiken der Tiere zur Sprache brachten.
All das war mitreißend musiziert, ob nun das Krokodil dem Tango frönte, die Löwin träge, aber mit bewegten Träumen vor sich hin schlummerte oder ein Nashorn stampfend Tarantella tanzte. Ein Springbockwalzer war auch dabei, und die Giraffe hatte den Blues. Es gebe keine Bewegung ohne Tanz, zitierte der Komponist ein afrikanisches Sprichwort. Laune machten auch die lebendigen Illustrationen, die Ulrike Sundy, Geigerin, begabte Zeichnerin und Frau des Komponisten, vor dem Probensaal präsentierte.
Daniel Sundys Suite hat durchaus das Zeug, zum Klassiker zu werden. Man muss da gar nicht Vorbilder wie Camille Saint-Saëns’ »Karneval der Tiere« bemühen – obwohl sich dieser Vergleich anbietet. Auf die Anmerkung einer Zuhörerin, sie habe in der Suite ein Stück über den Elefanten vermisst, sagte Sundy, dass er das bewusst nicht geschrieben habe, denn das gebe es ja bereits von Saint-Saëns.
Man kann der Württembergischen Philharmonie nur nahelegen, die »Safari for Uncommon Reeds« wiederholt in ihren Musikvermittlungsprogrammen einzusetzen. Die Reaktionen der Zuhörer dürften ähnlich begeistert ausfallen wie bei der Uraufführung in der WPR-Matinee. (GEA)
AUSSTELLUNGSINFO
Die Minny-Beckmann-Retrospektive ist einige Monate lang (außer in den Schulferien) im Studio der Württembergischen Philharmonie, Marie-Curie-Straße 8 in Reutlingen, zu sehen. Besucher außerhalb von Veranstaltungen sollten sich telefonisch ankündigen. (GEA) 07121 820120