REUTLINGEN. Rembrandt porträtierte sich selbst in Öl, die junge Generation hält sich in Selfies fest: Das eigene Abbild festzuhalten, hat schon immer seinen Reiz gehabt. Die Studierenden in der Gestaltungsklasse von Professor Henning Eichinger am Fachbereich Textil- und Modedesign der Hochschule Reutlingen bringen beides zusammen: »Vom Selfie zum Selbstporträt« steht über ihrem Kurs. Und so heißt auch die Ausstellung, die am 13. November in der GEA-Redaktion eröffnet wird, in der sie ihre in der Klasse entstandenen Arbeiten zeigen. Umrahmt wird die Vernissage von der GEA-Band Headline.
Junge Kunst soll einmal im Jahr die GEA-Redaktion beleben. So war es der Wunsch von GEA-Verleger Valdo Lehari Jr., so war es der Wunsch der Redaktion. Henning Eichinger, Gestaltungsprofessor am Texoversum, dem Mode- und Textilfachbereich der Reutlinger Hochschule, war davon schnell zu begeistern. Seine Klasse auch. Zumal das Thema den Bogen schlägt zwischen den Generationen. »Ich bin ja noch die Generation analog«, sagt Eichinger. Für die jüngere Generation sei es hingegen ganz normal, sich digital im Internet zu inszenieren, sprich Selfies hochzuladen. Die Studierenden von Eichingers Klasse bestätigen das.
Entschleunigter Schnappschuss
Sein Kurs setzt nun am Selfie an, fordert aber die malerische Auseinandersetzung mit dem Handy-Spontan-Schnappschuss. Der flüchtige Klick wird verarbeitet, ins Konzeptuelle überführt - und ins Handwerkliche mit Farbe auf Papier oder Leinwand. »Das Selfie wird sozusagen entschleunigt«, formuliert der Kursleiter das, der auch selbst Künstler ist - und sich in seiner Kunst mit dem Spannungsfeld von digitaler Welt und haptisch greifbarer Malerei auseinandersetzt.
Ausstellungsinfo
Die Ausstellung "Vom Selfie zum Selbstporträt" mit Arbeiten von Studierenden des Studiengangs Fashion & Textile Design an der Hochschule Reutlingen, Klasse Henning Eichinger, wird am Mittwoch, 13. November, um 19 Uhr in der GEA-Redaktion eröffnet. Die Vernissage ist öffentlich (nicht barrierefrei). Die Einführung gestaltet Prof. Henning Eichinger gemeinsam mit den Studierenden. Musik macht die GEA-Band Headline. Weitere Öffnungsphasen sind jeweils von 10 bis 12 Uhr an den Samstagen des 30. November, 14. Dezember und 11. Januar. (GEA)
Die Ansätze der 13 angehenden Mode- und Textildesigner sind unterschiedlich. Manche bearbeiten ihr Selfie am Computer, verfremden es, abstrahieren es - und gehen erst dann mit Farbe auf Papier oder Leinwand. Andere erstellen bereits das initiale Selfie experimentell - indem sie dafür nicht das Smartphone verwenden, sondern das Gesicht auf den Hochschulkopierer legen.
Realistisch oder abstrahiert
Ein paar Kostproben: Yakup Keklik aus Schwäbisch Hall löst sein Gesicht in harte Schwarz-Weiß-Kontraste auf. Und verwendet die Acrylfarbe so dick, dass die Struktur seiner Barthaare plastisch wird. Melda Kilinc aus Ulm hat ihr Handy-Selbstporträt einmal realistisch in Acryl übertragen, dann wieder auf einen einzigen flächigen Türkiston abstrahiert - was das Plakatmotiv für die Ausstellung abgab.
Anna-Maria Roussou aus Tübingen begeistert sich für Renaissance- und Barockmalerei - und hat sich deshalb in der Kostümierung einer Barockfürstin festgehalten. Joana Arikan aus Ulm hat sich im Pop-Art-Stil verewigt und durch den engen Ausschnitt das Gesicht ausgespart - auch das eine Art, auf die Selbstsicht-Thematik zu reagieren.
Alessa Keppler aus Tübingen hat eine Beamerprojektion auf ihren Körper gerichtet und so ihr Selbstbild mit psychedelischen Streifenmustern verfremdet. Ein gespenstisches Selbstgesicht hat die Stuttgarterin Greta Jentschke mit Make-up-Farbe gestaltet - also mit dem Material, das sonst zur Steigerung der Schönheit im eigenen Gesicht landet. Die Pforzheimerin Anouk Felger hat ihr Ölpastell-Selbsporträt mit Terpentin verwischt.
Witzige Motive mit ernstem Hintergrund hat Clara Tan gestaltet. Ihr Vater ist Chinese, ihre Mutter Deutsche - in Deutschland werde sie oft aufs Chinesische reduziert, in China hingegen aufs Deutsche, ist ihre Erfahrung. Also hat sie sich vor chinesischer Flagge als bezopfte Blondine im Dirndl verewigt - vor Deutscher Flagge hingegen als Klischee-Chinesin mit Reisschale und Essstäbchen.
Zeichnerisches Linienspiel
Samuela Schmid löst ihr Selfie in ein zeichnerisches Linienspiel auf. Der Lörracher Henrie Kaufmann erzielt durch starkes Heranzoomen und Entpersonalisieren der Augen einen surrealistischen Effekt. Und Mira Swatschek erweckt einmal den Eindruck eines vergilbten Fotos, das andere Mal den eines Comics.
So wird aus dem flüchtigen Schnappschuss eine künstlerische Auseinandersetzung. Wie sehe ich mich? Wie sehen mich die anderen? Verblüffend, welch vielfältige Resultate diese Auseinandersetzung hervorbringt. (GEA)