BADEN-BADEN. Zum 29. Mal kamen von Donnerstag bis Samstag zahlreiche junge Künstler nach Baden-Baden, um die neuesten Entwicklungen der Popmusik vorzustellen. Dabei konnte dem dreitägigen Festival des Radiosenders SWR3 auch das unbeständige Wetter wenig anhaben: Mehr als 17.000 Fans besuchten die zehn allesamt ausverkauften Konzerte im Festspielhaus, Kursaal und Stadttheater. Insgesamt kamen mehr als 40.000 Musikfans nach Baden-Baden, um die Hauptacts und zahlreichen Umsonst-und-Draußen-Konzerte zu verfolgen.
Wenn in diesem Jahr beim New Pop Festival ein Trend auszumachen war, dann war es die Rückkehr zu handgemachten Klängen und zu Künstlern, die ihre Stimmen sowie das Beherrschen eines Instruments in den Mittelpunkt stellten. Dass diese Art Musik wieder im massentauglichen Aufwind ist, zeigten vor allem die Auftritte der britischen Gitarrenband Sea Girls, der Sängerinnen Asdis und Dylan, der Sänger Mark Ambor, Benjamin Ingrosso und Tom Walker sowie der fünf Londonerinnen von The Last Dinner Party, die zudem mit dem »SWR3 New Pop Award« ausgezeichnet wurden. Eher vorhersehbar und radiotauglich, aber bei der Dance-Fraktion schwer angesagt, waren die DJ-unterstützten Auftritte von Sophie and the Giants und Alle Farben.
Keine Monsterpreise
Positiv fielen auch die nach wie vor günstigen Eintrittspreise für New-Pop-Konzerte ins Gewicht: Während anderweitig für Auftritte von derzeit angesagten Stars der Branche ausufernde Monsterpreise von zum Teil weit mehr als 100 Euro verlangt werden, bot das New Pop Festival die meisten Tickets für erschwingliche 28 Euro an. Möglich sei das laut SWR3-Programmchef Thomas Jung durch die Vielzahl an Eventpartnern und Sponsoren, die das Festival unterstützen. Neben den zehn »Bezahl-Konzerten« im barocken Stadttheater, im Kurhaussaal und Festspielhaus bot das Festival kostenlose Star-Talks, sechs Umsonst-und-Draußen-Konzerte auf der Muschelbühne im Kurpark und drei weitere Livebühnen in der Innenstadt.
Gleich zum Auftakt zeigte die britische Band Sea Girls, wie man sich stimmungsvoll zwischen lautem Gitarrenrock, hymnischen Melodien und leisen Balladen bewegt. Gleichzeitig benutzten die vier Londoner Jungs sphärische Klänge und die Wandlungsfähigkeit von Henry Camamiles Stimme als ganz selbstverständliches Material. Aber sie wagten auch einiges, tauchten ab ins Unangepasste, Mehrdeutige und arbeiteten sich nicht bloß an der Oberfläche ab. Dabei modellierte Leadsänger Camamiles mit verletzlicher und doch alles vereinnahmender Stimme die verschnörkelten Songs immer wieder zu kleinen Seelendramen.
Scharfzüngige Lyrik
Zu den Höhepunkten gehörten auch die leidenschaftlichen Konzertshows der beiden Sängerinnen Asdis und Dylan. Während das isländische Energiebündel Asdis das barocke Theater mit elektronischem Dancepop und kraftvoll souliger Stimme in einen brodelnden Tanztempel verwandelte, vereinte die Londoner Sängerin und Gitarristin Dylan Standpunkt und scharfzüngige Lyrik mit rockiger Leidenschaft und Herzschmerz. Neu erfunden wurde hier zwar nichts, und doch klang alles so noch selten gehört, so im besten Sinne leichtsinnig, unverbraucht.
Auch der schottische Singer-Songwriter Tom Walker, der durch seinen Hit »Leave A Light On« internationale Bekanntheit erlangte, und die schwedische Rockröhre Benjamin Ingrosso würzten ihre Musik mit außergewöhnlichen Stimmen und haben es nicht nötig, mit großen Emotionen zu jonglieren. Für viele gehörte schließlich der abschließende Auftritt der neuesten britischen Popsensation The Last Dinner Party zwischen barocker Opulenz und moderner Indie-Rebellion zum absoluten Highlight des Festivals.
Die begeisterten Besucher erlebten zwar ein Konzert der rebellischen Klagelieder – aber mit explosiver Bühnenpräsenz und ohne jede Resignation. (GEA)