TÜBINGEN. Ein Brief des Tübinger Universalgelehrten Wilhelm Schickard an den berühmten Astronomen Johannes Kepler vom 20. September 1623 belegt die Erfindung der ersten mechanischen Rechenmaschine: »Ferner habe ich dasselbe, was Du rechnerisch gemacht hast, kürzlich auf mechanischem Wege versucht und eine aus elf vollständigen und sechs verstümmelten Rädchen bestehende Maschine konstruiert.«
Die Konstruktion konnte mit maximal sechsstelligen Zahlen in allen Grundrechenarten operieren: Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division. Vor allem aber gelang ihr der automatische Zehnerübertrag, bei dem wahrscheinlich eine kleine Glocke schlug, wenn die letzte Ziffer von 9 auf 0 sprang.
Tragisches Ende
Das zentrale Bauteil der Rechenmaschine war ein Addierwerk mit sechs Zahnrädern, über die jeweils die Ziffern von 0 bis 9 eingestellt und zum Addieren im Uhrzeigersinn gedreht werden konnten, zum Subtrahieren gegen den Uhrzeigersinn. Für die Multiplikation integrierte Schickard ein System, das an die Rechenstäbchen des schottischen Gelehrten John Napier erinnert, und kombinierte sie mit den Rädern des Addierwerks, die den Multiplikator definierten. Die Zahlen mussten nur noch eingestellt und die Ergebnisse abgelesen werden – die eigentliche Rechenoperation aber erledigte die Maschine.
Johannes Kepler, der wie Schickard an der Universität Tübingen studiert hatte, wurde bereits im Jahr 1617 auf den jüngeren, »Mathematik liebenden« Kollegen aufmerksam. Der Astronom schätzte Schickards handwerkliches und künstlerisches Geschick und beauftragte ihn mit Kupferstichen und Holzschnitten für sein epochales Werk »Harmonice mundi«, in dem Kepler die Gesetze der Planetenbewegungen formulierte.
Kepler gab den Bau einer »Rechen-Uhr« – so seine eigene Bezeichnung – bei seinem »Mechanicus« Johann Pfister in Auftrag. Der baute im Jahr 1623 ein Exemplar für Schickard und später ein zweites Exemplar, das für Kepler bestimmt war. Keplers Exemplar wurde noch in Pfisters Werkstatt durch ein Feuer vernichtet.
Die Pest in Tübingen
Schickards Leben endete tragisch. In der Anfangszeit des Dreißigjährigen Kriegs konnte sich die Stadt Tübingen durch hohe Geldzahlungen vor Zerstörung bewahren. Doch nach der verlorenen Schlacht von Nördlingen im Jahr 1634 quartierten sich kaiserliche Truppen in Tübingen ein und brachten die Pest mit. Zuerst raffte die Seuche Schickards Frau und seine drei Töchter dahin. Schickard selbst erkrankte, konnte sich aber erholen. Im Oktober 1635 erkrankte er erneut und starb, einen Tag vor seinem neunjährigen Sohn.
Nach dem Pest-Tod von Schickard und seiner Familie ging das Wissen um die Rechenmaschine und Schickards Exemplar in den Wirren des Dreißigjährigen Kriegs verloren. Historiker erklärten irrtümlicherweise den französischen Philosophen Blaise Pascal, der zwanzig Jahre später eine eigene mechanische Rechenmaschine entwickelte, zu ihrem Erfinder. Schickards Skizzen tauchten jedoch über Umwege wieder auf. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es, die Maschine an der Universität Tübingen zu rekonstruieren und ihre Funktionsfähigkeit nachzuweisen. (eg)
FESTAKT IN DER NEUEN AULA
Die Universität Tübingen wird das 400-Jahr-Jubiläum von Schickards Erfindung am Donnerstag, 14. September, mit einem Festakt in der Neuen Aula begehen. Im Rahmen der Veranstaltung präsentiert das Bundesfinanzministerium eine 20-Euro-Sammlermünze und eine 85-Cent-Sonderbriefmarke zu Ehren von Wilhelm Schickard und seiner Erfindung. Der Fachbereich Informatik veranstaltet das Symposium »Von der mechanischen Rechenmaschine zum Quantencomputing«. (eg)