REUTLINGEN-ROMMELSBACH. Die Nonnen des Mittelalters waren gebildeter, als man meinen möchte. Auch waren sie gut vernetzt. Das geht aus dem Buch »Unerhörte Frauen. Die Netzwerke der Nonnen im Mittelalter« (224 Seiten, 26 Euro, Propyläen Verlag, Berlin) hervor, aus dem eine der beiden Autorinnen, Henrike Lähnemann, Professorin für Germanistische Mediävistik an der Universität Oxford, in dieser Woche im evangelischen Gemeindehaus in Rommelsbach las. Persönliche Beziehungen - Lähnemann hat zusammen mit Pfarrerin Beate Ellenberger studiert - hatten die Lesung dort möglich gemacht. Mit am Buch geschrieben hat Eva Schlotheuber, Professorin für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Düsseldorf.
Dass das Bild selbstbewusster Nonnen als Herrinnen ihrer eigenen Geschicke wenig bekannt ist, führt Lähnemann auf die lückenhafte und einseitige wissenschaftliche Aufarbeitung zurück. »Geschichtswissenschaft als Universitätsdisziplin ist ein Produkt der preußischen Universitäten des 19. Jahrhunderts«, sagte sie. Hier sei die Sicht evangelischer Herren auf das Mittelalter und die Rolle der Frauen dominierend gewesen. »Für sie passte das: eine Rolle von Frauen, die unterdrückte arme Seelen waren, die es nicht besser wussten, hinter den Klostermauern saßen und nur darauf warteten, von Luther oder irgendeinem Prinzen befreit zu werden.«
Hunderte Briefe
In »Unerhörte Frauen« kommen Nonnen aus norddeutschen Klöstern zu Wort. Aus Tagebüchern und Briefen geht hervor, wie ihr Leben in Klausur aussah, wie sie fühlten und dachten. Das Lüner Klosterarchiv beispielsweise hütete jahrhundertelang einen fast unentdeckten Schatz. Zwischen 1460 und 1555 hatten Nonnen aus dem Konvent fast 1.800 Briefe kopiert und damit quasi eine Sicherungskopie ihrer Korrespondenz angelegt. Erhalten blieben so unter anderem Geschäftsbriefe, die an die Saline in Lüneburg gerichtet waren, aber auch Schreiben an andere Lüneburger Klöster und Briefe von Novizinnen an ihre Familien.
Eine wichtige Quelle ist auch das Tagebuch einer Nonne aus dem Heilig-Kreuz-Kloster bei Braunschweig, die festhielt, was alles schieflief im Kloster. »Es war wahrscheinlich eine Art Merkliste, was bei zukünftigen Ereignissen zu vermeiden war. Gleichzeitig scheint es eine Art Lateinisch-Stilübung gewesen zu sein«, so Lähnemann. Diese Nonne habe sich prächtig auf das Erzählen mit Cliffhangern und auf Aha-Momente hin verstanden.
Politischer Einfluss
Viele Äbtissinnen waren Töchter aus Patrizierhäusern und konnten über ihre männlichen Familienmitglieder politischen Einfluss ausüben. Was sie auch taten, wie Lähnemann und Schlotheuber an einem Beispiel der Schwestern des Klosters Heilig Kreuz bei Braunschweig deutlich machen. So wurde ein unzuverlässiger und korrupter Propst abgesetzt, nachdem die Nonnen sich - mit der Erlaubnis ihrer Äbtissin - bei Freunden und Verwandten über ihn beschwert hatten.
Die Nonnen, so führte Lähnemann bei ihrer Lesung aus, hätten eine »Universitätswissen entsprechende musiktheoretische und -praktische Ausbildung« genossen, die es ihnen ermöglicht habe, Musik, die sie hörten, niederzuschreiben. Auch weltliche Lieder seien mitunter recht ausgelassen gesungen worden, was von einem Gast im Kloster mit Befremden und Empörung zur Kenntnis genommen wurde.
Aus dem Zisterzienserinnenkloster Wienhausen hat sich ein Liederbuch erhalten, in dem sich neben den geistlichen auch ironische Lieder finden, etwa »Asellus in de mola«, das sich über einen Esel lustig macht, der »i« und »a« zu singen gelernt hat und denkt, damit könne er als Priester reüssieren und sich eine große Pfründe zulegen. »Das war offensichtlich ein beliebter Topos, um sich über die Geistlichen, die teilweise deutlich weniger Latein konnten als die Nonnen, lustig zu machen«, sagte Lähnemann und zeigte als Beleg das Foto eines Schlusssteins aus dem Kloster Ebstorf. Darauf ist ein Esel zu sehen, der aus dem Chorbuch »i« und »a« singt. (GEA)